
Du Arschloch!
Neulich tranfunselte ich mit dem feudalen Wagen meines Mannes auf dem Lidl-Parkplatz umher und war sowohl von der Menge als auch der Enge der vorhandenen Parkplätze gerade ein wenig überfordert. Wenn es nur einen freien Parkplatz gibt, ist das Leben irgendwie leichter, schoss es mir durch den Kopf, und ich philosophierte so vor mich hin und fuhr weiter schlendernd über das Areal, bis mich das Hupen eines Autos aus meiner Kontemplation, äh Konzentration, riss. In diesem Zustand sind mir immer schon die unmöglichsten Sachen passiert. Vom Trödeln auf der Bundesstraße über das verträumte Versperren des Weges bis hin zu kleinen Fast-Auffahrmissgeschicken. Ich kriegte also einen ziemlichen Schreck und überlegte, was ich jetzt in dem Moment alles falsch gemacht haben könnte, das den Zorn des anderen, natürlich männlichen und damit im Straßenverkehr qua Geschlecht im Recht befindlichen, Autofahrers erregt haben könnte. Es wird schon was gewesen sein, sonst hätte der Fahrer ja nicht gehupt. Ist ja immer so, oder? Ich schaute völlig erschrocken auf und sah aus den Augenwinkeln einen Freund von uns gerade noch vorbeifahren. Konnte ich da nun auf Verständnis für meine immer noch unbekannte Verfehlung hoffen oder müsste es mir nun extra peinlich sein?
Wir trafen uns, nachdem es mir irgendwann doch gelungen war, einzuparken, im Lidl vorm Keksregal und er lachte mich an und entschuldigte sich, dass er mich offenbar so erschreckt hatte. „Ja“, sagte ich, „ich dachte schon …“ „Du Arschloch“, lachte er, „was hupst du hier rum? Stimmt’s?“ Ich habe alles Mögliche gedacht – eher so „O Gott, was habe ich denn jetzt wieder falsch gemacht“ -, aber so ziemlich das Letzte war „Du Arschloch“. Schon allein deshalb nicht, weil mir – wie treue Leserinnen meiner Kolumnen wissen – Kraftausdrücke jeglicher Art völlig fremd sind. Ganz anders mein Gegenüber: Ihm wäre gleich klar gewesen, dass es sich – hätte man ihn angehupt – dabei nur um einen Affront ohne weitere Ursache gehandelt haben könne. Denn was sollte man ihm, also IHM, schon vorwerfen? Nichts natürlich. Auf diese Reaktion und das sogar im Verdachtsfall schon mal präventiv und inbrünstig vorgetragene „Du Arschloch“ wäre ich nie im Traum gekommen. Schließlich bin ich eine Frau und suche den Fehler immer zuerst bei mir. Fast schon mantraartig muss ich mir in vielen Fällen einen Leitspruch meines Mannes vorsagen: „Die anderen machen auch Fehler.“ Echt jetzt? In dem beschriebenen Fall übrigens sollte ich nur freundlich gegrüßt werden und hatte weder sonderlich getrödelt noch den Weg versperrt.
Und da war er wieder, der kleine Unterschied zwischen Männern und Frauen. Der Alltag ist voll von solchen Geschichten, sie beginnen in der Kindheit: Wenn mein Vater meine Mutter nicht verstanden hatte, meinte er, sie spreche zu leise. Wenn sie ihn nicht verstanden hatte, hatte sie wohl nicht richtig zugehört. Meine Freundin berichtete mir davon, dass sie an einem Stuhl hängengeblieben war, der mitten im Raum stand. Während sie sich dafür schalt, nicht aufgepasst zu haben, schimpfte ihr Mann darüber, dass irgendwer diesen Stuhl so blöd hingestellt hatte. Wenn bei uns im Haushalt etwas weggekommen ist, fange ich sofort das Suchen an – egal, ob ich etwas damit zu tun habe oder nicht: Könnte ja sein, ich hätte es in einem unbedachten Moment verräumt.
Angesichts dieser kleinen Beispiele, die jede Frau, die aufmerksam durch unsere Männerwelt schlendert, um beliebige Fälle erweitern könnte, fiel mir die aktuelle Diskussion um die angeborene oder – seien wir ehrlich – anerzogene weibliche Scham ein: Wir Frauen entschuldigen uns ständig für irgendwas. War ich zu laut? Oh, sorry, keine Absicht! Zu forsch? Kommt nicht wieder vor. Zu fordernd? Oh, wir wollen doch die Hälfte der Menschheit nicht verunsichern! Schließlich bemüht sie sich doch so, Frauen zu erklären, was sie nicht können: Einparken zum Beispiel. Man wird es kaum glauben: Aber ich kann, wenn meine Schwiegermutter mit mir im Auto sitzt, besser einparken, als wenn mein Mann neben mir sitzt. Und das, obwohl sie mir ständig Tipps gibt, mitbremst und die Luft anhält und mein Mann ein Netter ist. Sorry, ist so! Und da stellt sich die Frage, ist das nun mein Problem oder seins? Ich verrate es Ihnen: seins auf keinen Fall! Genauso wie das ewige Kopfschütteln über Frauenparkplätze. Es ist ja viel leichter, sich als Männer untereinander darüber lustig zu machen, als die Wahrheit anzuerkennen, dass Parkhäuser eine Gefahr für Frauen darstellen, für die sich Frauen nicht entschuldigen müssen. Und übrigens: Sollten Einparkhilfen nötig sein, dann vielleicht eher für die Männer. Von meinem Bürofenster aus blicke ich auf den Rewe-Parkplatz und habe schon unzählige Männer an dem Versuch, ums Verplatzen rückwärts einzuparken – denn sie sind Männer und müssen von Natur aus rückwärts einparken –, verzweifeln sehen. Zumal im fortgeschrittenen Alter, wenn sie zusätzlich zu allen anderen nicht vorhandenen Inkompetenzen (!) auch noch einsehen müssten, dass das mit dem Nackendrehen nur noch so mittel klappt.
Was soll ich sagen: Ich möchte weder beim Einparken noch beim Ausparken „Du Arschloch!“ rufen. Solche Ausdrücke hebe ich mir lieber für Typen (und Typinnen) auf, die es echt verdient haben. Die Welt ist voll davon, wie wir wissen. Und selbst wenn ein Mann (in dem Fall Janis Ehling von der Linken) Putin und Trump im ZDF „zwei rechte Arschlöcher“ nennt, die „die Ukraine quasi aufteilen“, womit er ja vollkommen recht hat, wird er von der Moderatorin zurechtgewiesen, die meint, das sei „seine Sprache, nicht unsere“.
Also, in dem Fall: meine schon.