Zwischen-den-Jahren-Blues

Die einen Feiertage waren um, die anderen standen noch vor der Tür, und ganz plötzlich befiel mich beim Blick auf eines der Weihnachtsgeschenke eine tiefe Melancholie: Es war so ein Geschenk, das keiner haben will, das aber dringend jemand verschenken wollte, und nein, wir sind noch nicht beim Thema Schrottwichteln! Das Geschenk lag neben einem anderen Geschenk, über das man durchaus das Gleiche sagen konnte, andernfalls hätten sie ja am 29.9. nicht mehr dagelegen, wo man sie direkt nach dem Empfang abgelegt hatte. Da viele meiner Leserinnen und Leser aus meinem näheren Umfeld kommen, kann ich jetzt leider nicht genau darauf eingehen, um welche Geschenke es sich handelt – die Wiedererkennungsangst wäre zu groß – aber die kleinen Päckchen werden jetzt sicher Wochen lang auf diesem Platz verharren, weil man sie nicht wegwerfen will. Das wäre ja dem Schenkenden gegenüber auch blöd und ein bisschen ungerecht, da man es ja gutgemeint hat. Außerdem würde es bei mir selbst natürlich ein ganz und gar schlechtes Gewissen verursachen. Bei meinem schauspielerischen Talent würde es bei der nächsten Begegnung wie ein Spruchband auf meiner Stirn stehen: „Und übrigens: Dein blödes Geschenk habe ich noch gleich am nächsten Tag weggeschmissen. Hat mir nicht gefallen und meinen Gästen und Familienmitgliedern auch nicht.“ Das kann man ja nicht bringen.

Man kann es auch nicht weiterverschenken, weil man ja nichts verschenken kann, was einem selbst nicht gefällt, und weil auch die Gefahr groß ist, dass es am Ende wieder bei dem Erstschenkenden landet. Und so liegen die Sachen da und liegen und liegen, bis man sich dann kurz vor Ostern mit dem Gedanken angefreundet hat, dass sie für den Grad ihrer Hässlichkeit und Nutzlosigkeit nun lange genug an prominenter Stelle für schlechte Vibrations gesorgt haben. Ab April dürfen sie guten Gewissens in die Tonne wandern. Ist das nicht furchtbar traurig?

Mit anderen Geschenken ist das schon was anderes: Die geschenkte Flasche mit außergewöhnlichem Sekt kam mir gerade recht, als wir eine spontane Einladung am zweiten Weihnachtstag erhielten. Ich nahm sie mit und stellte mir vor, dass sie vielleicht schon auf genau diesem Weg am ersten Feiertag zu uns gekommen sein könnte. Allerdings war ich mir sicher, dass sie dort, wo sie jetzt war, ihren letzten Aufenthaltsort gefunden haben und ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt werden würde. Als nächstes spontanes Geschenk nahm ich ein Buch mit, das ich am Abend zuvor geschenkt bekommen hatte, ein schönes Buch, wirklich. Ich hatte es mir selbst gewünscht, aber jetzt brauchte ich halt dringend was – und zwar was richtig Gutes! Ich würde es mir einfach nochmal nachkaufen. Musste ich gar nicht: Meine Freundin hatte genau das gleiche Buch am Vorabend geschenkt bekommen, und ich konnte meines, nachdem ich besten Willen gezeigt hatte, wieder mitnehmen! So ist das eben mit guten Geschenken!

