Yes, we can!

Ich weiß auch nicht, was mich geritten hat, als ich meiner diesjährigen Frauentagslesung diesen Titel gegeben habe. Erst war ich voller Enthusiasmus und dachte, ja, genau: Klar können wir – und zwar alles! Dieser Satz hat so eine ungeheure Kraft und kann uns so weit bringen, wie wir wollen! Yes, we can! Ich hatte dies Bild im Kopf von Rosie, der Nieterin, der Frau im Arbeitshemd mit erhobener Faust und gepunktetem Haarband; ihr Credo: „We can do it!“ Aber als ich das dann so schwarz auf weiß in der Zeitung las, fragte ich mich, wie bescheuert man eigentlich sein kann: Mein ganzes Leben besteht aus „Yes, I can!“.

Und ich kann nicht nur, ich will auch. Ich will ganz offenbar meine Tage bis auf den letzten Moment verplanen – wovon insbesondere meine lieben Freundinnen und meine Familie ein Lied singen können. Mich kann man zu jeder Tages- und Nachtzeit anrufen und mich fragen, ob ich hier aushelfen könnte oder da mit dabei sein will, und ich antworte immer erstmal, ja, ich will. Und natürlich KANN ich auch. Und wenn nicht, schaffe ich es mir drauf, denn es handelt es sich im Allgemeinen ja nicht um Raketenwissenschaft. Es geht um die kleinen Dinge: Um den Pressebericht für den Verein, den Aperolstand auf dem Dorffest oder die Faschingsrede bei der Fremdensitzung mit anschließendem Sektbardienst. Es geht aber auch um den Arztbesuch mit Familienmitgliedern aller Art, einschließlich Hund. Es geht um die erste Hunderunde des Tages, um Fahrdienste, und darum, schnell noch ein Geschenk zu besorgen (am besten noch für eine Party, auf die ich gar nicht eingeladen bin). Nebenbei können wir noch schnell was einkaufen und etwas Warmes zu essen machen und wenn alles erledigt ist, starten wir die dritte oder vierte Schicht des Tages. Denn dafür haben wir noch Bügelwäsche, Flickwäsche oder Büroarbeit aufgehoben. Ach so, natürlich waren wir auch zwischendurch noch arbeiten, halb- oder ganztags. Hatte ich ganz vergessen.

Und während aus dem Nachbarbüro meine Kollegin ihrer Familie telefonisch mitteilt, wann und wie sie sich neben ihren Überstunden noch das mit dem Essen gedacht hat, schüttele ich den Kopf, denke „Überall dasselbe“ und frage mich: Wer will das alles von uns? Warum meinen wir Frauen, wir müssten es unserer Umgebung so angenehm wie möglich machen? Antworten gibt die Politologin Katharina Debus: Sie spricht von der „Allzuständigkeit der Frauen“ (nachzulesen bei Franziska Schutzbach, Die Erschöpfung der Frauen) – sie können alles und sollen alles, ein Anspruch, den junge Frauen seit frühester Kindheit inhaliert haben und den wir älteren uns mit viel Mühe selbst errungen haben: Karriere machen, Geld verdienen, und gleichzeitig nicht „vermännlichen“, nicht die Familie oder die Beziehung hintenanstellen. Und wir sollen (und wollen) natürlich alles, was wir machen, perfekt machen und dabei noch gut aussehen. Das sollen die Familienmitglieder übrigens auch, denn auf wen fällt es denn zurück, wenn die Kinder und der Mann – und der Mann! – nicht ordentlich angezogen sind oder sonst wie ungünstig in Erscheinung treten? Na, bitte: auf uns Frauen.

Zum Glück für alle Beteiligten lassen unsere – meist immer noch von Teilzeit oder anderen flexiblen Jobs bestimmten – Arbeitsverhältnisse es zu, dass wir unsere Arbeitstage wie ein Gummiband dehnen. Und uns dabei zwar erschöpft, aber toll vorkommen. Doch auch ein Gummiband dehnt sich nicht unendlich und irgendwann liegen wir dann ohmmächtig im Flur, bis der Hund uns wachleckt. Tolle Aussichten! Aber wir sind doch emanzipiert!

Die Kulturwissenschaftlerin Angela McRobbie sagt, dass sich die Emanzipation „ein Stück weit in eine Fratze verwandelt hat.“ Frauen sollen – und wollen – beruflich alles erreichen, was Männern auch zusteht, und trotzdem hat sich ihr Alltag drumherum nicht sonderlich verändert, denn auch für dessen ewiges Kleinklein sind sie nach wie vor zuständig. Mehr und mehr sieht es so aus, als sei der Begriff der Powerfrau kein Kompliment oder gar eine Auszeichnung, sondern eine Bürde, die dazu führt, dass Frauen sich selbst permanent überfordern. Wer will da schon noch eine Powerfrau sein – ein Wort, das mit meinem zunehmenden Alter seinen vermeintlichen Zauber komplett eingebüßt hat. „Du bist doch eine Powerfrau!“ – heißt das nicht eigentlich „Komm, das schaffst du doch auch noch!“? In einem ehrlichen Moment drängt sich die Frage auf, wie sehr wir selbst von dieser Allzuständigkeit profitieren. Wie sehr wir sie für unser Selbstbild brauchen. Und viel wichtiger: wie wir auch diesen Anspruch wieder loswerden.

Vielleicht mit der alten Männerweisheit: „Einmal blöd gestellt reicht fürs ganze Leben.“ Ich meine, ich kenne Männer, die bauen die Waschmaschine komplett auseinander und wieder zusammen und schwören gleichzeitig Stein und Bein, dass sie sie nicht bedienen können. So geht’s auch!

Also, ich versuch’s! Ich werde ab sofort, wenn in irgendwelchen Gremien wieder Pöstchen verteilt werden, nach unten gucken und mir auf die Lippen beißen. Am besten wird es sein, wenn ich mich mit einer Geschlechts- und Leidensgenossin zusammentue, und wir uns unter dem Tisch gegen die Beine treten, sobald eine von uns auch nur zuckt. Ich werde Veranstaltungen absagen, bei denen ich denke, dass meine Anwesenheit keinen Unterschied macht für mich oder für die anderen – und das sind nicht wenige. Und irgendwann, irgendwann, wenn ich dann ganz, ganz weit fortgeschritten bin, werde ich – was mir wirklich, wirklich schwerfallen wird – ausprobieren, ob erwachsene Menschen wirklich verhungern, wenn ich ihnen nichts zu essen hinstelle. Oder ob sie nackt oder gar nicht mehr aus dem Haus gehen, weil ich die Waschmaschine nicht betätige. Alle hiervon eventuell in grauer Zukunft Betroffenen kann ich beruhigen: Bis ich soweit bin, dauert es noch ein bisschen.

Aber Vorsicht, ich übe jetzt jeden Tag: Nein sagen, ablehnen, nicht zur Verfügung stehen, abwarten, aushalten, dass etwas nicht gemacht wird oder gar, dass meine Hilfe gar nicht nötig ist: Yes we can! Und ich bin sicher: Die Freiräume, die ich mir damit schaffe, die kann ich schnell wieder füllen. Mit einem professionellen Fahrdienst zu Arztterminen vielleicht, mit einer keinen Gartenwirtschaft oder mit der Gründung eines Vereins für neinsagende Frauen. Vielleicht aber auch mit einer Karriere in der Politik. Da werden Powerfrauen gebraucht. Aber das ist ein anderes Thema.

Mehr zu Rosie:
https://www.stern.de/digital/technik/yes-we-can-do-it—-so-spaet-wurde-rosie–die-nieterin–beruehmt-9539436.html