Von Wundertüten und schwarzen Löchern – Teil 1

Ja, das sind sie wohl: Wundertüten, schwarze Löcher, ein Mysterium – für Männer allzumal. Erst neulich dachte wieder ein wohlmeinender Herr, er könne das Geheimnis meiner Handtasche mit einer Handtaschenlampe lösen, die er mir augenzwinkernd zukommen ließ und die direkt in den Untiefen meines All-time-Rettungsbeutels verschwand. Quelle idée ridicule, würde die Französin sagen, nicht nur, weil sie stilbildend auch in vielen Fragen der Handtaschenmode ist, sondern sie wäre damit auch gleich der Geschichte der Handtasche auf der Spur:

Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts nämlich waren in England und Frankreich kleine gestrickte Beutel für Damen verbreitet, in denen sie alles Nötige verwahrten. „Réticules“ hießen die Beutel, „kleine Netze“. Da war der Weg zu dem Wort „ridicule“ – lächerlich – nicht weit. Die Männer hatten wohl ihren Spaß mit den kleinen Dingern voller vermuteter Unwichtigkeiten, weil sie Frauen per se nicht zutrauten, etwas wirklich Wichtiges mit sich herumzutragen. Tatsächlich war es nicht allzu viel, was sich in den Täschchen befand, und es betraf an sich auch nur die Damen der feinen Gesellschaft. Bis zum Premier Empire, also dem Beginn des 19. Jahrhunderts, konnten sie ihre Fächer und ihr Riechsalz, ihre kleinen Puderdosen, Parfumflacons und Taschentüchlein noch unter ihren üppig gebauschten Kleidern und Röcken verwahren: in am Taillenband befestigten Stoffsäckchen, in die man durch Schlitze im Rock hineingreifen konnte. Doch mit dem Ersten Kaiserreich kamen enganliegende Kleider und durchscheinende Stoffe auf. Da war nichts mehr mit irgendwo was verstecken und im Falle einer Ohnmacht schnell und unauffällig hervorzaubern. Und schon waren die kleinen externen Beutelchen erfunden. „Indispensables“ – die Unentbehrlichen – nannte man die kleinen, vermeintlich lächerlichen Säckchen in England, durchaus etwas verständnisvoller als in Frankreich, aber wie gesagt, es war auch nur das Nötigste darin. Denn für alles Schwere hatte man ja die Männer: Ehemänner oder Dienstboten trugen Einkäufe oder andere Dinge nachhause, auch einen Schlüssel besaßen diejenigen Frauen, die Handtaschen trugen, nicht: Ihnen öffnete in der Regel ein Diener oder ein Hausmädchen die Tür.

Doch wir alle, die wir zu diesen Zeiten wahrscheinlich mehrheitlich der nichthandtaschentragenden Fraktion angehört hätten, wissen, dass die Zeiten sich änderten. So ist die Handtaschenmode durchaus als Zeichen sich verändernder Gesellschaftsformen und natürlich auch Rollenbilder zu sehen: Claire Wilcox, Professorin für Modekuration am London College of Fashion, sagt dazu, dass der gesellschaftliche Rollenwechsel der Frau sich auch im Wandel der Handtasche vom ursprünglich kleinen Beutel mit Zugkordelverschluss zum voluminösen Einkaufssack zeigt.

Feministisch betrachtet wird das vielschichtig: Während wir uns – egal mit welcher Handtasche und was auch immer sich darin befindet – meistens emanzipiert fühlen, fand beispielsweise die amerikanische Feministin Letty Cottin Pogrebin, die Handtaschenmode mache aus Frauen nicht nur – frei nach Simone de Beauvoir – das zweite Geschlecht, sondern auch das schleppende: Frauen würden dazu gezwungen, modischen Aspekten mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als der Zweckmäßigkeit, und sie verwies darauf, dass „Kleidungsstücken für Damen meist nur winzige Taschen appliziert sind“, während Männer in ihren Hosen und Anzügen zahlreiche Unterbringungsmöglichkeiten für Brieftaschen, Brillen, Schlüssel und anderes hätten. Das stimmt natürlich, aber ganz ehrlich: Wenn ich all das, was ich in meiner Handtasche mit mir herumtrage, am Leib tragen müsste, hätte das den Vorteil, dass ich nie wieder über eine Diät nachdenken müsste, da ich rundherum ausgestopft wäre, meist mit extrem eckigen Dingen wie einem Schreibheft und einem Mäppchen, dem immer größer werdenden Handy, dem ebenfalls immer größer gewordenen Portemonnaie, dem Täschchen, das – vielleicht ähnlich dem einstigen Réticule – die notwendigen Dinge wie Handcreme, Deoroller, Nagelfeile, Pflaster, Kopfschmerztabletten, Taschenmesser und Feuerzeug enthält, alles kleine Sachen, die man nicht einzeln in der Tasche herumfliegen haben möchte und die bei einem Taschenumzug schnell mitgenommen werden müssen. Aber auch die (zumindest) mir bekanntere Feministin Germain Greer behauptete, Frauen würden durch das Tragen von Taschen auf ihre archaische Rolle festgelegt: „Lasten zu schultern ist eine uralte Gewohnheit der Frau und Ausdruck ihrer Versklavung.“