Eine schöne Möglichkeit, ungeliebte Geschenke loszuwerden, ist ja immer gern das Schrottwichteln. Allerdings gibt es auch hier eigentlich nur Verlierer. Wir haben in diesem Jahr eine Riesenbrotdose in Bananengelb mit bananenförmigem Griff zum sicheren Transport einer solchen erwirtschaftet. Dafür hatten wir ein vergleichsweise harmloses, wenn auch recht hässliches Weihnachtsmännchen in die Schrottwichtelkiste geworfen. Im Nachhinein betrachtet, würde ich diesen Tausch gerne rückgängig machen, schon allein, weil das Männchen nur einen Bruchteil so groß war wie die Bananen-Brot-Dose und auch farblich nicht so aufdringlich gestaltet. Ich werde die Riesen-Bananen-Brot-Dose mit dem Plastikmüll entsorgten, denke ich, und mir fällt die Geschichte von dem Rucksack ein, den jeder mit sich trägt: Wirft man alle auf einen Haufen, nimmt angeblich wieder jeder seine eigene, ihm vertraute Last. So ähnlich ist das mit dem Schrottwichteln auch…

Aber zurück zur Melancholie zwischen den Jahren, die in diesem Jahr nicht nur von trübem Regenwetter und grauem Himmel begleitet wird, sondern auch von der Liste, der vielen unzähligen Dinge, die man zwischen den Jahren, nämlich zwischen 2017 und 2019, nicht geschafft hat. Große Dinge, wie das Ausmisten des Kellers, gehören dazu, und noch größere, wie das immer wieder verschobene und nun in zwölf Monaten gar nicht stattgefundene Treffen mit der Freundin. Es ist alles so traurig, finden Sie nicht?! Mein Blick fällt auf den Weihnachtsbaum, über dessen Glanz man sich wenige Tage zuvor noch gefreut hat, und der jetzt schon langsam wieder anfängt lästig zu werden: Eigentlich stand er ohnehin schon die ganze Zeit im Weg. Jetzt nadelt er auch noch. Kaum im Haus, wird es eigentlich schon wieder Zeit, dass man ihn loswird. Genauso wie die Weihnachtsdeko, die man vor wenigen Wochen so erwartungsvoll aus ihren Kisten geholt hat, und die Weihnachtskekse, die aus unerfindlichen Gründen schon ab dem 24.12. keiner mehr will. Die übriggebliebenen Nikoläuse müssen sich langsam mit einem Dasein als feingemahlene Schokostreusel auf einem zukünftigen Kuchen abfinden, und man selbst schaut an sich herunter und bereut jedes Plätzchen, das man gegessen hat, realisiert man doch, dass man die Gänse, Lachse und Crème brûlées bis zum Silvesteroutfit keinesfalls mehr los wird. Und endlich, endlich weiß man auch, was Geoff Smith mit den tief, tief traurigen Liedern auf seiner CD „15 Wild Decembers“ gemeint hat, die man keineswegs anhören sollte, wenn man sich noch ein bisschen Lebenslust bewahren will: Den Blues zwischen den Jahren. Aber wie es immer ist – es kann immer noch schlimmer kommen:

Die Traurigkeit perfekt machen in diesem Jahr die Jahresrückblicke, besser gesagt, das Mega-Ereignis schlechthin, dass erst kurz vor Weihnachten eingeschlagen hat wie eine Bombe: Helene Fischer und Florian Silbereisen haben sich getrennt. Warum nur, warum, haben sie sich diese schlechte Nachricht nicht bis nach Weihnachten aufgehoben? Wissen die denn nicht, dass Weihnachten die emotional überfrachtetsten Tage des Jahres sind? Warum muten sie Deutschland nach den politischen und klimatischen Wirrnissen des Jahres und zusätzlich zu allem Weihnachtsstress auch das noch zu? Während ich mich wohl als Einzige frage, warum sie ihn erst jetzt verlassen hat, fragt sich eine ganze Nation, wie es weitergehen wird: Die Regenbogenpresse warnt Helene bereits vor dem Doppelleben ihres neuen Schluris, und ob Herr Silbereisen sich wirklich so schnell getröstet hat, wie es im Internet steht…. Bleibt zu hoffen, dass die beiden sich nicht bei irgendeinem Schrottwichteln wiedersehen. Denn wie gesagt, da wird ja auch keiner glücklich…