Wenn der Sanddorn steht…

Der Mai ist ja so der Monat, in dem sich die Menschheit angeblich gerne verliebt. Außer mir natürlich, ich bin ja dauerverliebt, wie man weiß, ein Gefühl, das in einem zwanzigjährigen Eheleben nur ganz selten durch so Kleinigkeiten wie permanente Blasmusikbeschallung, Kritik am Einräumen der Spülmaschine und beständige Unlust auf Theaterbesuche getrübt wird.

Über das Verliebtwerden, das Verliebtsein und am Ende auch das Verliebtbleiben dachte ich nach, als ich auf einer langen Zugfahrt die Kennenlern-Anzeigen des Zeitmagazins las. Rein zu Studienzwecken natürlich. Bekanntlich treffen sich in der Zeit ja eher die gutsituierten akademischen Paarungswilligen, die meistens nur aus Zeitmangel – viele von ihnen sind Ärztinnen oder Ärzte, Professorinnen oder Professoren oder als polyglotte Globetrotter unterwegs – nicht einfach so in der Kneipe jemanden kennenlernen. Umso erstaunlicher ist, was sie alles versprechen, was sie, sollte man sich erstmal einig sein, wer die Überlieferungen zufolge horrenden Kosten der elitären Partnervermittlungsagentur trägt, mit ihrer Partnerin oder ihrem Partner so alles machen wollen. Besonders der Anteil von Männern, die mit ihren Zukünftigen alles teilen wollen, vom Theaterbesuch bis zum Dschungelurlaub, vom Yoga-Kurs bis zur philosophischen Diskussion, von den Wagner-Festspielen bis zum Wellness-Trip, ist hier überdurchschnittlich hoch, und ich fragte mich die ganze Zeit, welche Frau, die auch nur halbwegs geradeaus geht, diesen Scheiß glaubt.

Noch dazu, weil die Männer hier ausnahmslos jugendlich oder junggeblieben sind, charmant und sympathisch (wie „Freunde es beschreiben würden“, damit man es nicht selbst tun muss), sportlich, attraktiv, erfolgreich und doch bodenständig. „Charism. selbst. Dr. med“, heißt es in einer Anzeige, „61/183, stilvoll, repräsentativ, mit spitzbübischem Lächeln, Emotionalität, geistiger und verbaler Gewandtheit. Ein erfolgr. impulsgebender, integrer Mann, Kunstliebhaber, Theaterfan, musik- & tanzbegeistert, Gourmet- und Weinkenner etc.“ Dieser Typ hat tatsächlich so viele weitere gute Eigenschaften, dass man sie sich unter „etc.“ gleich dazudenken kann, getreu dem Motto „Darf’s ein bisschen mehr sein?“. Fragte ich mich am Anfang noch, was mit ihm nicht stimmt, dass er immer noch sucht, wenn er doch so toll ist, war mir am Ende der Anzeige klar, dass eigentlich niemand so einen Mann haben möchte.

Also, ich jedenfalls nicht, aber ich bin auch nicht seine Zielgruppe, denn er sucht eine „aparte, anziehende Frau mit äußerlicher und innerer Eleganz.“ Äußere Eleganz hatte ich noch nie und was innere Eleganz ist, das weiß ich gar nicht. Da geht’s schon los. Ist aber auch egal, denn vermutlich bin ich ihm sowieso zu alt: Die meisten der hier suchenden Akademiker hätten nämlich gerne eine Frau, die mindestens zehn Jahre jünger ist als sie selbst. Die diesbezüglich tollste Anfrage kam von einem Professor, Mitte 50, der nun zum Zweck der Familiengründung eine Frau zwischen 20 bis max. 30 Jahre sucht. Seine Kollegen schreiben in dem Fall gerne noch dazu „ohne Vorleben“ (… und von was träumt ihr nachts?) und „Herzensbildung ist für mich wichtiger als der Beruf“, will sagen, sie soll sich dann bitte auf die Familie und die Karriere ihres Gatten beschränken. Später kann sie dann ja, wie die „Blonde Schönheit, 53 Jahre, Arztwitwe“ (was ja auch ein schöner Beruf ist) erneut auf diesem elitären Portal ihr Glück finden oder unter dem Motto „Hoch stand der Sanddorn am Strand von Hiddensee“ nach einem Mann mit Farbfilm suchen. Ich weiß, das ist von Nina Hagen, ich hatte aber auf Anhieb bei dieser Anzeigenüberschrift andere Assoziationen und schäme mich nicht mal dafür. Das mit dem Niveau ist eben so eine Sache, und schon allein deshalb bin ich froh und arbeite mit Inbrunst daran, mich nicht auf solchen Partnerbörsen tummeln zu müssen.

