Weltmännertag

„Liebe Frau Schlitt, heute ist Weltmännertag, und damit der Spaß an diesem internationalen Aktionstag nicht zu kurz kommt, schenken wir Ihnen – nur heute – 15% Rabatt auf unser gesamtes Herren-Sortiment. Also gleich mal reinschauen und sparen! Ihr Gutschein-Code: HERREN15. Viel Spaß beim Stöbern wünscht Ihnen Ihr Tchibo Team.“

Wie immer, wenn mir die netten Leute von Tchibo persönlich schreiben, klickte ich auch hier direkt auf die Website und wunderte mich zunächst nicht, warum Tchibo meint, ich wollte etwas zum Weltmännertag kaufen oder schenken. Heute, mit ein wenig Abstand – der Weltmännertag war am 3. November – denke ich schon, dass sie vielleicht besser meinem Mann geschrieben hätten. Natürlich haben sie seine Mail-Adresse nicht, aber ich hätte sie ihnen gerne gegeben, wenn sie mich gefragt hätten. Ich meine, der originelle Code HERREN15 versprach schließlich ganze 15 Prozent auf das Herrensortiment. Da kann man doch mal schauen. Und das tat ich.

636 Artikel zeigte Tchibo unter der Rubrik Herrenmode an. Und ganz ehrlich, ich erschrak: Fast nur Sport- und Outdoorklamotten gab es da. Und Unterwäsche einschließlich Socken. Die Farbwelt beschränkte sich zu achtzig Prozent auf Schwarz, helles Schwarz und dunkles Grau, die anderen zwanzig Prozent waren rot und blau mit einer kleinen extravaganten Tendenz zu oliv. Einzig eine bunt gemusterte Bikinitasche hellte die Website ein wenig auf. Vermutlich falsch kategorisiert, nahm ich an, oder vielleicht als kleine Annäherung an die Geschlechterdiversität unserer Zeit gedacht. Oder beides. So betrachtet war ich froh, dass mein armer Mann sich diesen Notstand nicht anschauen musste, wenngleich ein paar schöne schwarze oder graue Hoodys dabei waren. Und Unterhosen und Socken kann man ja immer brauchen. Zumal bei 15 Prozent!

Aber ich hielt mich zurück. Denn eigentlich war die ganze Aktion ja durch und durch diskriminierend. Nicht nur, weil nicht mein Mann, sondern ich angesprochen wurde, sondern auch, weil unter der Rubrik Damenmode 2728 Artikel angeboten wurden. Mehr als viermal so viel! Und das in allen möglichen Farben und Mustern! Mir wurde bewusst, dass eigentlich die Männer die Benachteiligten unserer Gesellschaft sind: Nicht nur werden sie von Tchibo nicht persönlich angeschrieben, sondern die Auswahl für sie wird auch bewusst klein und hässlich gehalten.

Und sie werden gar nicht als das gesehen, was sie sind: Als Personen, die ein kleiner „Nur heute“-Hinweis noch lange nicht panisch zum Kaufen verführt. Männer brauchen Zeit, bis sie aus 636 Artikeln das Richtige gefunden haben. Die Spanne von dem einen Weltmännertag am 3. November bis hin zum Internationalen Männertag am 19. November wäre da vielleicht gerade ausreichend. Wer sich jemals so intensiv wie ich mit der männlichen Psyche im Allgemeinen und dem männlichen Kaufverhalten im Besonderen beschäftigt hat, der weiß: Männer sind für Spontankäufe einfach nicht gemacht. Schon allein für eine mittelmäßige Backgroundrecherche investieren sie mindestens drei, vier Abende in Foren, Chats und natürlich bei Stiftung Warentest. Vom Marketing-Aspekt her gesehen war es dann vielleicht doch ein Wahnsinnsschachzug, die Auswahl zu begrenzen und die Frauen für ihre Männer einkaufen zu lassen. Also, wenn es hart auf hart kommt, kann ich mich in zwölf bis vierundzwanzig Stunden entscheiden. Manchmal auch in zwölf bis vierundzwanzig Sekunden. Ich meine, 636 Artikel, die hat man doch wirklich bei einem Kaffee durchgescrollt!

Der Weltmännertag wurde, wie eifrige Leserinnen und Leser meiner Kolumnen schon wissen, seinerzeit unter der Schirmherrschaft von Michail Gorbatschow ins Leben gerufen, um das Bewusstsein der Männer im gesundheitlichen Bereich zu erweitern. Ich sehe dringenden Handlungsbedarf, den Fokus auf Gleichbehandlung in der Modebranche zu erweitern. Hierzu müsste man vielleicht mal die Organisatoren des Internationalen Männertages anschreiben, denn der dient dazu, Benachteiligungen von Männern und Jungen aufzuzeigen.

Und plötzlich wusste ich auch, was die Gleichstellungsbeauftragte im Vogelsbergkreis, mit der ich mich heute Morgen traf, um über die Frauenwoche im nächsten Jahr zu sprechen, meinte, als sie sagte, sie habe das Gefühl, sie müsse endlich mal was für die Männer tun. Das sehe ich nach der Tchibo-Erkenntnis genauso. Ich denke, die Planungen für die Frauenwoche müssen jetzt erstmal ruhen. Wen interessiert schon der Equal-Pay-Day (im kommenden Jahr übrigens am 6. März), wenn es darum geht, beim Kleiderkauf dermaßen benachteiligt zu sein. Wir werden uns darum kümmern müssen, die Gleichstellungsbeauftragte und ich. Männer, ihr könnt auf uns zählen!