Ver-rückt – oder: So geht’s auch!
Wir leben in verrückten Zeiten, ehrlich. Wo man hinschaut, nur Idioten, ich muss es leider so deutlich sagen. Oder was sehen Sie, wenn Sie sich so in der Welt umschauen? Die Kriege nehmen kein Ende. Ein Kriegsverbrecher regiert die eine Weltmacht, ein verurteilter Straftäter, Frauenfeind und schamloser Lügner bald wieder die andere. Vor kurzem wurde in den USA per Gericht beraten, ob Trumps Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin eine präsidiale oder private Handlung war. Noch Fragen? Zwischendrin – wir erinnern uns an die Spontanaktion in Südkorea – verhängt ein Präsident in einer Demokratie das Kriegsrecht, weil er die Opposition blöd findet. In Ungarn demontiert ein Ministerpräsident die demokratischen Einrichtungen in einer Art und Weise, dass die EU dem Land den Demokratiestatus abspricht, in der Regel ohne große Konsequenzen.
Hier bei uns ist es nicht besser: Wir haben eine Regierung, die – trotz ihrer hehren Ziele – krachend gescheitert ist, an den Krisen in der Welt und an sich selbst. Politiker liberaler Parteien benehmen sich, als wären sie die PR-Abteilung der Demokratiehasser. Ihr Chefstratege will „mehr Milei wagen“ (das ist der irre Argentinier mit der Kettensäge). Wir haben einen Kanzlerkandidaten, der Frauen nicht so gerne in Verantwortung sieht, weil man „ihnen damit keinen Gefallen tut.“ (U.a. nachzulesen unter https://www.spiegel.de/politik/deutschland/friedrich-merz-ueber-geschlechterparitaet-in-der-bundesregierung-wir-tun-damit-auch-den-frauen-keinen-gefallen-a-84ec18ef-67ad-4085-a928-2dea15b525be.) Sein bayrischer Freund filmt sich ständig im Auto oder bei MacDonalds. Die Regierungspartei zieht mit dem unbeliebtesten Kandidaten ever mit stolzgeschwellter Brust in den Wahlkampf, obwohl sie einen hätte, der auf Rang eins der Beliebtheitsskala steht (wenn man das ZDF-Politbarometer als Maßstab nimmt). Und wir haben Politiker demokratischer Parteien, die das Wahlrecht von Frauen in Frage stellen, sollten diese Robert Habeck, den „politischen Heiratsschwindler“ wählen wollen. (U.a. nachzulesen unter https://www.fr.de/politik/emotional-und-labil-cdu-politiker-hinterfragt-frauenwahlrecht-und-attackiert-habeck-zr-93410195.html.) Und wer regt sich auf? Kein Schwein. Die Welt hat zwar auch ein paar weibliche Irre zu bieten, aber wir sehen: Das Gros des Wahnsinns ist männlich. Ich denke, man tut ihnen mit bestimmten Ämtern, sei es Kanzlerkandidat oder Präsident, keinen Gefallen.
Apropos Gefallen: Würde Ihnen eine an die Wand geklebte Banane für 6,2 Millionen gefallen? Einem Käufer aus China schon. „Das ist nicht nur ein Kunstwerk. Es stellt ein kulturelles Phänomen dar, das die Welten der Kunst, der Memes und der Kryptowährungs-Community überbrückt“, zitiert Sotheby’s den neuen Besitzer Sun. Da es sich um eine frische Banane handelt, erwirbt Sun im Wesentlichen ein Zertifikat über die Echtheit des Werks sowie eine Anleitung, wie die Frucht zu ersetzen ist, wenn sie verdirbt. Ich denke, für jemanden, der 6,2 Millionen für eine an die Wand geklebte Banane ausgibt, ist so eine Anleitung Gold wert.