Auch wenn uns als passionierte Handtaschenträgerinnen – und mir im Besonderen als passionierte Große-Handtaschenträgerin – das etwas weit hergeholt scheint, können wir uns vielleicht darauf verständigen, dass wir uns mit der Emanzipation, die sich ja hauptsächlich an einer halbwegs gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben auswirkt – arbeitsmengenmäßig nicht unbedingt verbessert haben, um nicht zu sagen, verschlechtert. Ich kenne kaum einen Fall, in dem Erwerbs- und Familienleben zu gleichen Teilen unter den Männern und Frauen (jetzt mal das klassische Familienbild zugrunde gelegt) verteilt ist. Das führt dazu, dass wir als Frauen in unserem Alltag nicht nur verschiedene Hüte aufhaben, was ja nur im übertragenden Sinn gemeint ist und vielleicht auch mal eine eigene Betrachtung wert wäre, sondern auch verschiedene Taschen tragen oder -falls es nur eine ist – verschieden gefüllte. So sind Taschen in der Regel auch stets das Spiegelbild der aktuellen Lebensumstände einer Frau: Dem Inhalt des lebenswichtigen Accessoires kann man ansehen, ob es sich um eine fürsorgliche Mutter handelt, die stets Feuchttücher und abgepackte Kekse und Trinken mit sich rumschleppt, während eine Hundebesitzerin in ihrer Tasche stets ein paar Doggy Bags, Leberwurstpaste und andere Leckerlis umherträgt.

So kann durchaus etwas an der These des Soziologen Daniel Harris dran sein, der sagte, die Handtaschen der Frauen seien in dem Maß größer und voller geworden, in dem immer mehr Frauen einer Erwerbstätigkeit nachgingen: „Es war, als hätten die Frauen im Zuge dieses Rollenwechsels sozusagen am eigenen Leib ein mikrokosmisches Heim eingerichtet, eine mit Talismanen angefüllte, heimliche Vorratskammer, welche die Intimität und Geborgenheit der häuslichen Welt andeutete.“ Also, wenn ich so in meine Handtasche schaue, dann wird mir durchaus klar, was Herr Harris mit diesem etwas verschwurbelten Satz meint: Meine Handtasche kann mir durchaus das Überleben sichern, auch wenn sich die dazu nötigen Utensilien mit den Jahren, um nicht zu sagen mit den Jahrzehnten, gewandelt haben: Mit Anfang zwanzig war darin IMMER ein Beutelchen mit einer Zahnbürste, Zahncreme und einer Ersatzunterhose zu finden, da man ja oft nicht so genau wusste, wo man am nächsten Morgen aufwachen würde, was sich jetzt verwegener anhört, als es tatsächlich war. Dazu natürlich die Pille, Tampons, ein Kajalstift, ein Adressbüchlein mit Briefmarken, Schreibzeug und ein Kalender. Viele dieser Dinge sind in einem Leben im 21. Jahrhundert und über fünfzig unnötig geworden und werden durch Handy und homöopathische Mittel gegen Wechseljahresbeschwerden ersetzt, durch Frischetüchlein und eine Slipeinlage für Notfälle aller Art. Nur das Schreibzeug ist geblieben. Aber ich schweife ab. Oder eigentlich auch nicht, denn Harris glaubt über das Ding mit dem Mikrokosmos hinaus, dass die Handtaschen bzw. deren Inhalt, Ausdruck sei für die „drei vernachlässigten Aufgaben der Frau: Sie sorgt für ein behagliches Heim, betreut den Nachwuchs und kümmert sich auch darüber hinaus um die Nöte der Familie.“ Im Klartext heißt das: Wir haben nicht nur unsere Survival Kits in unseren Taschen, sondern mindestens auch die unserer Kinder und ganz oft auch die unserer Männer: Bei uns verlassen sich alle drauf, dass ich Tempos, Schlüssel und Geld dabeihabe, seit neuestem auch Mundschutze, dass in meiner Tasche Platz für alle Handys ist, die inzwischen sogar für Männerhosentaschen zu groß geworden sind, und dass sich im Zweifel auch Pfefferminzbonbons, Zigaretten, Schnuggel und im Sommer etwas zu trinken darin befindet. „Die drei vernachlässigten Aufgaben der Frau“ hört sich jetzt aus feministischer Sicht zwar ganz schön scheiße an, aber vielleicht – und ich kann da ja nur von mir ausgehen – ist die Handtasche am Ende tatsächlich Ausdruck des schlechten Gewissens, das wir als Frauen haben, weil wir permanent glauben, unsere Aufgaben eben nicht in ausreichendem, sprich perfekten, Maß nachzukommen.

Und so sind wir stolz darauf, dass wir mit dem Inhalt unserer Handtaschen allzeit bereit sind, unvorhergesehene Katastrophen zu meistern – zumindest für 99% aller Alltagssituationen wären wir gewappnet, würde ich mal behaupten. Als ich neulich einen Mann fragte, was er in seiner Tasche hatte, die er mit sich trug, sagte er: Portemonnaie, Schlüssel, Tempos. Fertig. Spätestens jetzt sollte klar sein, was die amerikanische Reporterin und Kolumnistin Enid Nemy damit meinte, als sie sagte: „Was eine Frau für lebenswichtig hält, bewegt sich in einem ganz anderen Rahmen, in einem viel größeren und kreativeren, als sich dies Männer vorstellen.“

Quelle: Laird Borelli und Valerie Steele: Handtaschen, Du Mont 1999