Ginge auch schlecht, denn trotz Niveaus, beruflichen Erfolgs und Doktorinnentitel – fast alles Eigenschaften, die sowieso ich nur in geringem Maß bis gar nicht vorweisen könte – preisen sich die meisten akademischen Damen mit den Attributen „sexy, tolle Figur, anschmiegsam, blond, schlank und sportlich“ an. Auch diese Eigenschaften sind bei mir nur unterdurchschnittlich ausgeprägt. Die Erkenntnis lautet dann auch leider: Es hat sich klischeemäßig also noch nicht allzu viel getan im Geschlechterkampf, wie sonst könnte es im Zeitmagazin von „bezaubernden Oberärztinnen“ und „erfolgreichen Unternehmern“ nur so wimmeln? Da lobe ich mir Patrizia, die Seglerin, die sich als „herrliches Geschöpf aus gutem Hause“ bezeichnet. Das klingt jetzt zwar nicht nach fundierter Ausbildung, aber wenigstens ein bisschen niveauvoll, wenn auch für mich, die ich in einem Heubacher Edeka-Laden aufgewachsen bin, auch etwas arrogant. Aber ich muss sie ja auch nicht daten. Auch nicht die „hübsche, schlanke Reiterin“, die eine „starke, liebevolle Beziehung zu ihren Pferden und Hunden“ hat (ach ja?) oder die devote 48-Jährige, die eine Gleichgesinnte zur Co-Erziehung sucht.

Vier Wochen lang habe ich die Anzeigen jetzt verfolgt. Robert, ein Prof. Dr. Ing. und irgendwann einmal Harvard-Absolvent, sucht jede Woche wieder. Er wendet sich als 78-Jähriger in seinem ersten Satz „An eine ältere Dame“, während gegenüber auf der Frauenseite schon eine 58-jährige „bildhübsche Witwe“ und Oberärztin sich „An einen älteren Herrn“ wendet. Merkste was? Eine andere, explizit christliche Dame sucht einen „Herzensgebildeten Mann, aber keinen Gutmenschen, ohne seelische und fiskalische Altlasten.“ Wie sie auf diese Weise einen dreijährigen AfD-Wähler akquirieren will, ist mir zwar ein Rätsel, aber ich bin ja, wie gesagt, versorgt. Und wie eine erwachsene Frau über Fünfzig noch immer nach einem „Seelenverwandten“ suchen kann, ist mir auch ein Rätsel. Ernsthaft? Man hat den Eindruck, dass man auch auf dieser Kontaktseite ein bisschen zwischen „Wünsch’ dir was“ und „Traumhochzeit“ schwebt, und wahrscheinlich glaubt hier keiner keinem, sonst könnten ja die Männer ganz einfach auf der Frauenseite fündig werden und umgekehrt. Dass das offenbar nicht passiert, ist zumindest schon mal ein Zeichen für ansatzweise ausgeprägten Realitätssinn. Und unter realistischen Voraussetzungen könnte auch der „Musikbeg. Kieferorthopäde“ direkt gegenüber die „Bildhübsche Kieferorthopädin“ finden – vielleicht nicht direkt zum Heiraten, aber vielleicht doch für eine Gemeinschaftspraxis, wer weiß.

Und während ich mich so durch die Anzeigen quälte und mein Mann mir beim Anstreichen der interessantesten erstaunt und auch etwas fragend über die Schulter schaute, fragte ich mich, was ich wohl schreiben würde, wenn ich auf der Suche wäre. Oder wem von den ganzen Jungs in der Zeit ich wohl antworten würde. Ich wischte den Gedanken bei Seite, auch wenn dieser politisch links-grüne Kosmopolit mit türkischen Wurzeln….

Aber ich bin ja versorgt, hatte ich das schon gesagt?