Weiberfasching

Eigentlich finde ich Weiberfasching ja blöd. Ich bin ja nicht schreckhaft, aber die Vorstellung unzähliger betrunkener Frauen und weniger mutiger Männer auf einem Haufen macht, oder besser gesagt, machte mir Angst. Bis ich selbst dabei war. Man soll ja auch mal seine Prinzipien über Bord werfen und Dinge tun, die man noch nie getan hat. Zwerge töpfern vielleicht oder eben zum Weiberfasching gehen. Da stellt sich natürlich zunächst die Verkleidungsfrage. Schon die Jahre zuvor habe ich festgestellt, dass ich nicht so der Marienkäfer- und Erdbeeertyp bin. Wenn verkleiden, dann richtig, was man für mich in etwa unter dem Begriff „Hafenschlampe“ zusammenfassen könnte. Ich weiß jetzt nicht, was ein Therapeut dazu sagen würde, aber es läuft bei mir immer irgendwie auf dasselbe hinaus: kurzer Rock, großer Ausschnitt und gefährliche Frisur. Was will uns das sagen? Und was ist wohl davon zu halten, dass ich fast alle Klamotten, die ich am Fasching bisher anhatte – jetzt mal abgesehen von dem 1A-Boney M.-Kostüm, das mir freundlicherweise meine Lieblingsfriseurin ausgehliehen hatte – ganz locker aus meinem Kleiderschrank hole?! Darin befinden sich offenbar Paillettentops aller Art, Glitzerstrümpfe und kurze schwarze Röcke so wie bei anderen Leuten Jeans und T-Shirts. Wo kommt das Zeug eigentlich alles her? Ist das meins, und wenn ja, warum? Und was macht es eigentlich den Rest des Jahres?

Fragen über Fragen, aber wie dem auch sei, zwängte ich mich in mein „Mutti-muss-sich-was dazu-verdienen“ – Outfit und stürzte mich ins Getümmel. Und was soll ich sagen? Ab der zweiten Flasche Sekt fühlte es sich gar nicht mehr so falsch an. Die Stimmung stieg, wie immer bei solchen Anlässen, proportional zur Uhrzeit und zum Alkoholkonsum, und als ich einen Grund brauchte, nicht zur anvisierten Uhrzeit das Etablissement zu verlassen, verlegte ich mich auf Studienzwecke. Fortbilden kann man sich schließlich überall, warum also nicht auch auf dem Weiberfasching? Das Forschungsgebiet: „Die Entwicklung der Männerballetts im 21. Jahrhundert“. Das Fazit zuerst: Dieses Genre ist auch nicht mehr das, was es mal war. All die Jahre konnte man sich zuverlässig darauf verlassen, dass ein Männerballett eine Gruppe unrasierter Männer mit bieroptimierten Figuren in schlechtsitzender Miederware ist. Die netzbestrümpften Fußballerbeine Can-Can-schwingend in Turnschuhen, die falschen Brüste verrutscht, die Perücken ebenso – eine Augenweide sieht anders aus! Und heute?

Heute finden sich auch in den kleinsten Dörfern offenbar genügend junge, gutaussehende Männer, die ziemlich sportlich unterwegs sind und kraftvolle, akrobatische und tänzerische Darbietungen bringen, die den Begriff „Männerballett“ in völlig andere Sphären heben. Mal mehr, mal weniger geschmeidig, aber immerhin. Auch den Sex-Appeal interpretieren die Männerballetts 2.0 völlig neu: Zum Ende ihrer Darbietung ziehen sie – zumindest obenrum – blank, zeigen glatte, meist tätowierte, gutgebaute Oberkörper, und die Damen in den ersten Reihen sind hin und weg. Wahrscheinlich völlig zu Recht, dachte ich, während ich mir diese Aktionen aus sicherer Entfernung anschaute und den Jungs gerne zugerufen hätte: „Es ist doch so kalt, ihr Lieben, und ihr seid sooo geschwitzt! Zieht euch was an, ihr verkühlt euch noch!“ Natürlich verhallte meine nicht ausgesprochene Fürsorge ungehört, was vielleicht auch besser war. Schließlich war ich ja verrucht und nicht mütterlich unterwegs.

Die fortgeschrittene Nacht bescherte mir schließlich mein persönliches Highlight, als ich dem heißesten Typ des Abends mit meinem kleinen Taschenmesser den Schlips abschneiden durfte. Da hatte sich der ganze teure Sekt doch gelohnt! Der symbolbeladene Schnippel liegt jetzt immer noch auf meiner Bürotreppe und ich weiß nicht recht, wohin damit. Ist das jetzt ein wertvolles Andenken oder kann das weg? Am Tag danach erreichte auf geheimen Kanälen ein Foto mein Handy. Traudi kurz vor zwei, der Verwackelungsgrad des Bildes in etwa gleichwertig mit dem der dargestellten Person und vermutlich auch der Fotografin…

Aber: Schwamm drüber. Fasching ist vorbei, die Glitzerklamotten verräumt, und wir haben jetzt ein Jahr Zeit, die vielen „Uiuiuiuiuiui’s“ und „Wowowowowow’s“ aus dem Kopf zu kriegen. Sollte eigentlich klappen, oder?!