Auch die Otto Normalverbraucher sind on the wild side of life unterwegs: Sie stellen sich stundenlang für eine neue Sorte Schokolade an. Was wiederum auch schön ist, wenn das wirklich ihr einziger unerfüllter Wunsch ist. An anderer Stelle wird es deutlich schwieriger: Neulich musste ich ungewollt ein Gespräch belauschen, da ging es darum, dass das mit der E-Mobilität nichts werden könne, weil man dann mit seinem 400-PS-Auto alle Nase lang zum Laden anhalten müsse. Nee, dachte ich, so kann das echt nichts werden. Kann es auch nicht, wenn Gelingen und Gedeihen der Klimawende davon abhängt, tausende Haushalte in unserem Land dazu zu zwingen, ihre funktionstüchtigen Öfen zuzumauern oder auszubauen (im letzten Fall laufen sie dann in Polen oder Spanien fröhlich weiter), weil vor Jahren ein Emissionswert nicht ermittelt werden konnte. Wir sehen: Auch im Alltag lockt der Irrsinn: Vor unserer Pizzeria in Altenburg stehen so viele Park- und Parkverbotsschilder, dass man meinen könne, man befinde sich in einem Hochsicherheitsbereich, und in den Erlen hängt ein Schild mit einem kunstvollen Bild, das Radfahrern bedeuten soll, nicht die Treppe, sondern den Weg drumherum zu nehmen. Gar nicht auszudenken, wenn sich diese vielen Radfahrer, die diesen Rat nicht hätten, auf der Treppe neben der Bushaltestelle stauen würden! Auch die Digitalität verspricht keine Besserung: Als ich neulich ein E-Paper aus dem digitalen Archiv unserer Tageszeitung holen wollte und gescheitert bin, bekam ich zur Antwort: „Die blaugedruckten sind nicht im digitalen Archiv.“ Ist klar, ne: Mit schwarzer Farbe gedruckte Zeitungen gelangen durch die geheime analog-digitale Pforte ins digitale Archiv, die blauen eben nicht.
Und dann kam auch noch die Päpstin: Kraft meines Amtes als Öffi bei Kirchens hatte ich ein Bild unserer Pröpstin mit einer Pressemeldung verschickt. Bald fand ich die Pröpstin, per Bildunterschrift zu Päpstin geweiht, auf einem großen regionalen Online-Portal: Sie habe das Wort „Pröpstin“ nicht gekannt, meinte die Redakteurin, als wir sie fragten, was das mit der Päpstin auf sich hatte, und so war sie zur Überzeugung gelangt, dass es sich dann eben um die Päpstin handeln müsse. Uns Protestanten ist alles zuzutrauen, ich weiß.
Und so nimmt der Wahnsinn seinen Lauf, an der Arbeit, beim Einkaufen, nicht selten in der Familie und ebenfalls nicht selten, wenn man es mit sich allein zu tun hat. Ich persönlich schüttele mindestens zehnmal täglich den Kopf über mich selbst und wäre somit auf den ganzen anderen Irrsinn gar nicht angewiesen.
So weit, so ratlos. Als ich vorhatte, diese Kolumne zu schreiben, wollte ich natürlich unbedingt positiv wieder rauskommen. Was also können wir tun außer beim Wahnsinn mitmachen oder trinken? Kiffen wäre ja jetzt auch erlaubt. Ich grübelte und grübelte, und als ich eines morgens mit unserem Hund losging, fiel es mir wir Schuppen von den Augen: Unsere Hündin geht raus und freut sich auf die Welt. Jedes Mal wieder. Ganz egal, was sie vorher erlebt hat, Freude oder Frust, Schimpfe oder Käsje, Menschen, die nicht verstehen, wenn sie voller Liebe an ihnen hochhüpft, Hunde, die nicht mit ihr über die Wiese fliegen wollen. Maddie freut sich jedes Mal wieder. Jeden Morgen kriegt die Welt von ihr eine neue Chance. Jeden Morgen geht Maddie los in dem sicheren Glauben, dass heute alles gut wird. Dann springt sie wieder an dem Blödmann von gestern hoch, der wieder nicht verstehen wird, dass sie nur spielen will und ihre Dreckpfoten auf der hellen Hose nur so mittel findet. Sie wird es probieren, bis der Typ sich irgendwann von selbst umdreht, weil er nicht mir ihrer Liebe überschüttet werden will. Selbst schuld.
Nun heißt unser Hund zwar nicht Maddie, weil dieses Wort unmittelbar mit dem englischen Begriff für verrückt zusammenhängt, aber vermutlich muss man einfach ebenfalls ein bisschen verrückt sein, um dem Verrückten und den Verrückten in der Welt etwas entgegenzusetzen. Anders verrückt halt. Schön verrückt. So verrückt, dass man glaubt, das am Ende alles gut wird. Ich denke, einen Versuch ist es wert. Wir haben ja nichts zu verlieren.