Von Monologen und Überreaktionen

„Ich weiß ja, dass du Sprachnachrichten nicht leiden kannst, aber ich sitze grade im Auto.“ So oder so ähnlich fangen in der Regel die Sprachnachrichten an, die mir meine verschiedenen Freundinnen mitunter schicken. Ja, denke ich dann, wenn du weißt, dass ich keine Sprachnachrichten mag, dann schicke mir keine. Und dass du im Auto sitzt, höre ich am Autogeräusch. Und wo ist eigentlich der Nachrichtenwert dieser beiden überflüssigen ersten Sätze, die ich mir – so wie die ganze Sprachnachricht – erst Tage später anhören werde, da ich meistens nicht in einer Umgebung bin, in der ich einfach mal so Nachrichten abhören kann. Weder an der Arbeit noch im Kreis meiner Lieben noch in der Öffentlichkeit. Man stelle sich mal vor, besagte Freundin würde mir einen Ehebruch (oder den ihrer Nachbarin) beichten und ich würde damit mangels Kopfhörer und mangels Willens, mir das Handy minutenlang blöd ans Ohr zu halten, die ganze Schlange bei tegut beschallen. Irgendeiner kennt die Freundin oder ihre Nachbarin bestimmt! Ich kann es nicht und ich will es auch nicht.

Bei kurzen kleinen Infos versuche ich inzwischen zwar Toleranz zu üben – was mir schwer genug fällt -, aber es gibt ja so Nachrichten, die dauern und dauern und dauern. Und die fangen dann häufig so an: „Ich weiß ja, dass du keine Sprachnachrichten magst, aber ich muss dir jetzt echt mal ‘ne lange schicken. Sorry.“ Wenn ich schon die Info unter der Nachricht sehe, dass jetzt fünf Minuten Text kommt, kriege ich Schnappatmung und fange gar nicht erst an, abzuhören, obwohl ich eine Ahnung habe, dass fünf Minuten bei geübten Sprachnachrichtenkommunikatorinnen gar nichts sind, gar nichts. „Mollys Monolog“ aus James Joyce’s „Ulysses“ ist nichts dagegen.

Ich weiß nicht, warum man ernsthaft meinen kann, ich wolle mir mitunter sogar zehnminütige – meist Klagen – über irgendwas anhören, noch dazu ohne die Möglichkeit, direkt zu antworten oder gar mein Gegenüber zu unterbrechen, was, wenn man den Einlassungen meines Mannes Glauben schenken möchte, eine meiner Kernkompetenzen ist. Was natürlich nicht stimmt. Das Unpraktische an Sprachnachrichten ist zudem, dass man sie nicht in Sitzungen oder wo auch immer mal so nebenbei anschauen kann. Ich bin ja neugierig und möchte immer gleich wissen, was man mir mitteilen will, aber dazu muss ich halt lesen. JETZT! Und nicht Stunden später, wenn ich längst schon wieder vergessen habe, dass ich überhaupt eine Nachricht bekommen habe.

Von daher ist der Rat, ich könne mir die Nachricht ja auch später anhören, für mich nur so mittel. Und für die Absenderin doch ehrlich gesagt auch. Wir sind doch inzwischen auf Sofort-und-zwar-SOFORT! eingestellt. Wenn es nicht SOFORT sein müsste, dann könnten die monologisierenden Frauen ja auch später einfach anrufen. Ja, Frauen. Ich weiß nicht, ob ich jemals schon eine Sprachnachricht von einem Mann bekommen habe. Ich bin sicher, die Sprachnachrichtenfunktion ist nur für Frauen überhaupt erfunden worden, die sich die Handys in dieser typischen „Ich-höre-jetzt-mal-Sprachnachrichten-ab-Pose“ schräg von unten ans Ohr halten und minuten- bis stundenlang auf diese Weise auf und ab gehen. Kommt da eigentlich was raus? Ich will das nicht. Und wenn ich es wollte, würde ich mir ein Hörbuch meiner Wahl auf die Ohren legen und keinen alltagsgetränkten Monolog, bei dem sich spätestens nach drei Minuten alles wiederholt. Ich rate allen Autorinnen von Sprachnachrichten dringend, sich hier und da dramaturgischen Rat zu holen. Vielleicht erbarmt sich ja bald mal jemand und bietet Kurse an zu den Themen „Sprachnachrichten abwechslungsreich gestalten“ oder „Von Kloputzen bis Haareeindrehen – wie man lange Sprachnachrichten sinnvoll nutzen kann.“

Wäre zumindest mal ein Anfang. Bis es so weit ist, mag ich sie nicht, und weil das so ist, rutschen die Nachrichten ganz oft ungehört im Feed immer weiter nach unten, wenn ich sie nicht oben bei den anderen ungehörten Nachrichten festpinne, allerdings geht das ja nur für drei.

Überhaupt frage ich mich oft, warum man (ich eingeschlossen) so viele WhatsApps schreiben oder sprechen muss, wenn man das eine oder andere auch schnell telefonisch klären könnte. „Weil man heute nicht unangemeldet irgendwo anrufen kann“, kriege ich zur Antwort, „man könnte ja stören.“ Wir hatten zu dem Thema auf einer Zugfahrt eine kleine Expertinnenrunde gegründet. „Und außerdem könntest du ja zu dem Zeitpunkt, an dem du nicht meine Nachrichten abhören kannst, auch nicht live telefonieren“, sagt mein Gegenüber und hat natürlich Recht damit. Eine unbekannte Mitreisende wirft ein, dass sie häufig am Ende der Nachricht schon vergessen hat, worum es eigentlich geht, und sie, um zu antworten – falls das überhaupt erwünscht ist, manchmal soll ja auch nur verbal Dampf abgelassen werden -, die Nachricht je nach Länge mehrfach anhören muss. Ist das nun praktisch oder lästig? Man könne aber auch live per schriftlicher WhatsApp antworten, erwidert daraufhin die Jüngste in unserer Runde, die – wen wunderts – mit ihren beiden Daumen schneller tippen kann als ich mit zehn Fingern, die alle Abkürzungen beherrscht und mir, wenn auch durch die Blume, zu verstehen gibt, dass das mit der Abneigung von Sprachnachrichten auch ein minikleines bisschen eine Altersfrage ist. Woraufhin ich ihr prophezeie, dass sie, sollte sie jemals in Not geraten und dabei nur ein altes Wählscheibentelefon vorfinden – was zugegebenermaßen unwahrscheinlich ist – nicht mal Hilfe holen könnte. Soweit zum Thema Kontrollverlust und Relevanz. Warum um Himmels Willen erinnert mich das jetzt an den Aufkleber in den gelben (!) Telefonzellen, auf denen stand: „Fasse dich kurz!“?

Aber ich gebe zu: Manchmal, wenn ich dann endlich mal eine Sprachnachricht abhöre, bin ich tatsächlich versucht, auch mündlich zu antworten. Weil es einfach schneller ginge. Ich mache es aber so gut wie nie, da ich ja als Sprachnachrichtenhasserin bekannt bin. Aber wenn ich dann mündlich antworte, beginne ich mit: „Du weißt ja, dass ich eigentlich Sprachnachrichten nicht mag, aber heute…..“!

(Foto: Rodion Kutsaiev auf Unsplash)