Wahlvorschläge, bitte!

Ich bin Staatsbürgerin. Ein hohes Amt, finde ich. Ich verteidige die Demokratie, wo es geht. Nicht, weil ich sie perfekt finde, aber besser als alles andere, was die Menschheit bisher so fürs Zusammeneben im großen Stil erfunden hat. Und ich bin nicht intelligent genug, mir was Besseres auszudenken. Leider. Denn es wäre Zeit. Es läuft nicht gut mit der Demokratie. Sie lässt irgendwie alles mit sich machen, finde ich. Sie müsste viel mehr zeigen, was sie wert ist und dass jetzt mal Schluss ist mit lustig. In den letzten Tagen wurde mir das an vielen kleinen Beispielen bewusst. Als ich im Landtag war, zum Beispiel.

Zusammen mit einem Bus voll interessierter Bürgerinnen und Bürger wollte ich meine gewählten oder auch nicht gewählten Abgeordneten mal in Aktion erleben. Live und in Farbe. Gar nicht so einfach. Als wir vorschriftsmäßig und natürlich von langer Hand geplant am Landtag ankamen, wurde uns mitgeteilt, dass unsere Abgeordneten ihr Vormittagsprogramm überzogen hatten (was ja erstmal für ein engagiertes Parlament spricht) und jetzt erst in ihre zweistündige, ich wiederhole, zweistündige Mittagspause gingen. Das wäre mittwochs so. Also, das mit der langen Pause. Freundlich lächelnd zogen die wichtigen Herren und Damen, unsere Volksvertreter, an Teilen ihres Volkes vorbei. Nicht eine Sekunde dachten sie daran, dass sie ihrem Souverän ja vielleicht mal ein bisschen was schuldig wären – so performancemäßig -, und dass sie vielleicht auf eine Stunde ihrer Pause verzichten könnten, wenn sich 40 Leute auf den weiten Weg zu ihnen gemacht haben. Wir bezahlen sie schließlich – jeder Einzelne zwar nur mit einem minimalen Anteil, aber im Kollektiv dann doch. Nicht, dass ich den Abgeordneten das feine Mittagsessen nicht gönne. Aber wenn ich irgendwo arbeite und meine Chefs kommen extra angereist, um mir dabei zuzuschauen, da fühle ich mich schon so ein bisschen unter Druck und wäre eventuell bereit, auf Pausen jeglicher Art zu verzichten, um ein gutes Bild abzuliefern. Doch das mit dem Dienstleistungsgedanken haben die Abgeordneten offenbar noch nicht so richtig verinnerlicht.

Als die Pause um war, durften wir ihnen noch 15 Minuten zuschauen. Sie kamen pünktlich zu ihrer Sitzung, teilweise zumindest, und nahmen ihre Plätze ein. Dort unterhielten sie sich mit ihrem Sitznachbarn, daddelten auf ihren Handys, lasen Zeitung oder bereiteten einen Redebeitrag vor. Von oben, wo wir saßen, machte es den Eindruck einer schlechterzogenen Schulklasse. Am Rednerpult mühte sich ein Vertreter der Linken mit gar nicht mal so dummen Gedanken zur Wohnpolitik und Wohnrealität. Einzig seine Parteigenossen hörten ihm zu und applaudierten. Andere riefen immer mal dazwischen, aber sonderlich interessiert war niemand. Der Redner selbst gab zu Beginn seines Auftrittes zu, dass er bisher nicht dazugekommen sei, den kurz zuvor noch eingereichten Antrag der SPD zu lesen – offenbar war die zweistündige Mittagspause zu kurz -, was aber auch egal wäre, da man ihn ohnehin ablehnen werde. Ich persönlich fragte mich nach dem Demokratieverständnis der Abgeordneten auf der einen Seite und der Bedeutung des Wortes Parlament auf der anderen. Hat zwar mit Sprechen zu tun, das stimmt und das wurde ja auch genutzt, aber ich dachte, so ein bisschen Zuhören wäre da irgendwie mitgemeint.

Der Besuch im Landtag ließ mich aber nicht nur deshalb an der Demokratie zweifeln, weil ich mich fragte, wie auf diese Weise jemals überhaupt ein tragfähiger, demokratisch herbeigeführter Beschluss gefasst werden könne, sondern auch, weil ich quasi nebenbei erfuhr, dass wir zur Landtagswahl auch noch über 15 Verfassungsänderungen in Hessen abstimmen dürfen. Ich bin jetzt nicht immer so super auf dem Laufenden, aber ich würde behaupten, wenn ich es nicht weiß, dann wissen es 50 bis 75% der Wählerinnen und Wähler bisher auch nicht. Wann bitte soll uns das denn mitgeteilt werden, fragte ich mich, und war so ein bisschen am Verzweifeln. Es war die Woche, in der sich Herrn Maaßens Schicksal anschickte, eine Wendung zu nehmen. Inzwischen wissen wir, welche Wendung das zumindest vorübergehend war, und wenn Kevin Kühnert von der SPD sagt, dass der Innenminister („Du weißt schon wer“) mit seiner Entscheidung einem Mann, der in dem einen Amt als nicht mehr tragbar erachtet wird, ein höher dotiertes und bis zu diesem Zeitpunkt zumindest noch besser angesehenes Amt zu übertragen, den Bürgerinnen und Bürgern den Mittelfinger gezeigt hat, dann ist das sehr untertrieben.

Ein Schock für alle Menschen wie mich, die ihre Umgebung von den Vorzügen der Demokratie überzeugen wollen und dazu auch gleich noch von der Nichtwählbarkeit populistischer Parteien. Es war die Woche, in der ein Wald für Braunkohle – deren Abgesang zumindest nach außen schon begonnen hat – und den Profit eines offenbar gut vernetzten Konzerns abgeholzt wurde. Es war die Woche, in der der Verkehrsminister den VW-Konzern dann doch wieder vor Hardware-Umrüstungen beschützte und die Verantwortung für das Fehlverhalten desselben auf die Dieselfahrer abwälzte. Und es war die Woche, als ich erfuhr, dass es jede Menge Ehrenamtlicher gibt, die von ihrer Aufwandsentschädigung Steuern zahlen müssen, was für Firmen wie Amazon und Starbucks erst noch zu beweisen wäre. Wenn man dann noch bedenkt, dass eine Verfassungsänderung die Stärkung des Ehrenamtes vorsieht, schließt sich zumindest für diese Betrachtungen ein Kreis, der nicht grade für gute Laune sorgt.

Angesichts dieser Beispiele könnte man durchaus so ein bisschen politikverdrossen werden und in schönster Stammtischmanier auf „die da oben“ schimpfen, was sich natürlich für eine echte Demokratieretterin wie mich nicht schickt. Nun bin ich zwar nicht intelligent genug, mir eine alternative Staatsform vorzustellen, aber natürlich nicht so blöd, dass ich aus Frust oder Verzweiflung AfD wählen würde. Aber wen kann ich denn wählen, wenn ich Antwort darauf haben will, warum so viele Dinge schieflaufen und irgendwie nicht mehr erklärlich sind? Ich frage jetzt mal diejenigen, die sich um meine Stimme bewerben. Mal schauen, was die mir raten…