Very special Weltmeisterschaft
Es gibt wahrscheinlich kaum etwas, das über die Weltmeisterschaft in diesem Jahr noch nicht gesagt wurde. Allerdings noch nicht von mir. Wobei ich zugeben muss: Das, was da passiert – jetzt mal abgesehen vom Sport – kann man sich weder ausdenken noch übertreiben noch schönreden. Gegen die Idee, in die Materie aus Money, Macht und Männern einzutauchen, ist die Büchse der Pandora ein besseres Überraschungsei. Und die Frage, was zuerst da war, die Schnapsidee (und das in einem Land, in dem Alkohol offiziell verboten ist) oder das Geld, das hin- und herfließen würde, sobald der Wahnsinnsplan, eine WM in einem Wüstenstaat ohne fußballerische Infrastruktur in der Weihnachtszeit – von der viele mitwirkende Nationen durchaus betroffen sind – zu legen, in die Tat umzusetzen, stellt sich jetzt auch nicht mehr: Wer mag das schon so genau verfolgen und wen interessiert das eigentlich jetzt noch?
Zwölf Jahre und 500 (nach offiziellen Angaben) bzw. 6500 (nach Angaben der Heimatländer) tote Gastarbeiter nach der Vergabe war das Kind für viele Mitwirkende, Sportler und auch Fans schon längst in den Brunnen gefallen. Nun kann man von den Diskussionen um die Missachtung der Menschenrechte halten, was man möchte – Katar ist ja kein Einzelfall. Und wir als Konsum- und Energiejunkies treiben es ja ohnehin mit jedem, der uns was liefert. Auch mit Katar, wie wir wissen.
Aber man darf sich schon fragen, ob ein Ereignis, das angeblich für Freundschaft und Zusammenhalt, Völkerverständigung und Teamgeist steht, für Party und Spaß, in einem Land stattfinden muss, in dem unsere Innenministerin Sicherheitsgarantien für ganze Bevölkerungsgruppen einholen muss. In dem man die Frauen in den Stadien suchen muss, in dem Menschen, die ihre Meinung sagen, von Mikrofonen weggerissen werden. Und – und nun kommt der eigentliche Hammer – die Zusage mit dem Bier in Stadionnähe einseitig aufgekündigt wird. Das schlägt dem Fass den Boden aus, könnte man sagen, wäre da nicht das Ding mit der One-Love-Binde, das noch getoppt wurde von dem Ding mit dem Love-Wäscheschild der Belgier. Innen. Beide Male hat sich die Fifa als gelehriger Schüler eines autoritären Regimes erwiesen, und die Tatsache, dass Herr Infantino – dessen Name ja schon bestimmte Assoziationen zulässt – über keinerlei, aber auch gar kein Unrechtsbewusstsein verfügt, passt in alle schlechten Männerklischees, die ich kenne. Genauso wie die selbstzufriedene Mimik seines Vorgängers Blatter, als dieser die Entscheidung für Katar verkündete (und dabei möglicherweise an sein gutgefülltes Bankkonto dachte), an der neben Franz Beckenbauer noch einundzwanzig weitere Männer mitgewirkt hatten, die sich laut Guido Tognoni, dem früherer Medienchef der FIFA, fühlten wie die „Masters of the Universe“.
Natürlich könnte man hier eine meiner Lieblingsfragen stellen, die da lautet, ob die Welt eine bessere wäre, wenn das Geschlechterverhältnis der Entscheider genau andersherum wäre: Nur Frauen, wohin man schauen würde, und hier und da ein Mann, der Prosecco bringt. Man weiß es nicht. Macht korrumpiert halt einfach. Vermutlich auch Frauen.
Viel interessanter ist die Feststellung, dass hier bei dieser WM etwas passiert ist, was Frauen- und Männerfußball endlich, endlich mal auf eine Ebene bringt. Nein, soweit ich weiß, wurden die Gehälter der Spieler nicht denen der Spielerinnen angepasst, allerdings ist die öffentliche Aufmerksamkeit für die WM eindeutig auf Frauenfußballniveau angekommen. Also gesunken: Kein Merchandising, kein WM-Planer, kein Public Viewing. Fast könnte ich bei meiner Frauen-EM-Kolumne aus dem Sommer abschreiben, um die Defizite aufzuzählen, die mit diesem unglücklichen Austragungsort zu einer für andere Aktivitäten bekannten Jahreszeit einhergehen. Nimmt man die Aussagen, dass Frauen im Fußball weniger verdienen, weil drumherum weniger Geld reinkommt, ernst, so wäre dies tatsächlich ein Anlass, über die Gehälter der männlichen Spieler nachzudenken. (KIeiner Faktencheck, allein, weil ich es immer wieder interessant finde: Für ihren zweiten Platz bei der diesjährigen WM haben die Fußballfrauen 30 000 Euro bekommen. Schon allein mit einem Gruppensieg bei der WM hätten die Männer sie mit 50 000 Euro mehr als überholt. Hätten, wohlgemerkt.)
Das ist das eine. Das andere ist: Stéphanie Frappart. Sie hat als erste Frau ein Männer-WM-Spiel gepfiffen, noch dazu eines mit deutscher Beteiligung. Drei Frauen waren für die WM als Schiedsrichterinnen nominiert, doch die FIFA unter ihrem weltoffenen, zugewandten und empathischen Präsidenten mit dem goldigen Namen konnte sich lange nicht aufraffen, eine von ihnen einzusetzen. Lieber pfiff der eine oder andere Mann schon sein zweites Spiel. Das wird schon seine Gründe haben, oder? Man stelle sich mal vor: Eine Frau pfeift ein Spiel mit Beteiligung von Katar oder dem Iran. Da hätte bestimmt der eine oder andere Bakschisch-Rückfluss stattfinden müssen. Da warten wir lieber mal, bis die kritischen Länder alle rausgeflogen sind. Ist auch für die Frauen besser. (Ob nochmal eine der nominierten Referees bei der WM zur Pfeife greifen darf, war zum Schluss dieser Kolumne übrigens noch nicht bekannt.)
Apropos rausgeflogen. Sie wissen schon. Und Sie kennen die Nachrichten dazu: „Ein ganzes Land in Schockstarre“ oder so. Also, mein Schock hält sich in Grenzen. Mein Verhältnis zur deutschen Fußballnationalmannschaft, von der ich ohnehin nur noch Neuer, Müller und Götze spontan aufzählen kann, und vielleicht noch Rüdiger, war ohnehin von einer gewissen Distanz geprägt, da ich mich jetzt nicht so schnell in das Thema einarbeiten konnte. Wäre ja auch unnötig gewesen, wie man jetzt sieht.
Unnötig werden mit dem frühen Ausscheiden der Mannschaft auch weitere Besuche von deutschen Politikerinnen und Politikern vor Ort, worüber diese vielleicht erfreuter sein werden als sie es über ein Weiterkommen der Nationalmannschaft gewesen wären. (Wohl vergleichbar mit der Freude der CDU, die letzten Wahl verloren zu haben, aber das nur am Rande.) Obwohl, man weiß es nicht. Vielleicht hätten sie die Reise nach Katar auch genutzt, um nochmal einen kleinen Energiedeal für unsere bedürftige Nation einzufädeln.
Vielleicht kann der freundliche Herr Infantino, der dem Vernehmen nach ja mit seiner Frau und seinen zwei Töchtern nach Katar gezogen ist (warum nur?), ein gutes Wort für uns einlegen. Wir brauchen es!