Wasserwelle
„Ihr seid nicht schöner.“ Auf diesen einfachen Nenner samt Boden der Tatsachen brachte meine Oma uns stets zurück, wenn wir uns früher auf Fotos sahen und nicht vorteilhaft aufgenommen fühlten. Nun muss man wissen, dass meine Oma vor noch nicht allzu langer Zeit 95-jährig starb und in ihrem Leben wahrscheinlich niemals über selbstoptimierende, verjüngende oder verschönernde Maßnahmen nachgedacht hatte. Irgendwann war sie wohl mal auf Creme 21 gekommen, die stets bei ihr im Bad stand. Und wenn es mal ganz hochkam und sie zum Friseur ging, gab es stets nur eine Wasserwelle, natürlich keine Farbe. Aus die Maus.
Obwohl ich, wie alle Mädchen, deren Sturm- und Drangzeit in die 80er-Jahre fiel, irgendwann eine Dauerwelle hatte und anfing, mit Kajalstift zu experimentieren, ging auch ich sehr lange Zeit ungeschminkt durchs Leben. Bei einem Schminkkurs der Volkshochschule saß ich in den 90ern mit meiner Freundin vor einer Spülschüssel mit warmem Wasser und kleinen Schwämmchen und war am Ende durchaus angetan von den Wundern der Kosmetik. Aber der Aufwand…
Irgendwann stellte ich fest, dass alle anderen Frauen auf Fotos immer besser aussahen als ich, und mit Mitte vierzig fing ich dann doch an, auf eine B&B-Creme mit leichter Tönung umzusteigen, die meine Rosigkeit sanft und nicht immer wirkungsvoll überdeckt. Und ich kramte auch meinen alten Kajalstift wieder raus. Und kaufte Lidschatten und Nagellack. Als ich besonders mutig wurde (und es altersbedingt auch nötig erschien), gab ich – tatsächlich erst vor wenigen Jahren – meine Aversion gegen Wimperntusche auf und seit letztem Jahr bin ich begeisterte Nutzerin eines Augenbrauengels mit Mascara. Nur mit dem Lidstrich hapert es noch. Und mit Concealer und den ganzen Tricks, wie man Augenringe weg und Wangen hohl schminkt, in der Fachsprache „Contouring“ genannt, wie ich erst letzte Woche beim Spazierengehen erfuhr. Dennoch sieht es inzwischen in meiner Hälfte des Badezimmerspiegelschranks so aus wie ich es bei Verona Pooth vermute, aber noch immer werde ich auf Fotos abgehängt.
Was natürlich daran liegt, dass ich, wenn ich Fotos mache, einfach so fotografiere. Und dann poste ich sie, wenn es sein soll. Aus die Maus. Mit dem Ergebnis, dass ich halt so aussehe wie immer. Wenn ich dann schon mal auf Insta bin, schaue ich mir Bilder an von Frauen, die vor einer tollen Landschaft stehen, die wahnsinnig strahlen, deren Körperhaltung perfekt ist, deren Hintergrund verschwimmt und deren Augen ein verschwörerisches Glitzern ziert. Wow. Und während ich seinerzeit mal versuchte, meinen Mann davon zu überzeugen, dass bei den Promifrauen, die sich quasi nur schnell ein wenig Glitzer über ihre Bodys werfen, bevor sie auf den roten Teppich gehen, alles, was bei mir ungestützt nach unten hängt, bei denen unsichtbar festgeklebt ist, und er mir nicht glauben wollte, bin ich lange Zeit selbst dem Irrtum aufgesessen, alle, wirklich alle Frauen im Internet seien so schön wie man sie dort sieht, und damit natürlich um Längen schöner als ich. Also schöner im Sinn von glitzernder, makelloser, jünger, dünner. Schöner halt.
Und dann fand ich die Filterfunktion! Erst machte ich nur meine Landschaften schöner, das Licht ein bisschen heller oder dämmriger, je nach Bedarf. Aber als ich letztes Jahr im Schwimmbad war, da fand ich eine ganze Reihe Filter und wurde für einen kurzen Moment zur Göttin! In Schwarzweiß natürlich, unter einer Schicht von mindestens fünf Filtern begraben, schien ich den Fluten des Erlenbades entstiegen wie einst Ursula Andress der Meeresgischt vor den Augen des völlig verzückten James Bond. Oder so. Auf jeden Fall dauerte es nicht lange, und ich kriegte nicht nur Likes von meinen freundlichen Freundinnen, sondern auch Kontaktfanfragen von südländisch aussehenden Männern, die ich vom Alter her gut hätte adoptieren können. Da wurde mir schon ein wenig mulmig, ehrlich gesagt. Ich, 53 Jahre alt, kam mir vor, als hätte ich die Büchse der Pandora geöffnet und Geister gerufen, derer ich nicht mehr Herrin werden konnte. Und gelogen war das Ganze ja auch. Ich machte schnell noch zwei Freundinnen schöner und vergaß die Filterfunktion.
Inzwischen poste ich mich wieder halbwegs normal, auch weil ich zu faul bin, ewig an meinen Fotos rumzudoktern genauso wie an mir selbst. Aber ich bin immer noch fasziniert von den schönen Frauen auf Instagram, an denen man sich, wenn man will, täglich, stündlich, minütlich abarbeiten kann. Wenn man will. Aber wenn man genau hinschaut, dann erkennt man, dass sie alle denselben Snapchat-Augenglitzerfilter verwenden – schon tausendmal gesehen. Dass sie gelernt haben, ein Bein vor- oder auszustrecken, damit sie größer und dünner aussehen. Dass sie auf ihren sogenannten Spiegelselfies (was es alles gibt) eigentlich alle austauschbar geworden sind. Obwohl sie das in echt (wie man seit den 80er-Jahren so schön sagt) natürlich nicht sind. Ganz bestimmt sind sie auch in Natur, also ungefiltert, so schön wie wir. Mal mehr, mal weniger. Mal mit kleinen Pickelchen im Gesicht, mal mit einem Strahlen. Hausgemacht. Von guten Freunden und schönen Erlebnissen ins Gesicht gezaubert.
Ganz nebenbei, vielleicht bei einem kleinen Aperol in der Frühlingssonne ohne großen zeitlichen Aufwand – that’s life. Ungefiltert und echt und soooo schön!