
Holy Aperoli
Der Sommer ist orange – ich denke, daran gibt es gar keinen Zweifel, schon gar nicht in diesem Jahr, wo sogar endlich, endlich wieder die Kleidung orange ist. Und wie. Orange ist ja nicht nur deshalb so eine Gute-Laune-Farbe, weil sie so leuchtet oder weil sie die Farbe von Capri-Eis oder Creme 21 ist, nein, sie sieht einfach auch im Glas ganz unverschämt gut aus. Und hier ist sie endlich: die längst fällige Hymne auf Aperol, auf Aperol Spritz, um es genau zu sagen.
Was wäre ein Frühling ohne das erste Outdoor-Aperol-Foto, ohne diese Sehnsucht nach dem ersten Spritz mit den Freundinnen auf dem Marktplatz, nach dem ersten Aperol in einer fremden Stadt, in der man grade angekommen ist? Egal, wo man sich niederlässt: Immer sitzt schon ein Grüppchen mit einem Aperol da, ganz gleich, ob in Rom oder Paris, Amsterdam oder Prag, Alsfeld oder Fulda. Und angesichts dieser Mengen, die da so über die Theken der Welt gehen, frage ich mich regelmäßig, ob der Hersteller, das Haus Campari, überhaupt den Nachschub sichern kann, und male mir furchtbare Notstände aus, gegen die der Mangel an Nudeln und Klopapier von Sie wissen schon nicht der Rede wert ist. Aber Campari kann: Im Jahr 2022 lieferten die fleißigen Italiener weltweit knapp 80 Millionen Liter des bereits im Jahr 1919 erfundenen Gesöffs, das eine offenbar sehr ausgeklügelte Marketingstrategie im neuen Jahrtausend in völlig irre Sphären katapultiert hat. Unnötig zu sagen, dass von den 80 Millionen Litern ein Großteil in meinen Einkaufswagen ging: Sie sollten mich mal sehen, wenn in irgendeinem Supermarkt im Umkreis von 20 Kilometern der Aperolpreis unter zehn Euro pro Flasche fällt: Dann bin ich zur Stelle und streite mich mit jeder Verkäuferin, die angewiesen ist, nur haushaltsübliche Mengen abzugeben, darüber, was eine haushaltsübliche Menge ist. Ich meine, sie kann doch nicht wissen, was in meinem Haushalt üblich ist, oder? Auf jeden Fall stürze ich mich dann regelmäßig auf den Sonderaufbau, und das in einer Art und Weise, die ich sonst nur auf dem Pfingstmarkt an den Tag lege, wenn ich die Autoscooter für meine Jungs ergattern muss: Da werden Frauen zu Hyänen, mehr sage ich nicht.
Man muss schon allerhand über sich ergehen lassen, aber es lohnt sich: Bei Netto musste ich mich mehrfach anstellen und immer zwei Kunden zwischen mich und die nächste Kiste lassen, weil ich sonst nur sechs Flaschen hätte kaufen dürfen. Sechs Flaschen – das ist doch keine haushaltsübliche Menge! Wir sind doch hier nicht bei den Anonymen Aperolikern! Kleiner Tipp: Bei Aldi sind sie entspannter. Und was man da alles sparen kann: Als ich letztens bei knapp vierzig Flaschen Aperol, die ich für verschiedene Anlässe bunkern wollte, pro Flasche vier Euro weniger gezahlt habe als normal, habe ich direkt 160 Euro gespart. 160 Euro nur mit Aperol gespart – ja, wie geil ist das denn?! Da können die Banken mit ihren Mickersparbüchern ja wohl direkt mal einpacken!
Ich meine, es ist ja auch nicht nur für mich: Für den Genuss von Aperol muss man ja mindestens zwei oder mehr sein. Frauen in erster Linie. Aber auch immer mehr Männer lassen sich von dem stahlendorangefarbenen Spritz locken. Da sage noch einer, die seien nicht lernfähig und aufgeschlossen. Auf jeden Fall gehört es für mich einfach zur Gastfreundschaft, stets einen Aperol, einen Sekt, ein Wasser und Eiswürfel bereit zu haben. Und die entsprechenden Gläser natürlich, denn das Auge trinkt ja mit. Glücklicherweise bot ein hiesiger Supermarkt schon vor Jahren schöne große Rotweingläser gegen Treuepunkte an – die einzige solche Aktion, die sinnvoll war, finde ich. Vorausschauend wie ich war, habe ich mir ein ansehnliches Depot an Gläsern zugelegt und freue mich jedes Mal, wenn der orangefarbene Traum darin perlt.
Ja, ich weiß, es gibt andere Sommergetränke: Lillet Wild Berry, Negroni, Limoncello Spritz und hier und da schaut auch nochmal mein Ex-Freund Hugo über den Tresen. Ich hab’s echt probiert, ich schwöre. Sogar alkoholfreien Varianten habe ich eine Chance gegeben: Basilikum-Ingwer-Limonade mit Wasser oder Sekt – schmeckt lecker, leuchtet auch in frischem Sommergrün, aber – es ist halt einfach kein Aperol.
Fragt sich natürlich, was ist eigentlich drin und was ihn so besonders macht, dass sich Nationalitäten aus aller Welt unter seiner Farbe versammeln? Also, das eine ist schnell aufgezählt: Drin sind Rhabarber, Chinarinde, gelber Enzian, Bitterorange und aromatische Kräuter mit orange-roter Färbung und bittersüßem Aroma. Keine Blattläuse übrigens, aber selbst, wenn. Da gäbe es doch Schlimmeres, oder? Kein Aperol zum Beispiel. Aber ohne Blattläuse ist Aperol sogar vegan – nur für den Fall, dass mal jemand fragt.
Was ihn besonders macht? Darüber sagt der Soziologe und Sozialpsychologe Tillmann Allert: „Das Geheimnis des Aperol liegt darin, dass er den Schock des Bitteren mit opulenter Süße und Frische umspült. Die geschmackliche Synthese eines Zeitgefühls. Nur zart angedeutet, spült er – wie alles Bittere an Gefahr, an Gegensätzlichkeit, an Kontrast, an das Ende der Regression erinnert – das Element Reife in den Moment des Genießens, der dem Bewältigen von Krisen und Risiken innewohnt.“ Ach so, ich dachte, er schmeckt einfach geil. Jeder Schluck ist eine Erinnerung an zahllose Sonnentage, an Sommer, die wieder einmal so getan haben, als würden sie nie enden, an Lachen, an Freunde und Freundinnen, an lange Sommernächte mit schöner Musik, an alles, was die Seele streichelt. Im Sommerwind natürlich. Und in orange.
Cheerio, mein Holy Aperoli!