Samstagstaumel

Der Samstagstaumel beginnt jedes Mal mit einem großen Irrtum: dem, dass ein voller Tag vor mir liegt, der mir komplett offensteht, um all das zu tun, wozu ich unter der Woche nicht gekommen bin. Also alles.

All das kann ich direkt nach dem Einkaufen erledigen. Jeden Samstag. Theoretisch. Und damit beginne ich, nachdem ich den einen Artikel vom vergangenen Mittwoch fertig geschrieben habe. Das mache ich am besten vorm Frühstück, wenn außer dem Hund noch keiner was von mir will. Ausschlafen am Samstag ist auf jeden Fall nicht zielführend und im Samstagstaumel auch gar nicht vorgesehen. Schließlich ist ja auch noch Waschtag. Das kann man mit Hilfe der modernen Technik fast nebenbei erledigen, vorausgesetzt, es ist kein schönes Wetter und man kann ohne schlechtes Gewissen aus der Waschmaschine heraus den Trockner bestücken. Ist das Wetter gut, verzögert sich das mit dem Einkaufen natürlich ein wenig, da bis nach dem Frühstück schon der erste Waschgang durch ist – wir takten das bei sieben bis acht Waschgängen ja ganz genau – und wir dann erstmal die Wäschespinne im Garten in unseren Samstagstaumel aufnehmen müssen.

Mit in die zeitlichen Planungen fließt vor dem Einkaufengehen gerade am Samstag noch ein mehr oder weniger gemeinsames Frühstück ein, in dessen Rahmen die Einkaufsliste mit den Wünschen der Mitwohnenden abgeglichen werden kann. Noch ein Kaffee, noch ein Schwätzchen, und kaum ist es zehn Uhr, geht es auch schon los. Oder halb elf. Einkaufstaschen packen, Portemonnaie, Handy, Einkaufszettel – wo ist denn jetzt der Einkaufszettel? Ach da, unter der ganzen Werbung im Oberhessenkurier, den wir zunächst noch nach den günstigsten Aperol- und Weinangeboten gescannt haben.

Die Runde startet im Drogeriemarkt. Außer, es ist Grillwetter, dann müssen wir zunächst zum Metzger unseres Vertrauens und die Würstchen und Steaks dann natürlich erstmal wieder nachhause bringen. Die Kühlkette, Sie wissen schon. Aber jetzt: Drogeriemarkt, Aldi, tegut. Das Schöne: Überall trifft man Menschen, meist weiblichen Geschlechts, im Samstagstaumel. Bei allen ist am Wochenende der Kühlschrank leer und die Einkaufsliste lang. Die einen sind mit Tunnelblick zwischen den Regalen unterwegs, strikt darauf bedacht, ihre verschiedenen Listen abzuarbeiten, die anderen laufen mit offenem Blick und stets bereit für ein Schwätzchen durch die Einkaufsläden. „Da kann ich dir nur empfehlen, ein Vitamin-B-Präparat zu nehmen“, rät die eine der anderen zwischen Klopapier und Zahncreme. Und die Nächste verrät ihrer Nachbarin, die sie eigentlich nur beim samstäglichen Taumel trifft, noch schnell das Rezept für den Taco-Salat. Ich liebe es. Blick auf die Uhr: Die Zeit läuft. Das – meist spartanische -Samstagsmittagsessen um halb eins ist nicht mehr zu halten, macht ja nix, der ganze Nachmittag liegt ja noch vor uns; die Mitwohnenden sind es schon gewohnt.

Jedes Mal wieder liefere ich mir – insbesondere bei Aldi – einen Battle mit der Kassiererin und denke wehmütig an die Zeit, als ich direkt vom Band die Artikel für den Kühlschrank in die eine Tasche und die für die Vorratskammer in die andere Tasche sortiert habe. Heute werfe ich alles, wie es kommt, geradeso in die Taschen oder daneben und bin, bis die lange Rechnung kommt, gnadenlos im Rückstand. Bin ich jetzt mit den Jahren einfach langsamer geworden oder ist es ein ungleicher Kampf mit einer immer schneller werdenden Kassentechnik? Ich weiß es nicht. Das Einzige, das konstant geblieben ist, seit ich für eine ganze Familie einkaufe, ist die Tatsache, dass, wenn ich aufgelegt habe, stets eine neue Kasse aufgemacht wird. „Kasse drei öffnet für Sie!“ Ganz ehrlich: Hinter mir wollte ich auch nicht stehen.

In etwa um halb zwei erreiche ich mit meiner Beute die Home Base. Tiefkühlschrank bestücken und Wäsche tauschen geht im Keller in einem Aufwasch. Es sei denn, es ist schönes Wetter, dann wird das mit dem Mittagessen auch bis zwei Uhr knapp. Zwanzig Minuten nach Ankunft stehen an circa 45 Samstagen im Jahr auf jeden Fall vier Leberkäse mit Spiegelei und Pommes auf dem Tisch, die Wäsche ist aufgehängt und die Einkäufe – zumindest die für den Kühlschrank – verräumt. Die anderen kommen nach dem Essen dran. Oder am Sonntag.

Der Nachmittag schreitet voran und ich stelle fest, dass ich nicht alleine im Samstagstaumel bin, sondern auch meine Mitbewohner, die sich dann mit allerlei nützlichen Dingen rund um Haus, Hof und Fuhrpark beschäftigen. Jedenfalls war bis nach dem Essen noch keiner mit dem Hund. Mach ja nix. Der Samstag ist ja noch lang. Und was auch immer darauf wartet, aufgeräumt zu werden, abgewaschen oder sortiert, ist es gewohnt zu warten. Auf den Samstag, den Samstagnachmittag, den Samstagabend, den Samstag in einer Woche. Und so weiter.

Nach der nächsten Waschmaschine und der Hunderunde gibt es erstmal Kaffee und Teilchen – an irgendwas muss man ja merken, dass Wochenende ist. Genauer gesagt, dass es fast schon vorbei ist. Spätestens, wenn man sich bis 18 Uhr über die Runden gebracht hat, fragt man sich – natürlich zu Recht -, ob es sich wohl lohnt, noch etwas anzufangen. Man könnte noch ein bisschen an den Blumen zuppeln oder halbherzig zumindest die Koffer vom letzten Urlaub wegräumen. Aber eigentlich auch nicht. Erstens muss die Wäsche noch abgehängt werden und dann ist es gerade im Sommer viel zu schade, einen schönen Sommerabend mit Arbeit zu versauen. Außerdem wartet jetzt auch immer die eine oder andere Grillparty. Da kann man ja ohnehin nicht so abgeschafft hinkommen. Der Samstagstaumel war auch so genug.

Und für alle Fälle gibt es ja auch noch den Sonntag. Er liegt stets vor einem wie ein leeres Blatt, das wir jede Woche neu beschreiben können. Nach dem Frühstück, vor der Hunderunde, nach der letzten Wäsche und vor dem Mittagessen. Nach der zweiten Hunderunde und dem Kaffeetrinken. War da was?