Umbaupausen
Letztens waren viele von uns hier in Alsfeld intensiv mit den verschiedensten Aktionen beschäftigt: den Feierlichkeiten zum Stadtjubiläum zum Beispiel oder den Alsfelder Kulturtagen, dem Marktspiel oder dem Kräutermarkt. In einem kleinen Rückblick dazu ging es darum, dass der Ablauf eines Festtages schon von Anfang an gestört war, gestört sein musste, weil zwischen den einzelnen Programmpunkten keine Umbaupausen vorgesehen waren. Schlag auf Schlag sollte es gehen, aber dass Akteure die Bühne verlassen müssen, dass sie ihre Sachen zusammenräumen müssen, dass neue kommen, die ihre Sachen mitbringen, dass vielleicht auch mal geputzt werden muss oder Stühle gerückt werden müssen, oder dass die Technik umzubauen ist, daran hatte im Eifer der Vorfreude bei den Planungen niemand gedacht.
Und während wir darüber so sinnierten, dass es schlecht ist, ohne Umbaupausen zu planen, fiel mir auf, wie philosophisch, gar metaphysisch die Umbaupausen sind. Ich bin zum Beispiel während der ganzen Kulturtage ständig von einer Situation in die andere gefallen: Mal war ich Veranstalterin, mal Künstlerin, mal Ansprechpartnerin für das Publikum, die Technik oder die Presse. Zwischendurch war ich Mutter oder an der Arbeit, mal war ich einkaufen, mal war ich Hausfrau. Mal war ich Webbeauftragte, mal war ich freischaffende Texterin für alle möglichen Auftraggeber. Manchmal war ich sogar Schläferin, man glaubt es kaum. Und weil ich all das im fliegenden Wechsel war, konnte ich vieles davon gar nicht richtig machen. Es blieb viel unerledigt, und je mehr alles immer noch wurde, umso unzufriedener wurde ich selbst. Als ich dann noch innerhalb von vier Tagen zwei Autos beschädigte, war mir klar. Das kann so nicht weitergehen. Ich brauche Umbaupausen.
Meine letzte Kolumne vor einem großen Verlust in meinem Leben, seit dem ich bis heute keine Glosse mehr geschrieben habe, war im März der Text zum Niksen. Falls ihn jemand nicht kennt: Es geht darum, wie gut wirkliches Nichtstun ist. Nichts für mich, wie man weiß. Mit den Erfahrungen der letzten Wochen und Monate ist mir klar geworden: Es geht auch beim Niksen um die Umbaupausen. Man kann einfach nicht von einer Situation in die nächste fallen, ohne dass irgendwas überschwappt und danebengeht. Ohne dass man sich vielleicht sogar verletzt. Sich auf jeden Fall nicht guttut. Und seiner Umwelt auch nicht.
Manchmal nötigt einem das Leben Umbaupausen regelrecht auf. Menschen wie ich sind Meister darin, diese kleinen Anregungen zu übersehen. Schließlich wartet überall das Leben auf mich! Pausen sind was für Weicheier! Und Schlaf wird grundsätzlich überschätzt! Wozu ausruhen, wozu sich sammeln?
Wenn schon nicht, um ab und zu durchzuatmen, dann vielleicht, um den Verlust eines geliebten Menschen zu betrauern, könnte mir das Leben zurufen. Aber geht das nicht auch am besten, wenn man sich in die Arbeit und den Alltag stürzt? Vielleicht ja, vielleicht nein. Alles eine Sache der Dosis, würde ich jetzt sagen. Alltag und Routine helfen und tragen, aber man kann in solchen Zeiten halt auch keine Höchstleistungen erwarten. Man kann zufrieden sein, wenn man den Alltag und die Routine schafft. Und man sollte sich hier und da Umbaupausen gönnen. Auch wenn gar kein Umbau ansteht, dann halt nur Pausen. Ohne Umbau. Oder zumindest ohne sichtbaren Umbau. Denn manchmal baut sich das Leben auch von selbst um. Und uns bleibt nichts anderes übrig, als zu schauen, was dabei für uns herauskommt und wie wir es irgendwie hinkriegen.
Was mir hinsichtlich Pause an Einsicht fehlt, erledigte die Frau Muse: Sie küsste mich einfach nicht. Also, manchmal kam sie kurz vorbei, damit ich alles Nötige auf die Kette kriegte, aber für die Kür stand sie halt mal nicht zur Verfügung. Schlaue Frau. Aber das kann man von der Tochter des Zeus (und der Mnemosyne, wenn wir schon dabei sind, obwohl sie keiner kennt, also ich zumindest nicht) ja wohl auch erwarten. (Was ich seit gerade eben weiß – schließlich wollen wir ja Frauen sichtbar machen: Mnemosyne ist eine Titanin und gilt als Göttin der Erinnerung und des Gedächtnisses. Jetzt weiß ich auch, warum ich sie nicht kenne. Wahlweise drei oder neun Musen soll sie mit ihrem Neffen Zeus gezeugt haben. Sie sollen sich neun (!) Nächte lang vereinigt haben. Steht zumindest bei Wikipedia. Götter halt.)
So langsam aber merke ich, dass sie wieder angeschlichen kommt, also die Muse, und zaghaft klopft. Manchmal überhöre ich sie noch und lasse sie noch ein bisschen warten, aber sie hat mir schon gefehlt, die Gute. Nun hoffe ich, dass sie, wenn ich sie wieder endgültig in mein Leben lasse, mir ein wenig Muße mitbringt. Und Zeit. Vielleicht hat sie ja dafür eine Musenschwester, die ich bisher auch nicht kenne. Und vielleicht auch noch eine Muse für Umbaupausen. Damit nicht ständig alles durcheinander gerät. Wär‘ schön.