Vom Veilchen zur Rose

Zum Frauentag 2019

„Also, ich finde, ich bin schon ein ziemlicher Traum!“, sagte ich neulich zu meiner Schwiegermutter und noch während ich es sagte, fand ich das a) ganz schön maßlos und überlegte b), wie ich mit ein wenig Ironie aus der Nummer wieder rauskäme. Doch dann erinnerte ich mich c), dass ich gerade vor kurzem erst einen Artikel darüber gelesen hatte, dass Frauen ständig dazu neigen, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen. Ich auch, auch wenn’s schwerfällt zu glauben. Obwohl ich es inzwischen gewöhnt bin, vor einem überschaubaren Publikum aufzutreten, frage ich mich jedes Mal, ob das wirklich sein muss, ob ich wirklich so gut bin, dass alle, die jetzt gekommen sind, das sehen wollen. Ob sie sich vielleicht nicht vertan haben und wenn nicht, ob sie wirklich glauben, dass ich das könnte, was sie erwarten. Noch viel schlimmer ist es, wenn ich etwas Neues machen muss. Machen will, ehrlich gesagt, denn als Wassermannfrau habe ich die Erkenntnis, dass man nur wachsen kann, wenn man seine Komfortzone verlässt, ja gewissermaßen in der Geburtsstunde schon inhaliert. Also, raus mit dir, Traudi, auch wenn’s erstmal wehtut. Und wenn mich dann der ganze Mut verlässt, dann gibt es einen Trick, der immer hilft: Ich stelle mir vor, ich wäre ein Mann.

Männer, sofern sie nicht extrem schüchtern und introvertiert sind, gehen raus, treten auf, setzen sich breitbeinig in die Diskussionsrunde, behaupten Dinge mit einer Selbstverständlichkeit, dass niemand daran zweifeln würde, und machen sich nichts, aber auch gar nichts aus kleinen Fehlern (Fehler? Ich höre immer Fehler!). Sie trauen sich vor den Chef und das Publikum, selbst wenn sie nicht perfekt vorbereitet sind und top gestylt. Sie machen einfach – ohne sich auch nur einmal einen Kopf drum zu machen. Und wir? Wir zaudern, misstrauen uns, wollen sichergehen, dass alles, was wir in einer bestimmten Runde vor einer bestimmten Öffentlichkeit von uns geben, zu hundert Prozent stimmt, besser noch zu 120. Wir schauen uns im Spiegel so lange von allen Seiten an, bis wir was zu meckern finden – was manchmal nur einen sehr kurzen Anteil der Vorbereitungszeit beansprucht – und genau darüber, über das, was wir alles nicht können, können wir sprechen. Lange, ausdauernd, und uns selbst schlechtmachend. Es macht sich halt nicht gut, wenn Frauen sich in den Vordergrund stellen, wenn sie laut sind, Macht haben, ihnen die Art ihres Auftritts nicht so wichtig ist. Denken Sie jetzt auch an Andrea Nahles? Können Sie sie leiden? Und wenn nein, warum nicht? Weil sie Sozi ist? Weil Sie finden, dass sie Unsinn erzählt? Oder weil sie eine laute Frau ist, die nicht besonders gut aussieht, sich manchmal im Ton vergreift und voll fett lacht?

„Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“ Hatten Sie das auch im Poesie-Album stehen? Und denken Sie da manchmal heimlich dran, wenn Ihnen eine Frau zu laut, zu offensichtlich erfolgreich und zu eindeutig überzeugt von sich daherkommt? Sind Sie heimlich auch der Meinung, dass es zwar nicht so toll ist, wenn Frauen auch bei uns in Deutschland im 21. Jahrhundert an so vielen Stellen noch benachteiligt werden, dass sie aber eben auch Frau bleiben sollten und sich auch als solche benehmen sollten? Also selbst in guten Positionen nie zu viel auffallen, nicht so viel Aufhebens um sich machen, den Erfolg im Team suchen und bei einem Lob schüchtern nach unten schauen? Bloß nicht unangenehm auffallen, oder? Und das tut man als Frau auch hier immer noch, wenn man laut sagt, was man will. Wenn man sich lobt oder loben lässt. Wenn man Ansprüche erhebt, Forderungen stellt, am Ende sogar laut wird!

„Also, ich finde, ich bin schon ein ziemlicher Traum!“ Dass es überhaupt zu einer solchen Äußerung kam, kam so: Ich war krankgeschrieben, ging aber dennoch zur Arbeit. Natürlich brachte mir das in meiner Familie einige Kritik ein, bin ich – besonders bei den Frauen meiner Vorgängergeneration doch als Workaholic verschrien – nur weil ich in etwa so viele Stunden arbeite wie mein Mann. Ich gab also bekannt, dass ich trotz Krankschreibung wieder zur Arbeit gehen würde, woraufhin meine Schwiegermutter mit dem Kopf schüttelte und sagte: „So welche wie dich brauchen sie.“ Ich überlegte kurz und fand, sie hat recht. Mich kann man echt brauchen: Ich bin fleißig und zuverlässig, ich bin ehrenamtlich engagiert und politisch vielleicht nicht grade aktiv, aber Haltung besitzend und zeigend. Ich trage meinen Teil zum Familieneinkommen im Besonderen und zum Bruttosozialprodukt im Allgemeinen bei. Ich habe drei Kinder in die Welt gesetzt, die alle freundlich und strebsam sind wie ich. Mehr oder weniger zumindest. Ich biete ihnen ein anregungsreiches Umfeld und ich koche, falls möglich mit frischen Zutaten. Ich sehe nicht immer älter aus als ich bin und versuche mich mit Sport fit und somit von den Leistungen der Krankenkasse fernzuhalten, ich bin gesellig und kulturell interessiert, eine gerngesehene Ansprechpartnerin für viele Themen und partytauglich obendrein. Finden sie jetzt, dass ich Recht mit meiner Äußerung habe oder denken Sie vielleicht: Jetzt ist sie übergeschnappt, größenwahnsinnig! Ich kann Sie beruhigen. Ich bin ganz normal. So wie Sie. Schauen Sie sich meine Aufzählung an: Das meiste davon wird auch auf Sie zutreffen und wenn nicht, dann ersetzen Sie es einfach durch etwas anderes, was in meiner Aufzählung fehlt. Das geht bestimmt. Und die Moral von der Geschicht‘: Das Veilchen alleine bringt es nicht! Oder: Ein bisschen mehr Rose steht uns allen gut!