Stille Tage

Jedes Jahr, wenn ich meine Weihnachtskolumne schreibe, leide ich immer erstmal ein bisschen unter dem Eindruck, dass ja immer alles gleich ist. Irgendwann kommen mir dann doch noch neue Gedanken, sei es in Form von Melanias Weihnachtsbaumdesaster im Weißen Haus (Wer war nochmal Melania?) oder den ungewöhnlichen Weihnachtsangeboten der Sex-Toy-Industrie. Dieses Mal – und das ist einer der Vorteile von 2020 – ist wirklich alles anders! Und wie immer kommt es drauf an, was man draus macht.

Jetzt mal abgesehen von allem, was nicht geht – gemeinsame Abende mit Freunden, Bummel auf dem Weihnachtsmarkt, Shoppen, bis der Arzt kommt (der oder die in diesem Jahr auch anderweitig dringend gebraucht wird), die unvermeidlichen „Driving homes for Christmas“, glühweinselige Treffen an schönen Orten – ist es doch auch sehr entspannend, einfach mal nichts großartig vorzuhaben, finde ich. Da macht es letztendlich auch nichts, dass die Läden früher geschlossen sind, denn wenn man nirgends hinfährt, braucht man auch keine Geschenke. Ist das nicht praktisch? Wir konnten uns in diesem Jahr sogar mit einer der Großmütter verständigen, dass sie auf die Übergabe von Geld an uns verzichtet und wir dafür auf die Übergabe eines etwa gleichwertigen Gutscheins an sie. Ist das nicht revolutionär? Und ist das nicht die vielbeschworene Chance, die in der Krise liegt und die hoffentlich über die Pandemie hinaus Bestand haben wird?

Als alter Listenfan habe ich – auch um mich und andere in bisschen aufzumuntern – mal eine Aufstellung gemacht, was für mich persönlich besser an diesem Weihnachten ist als sonst. Vielleicht ist da für den einen oder die andere ja auch eine Anregung dabei:

1.  Man kann in diesem Jahr deutlich weniger essen, da man ja nur bei sich selbst eingeladen ist und sozusagen autonom in der Essensabgabe- und -aufnahme. Dafür kann man deutlich mehr trinken, da man nicht mehr fahren muss. Eventuell wird das auch nötig sein.

2.  Man kann in diesem Jahr ohne schlechtes Gewissen ausschlafen, da keine, wirklich gar keine Termine im Kalender stehen.

3.  Man kann endlich hemmungslos alle Sendetermine von „Drei Nüsse für Aschenputtel“, „Tatsächlich Liebe“ und „Obendrüber, da schneit es“ ausnutzen. Mit ein wenig Glück ist dann auch noch Platz für die Lieblingsliste meines Mannes, der sich – wie Ostern auch – auf alle Folgen von „Winnetou“ freut. Und falls das mit dem Alkoholkonsum überhandgenommen haben sollte, würden wir uns vielleicht auch noch zu „Sissi 1 – 3“ hinreißen lassen. Aber da müsste es schon sehr hart kommen, und da würde sich auch die Frage stellen, ob das noch in die Vorteilsliste aufgenommen werden könnte.

4.  Auf jeden Fall könnte man beim Fernsehen endlich mal alle angefangenen Strickarbeiten der letzten Jahre beenden. Ich habe davon so viele rumliegen, dass ich dafür auch die Feiertage um Silvester noch einplanen könnte, allerdings bin ich da gerade noch nicht aussagefähig, was das passende Fernsehprogramm betrifft. Zur Not müssen wir auf unsere alten Tage eventuell doch noch netflixen oder so. („Netflixen“ wird von der Rechtschreibkontrolle nicht angemahnt – was ist da nur die letzten Jahre an mir vorbeigegangen?)

5.  Man könnte Spiele spielen: Ich zum Beispiel könnte mit meinem Sohn endlich das Malefizspiel zu Ende spielen, das wir am 6. Mai 2012 aus inzwischen vergessenen Gründen abrupt abbrechen mussten, dessen Stand wir aber als Handyfoto dokumentiert hatten.

6.  Und natürlich kann und sollte man lesen. Viel lesen. Der Stapel aller Bücher, die ich mal lesen will, wenn es Zeit ist, ist hoch. Und zur Sicherheit habe ich mir im Buchladen meiner Wahl am Weihnachtsfensterchen auch noch ein paar Bücher dazu geholt. Hamstern ist ja so in, dieser Tage – es kommt halt auch hier drauf an, was man hamstert! Auch meine Fachzeitschriften türmen sich ungelesen im Bad. So viel kann da gar nicht sitzen, dass ich das noch schaffen würde. Brigitte und Barbara dürfen über die Feiertage ihren angestammten Platz neben meinem stillen Leseörtchen verlassen und mit ins Wohnzimmer kommen. Dort werden sie mit mir lange, lange Weihnachtsnachmittage bei Tee oder Punsch oder Kakao auf dem Sofa verbringen.

7.  Des Weiteren sollte man in diesen Tagen unglaublich viel telefonieren, skypen, zoomen. Es ist Zeit dafür, ehrlich!

Und noch was für die Masochisten unter uns:

8.  Man kann natürlich auch die vielen anderen Sachen machen, die in den diversen Lockdowns und Quarantänen des Jahres aus unerfindlichen Gründen immer noch nicht dran waren: die Ablage im Allgemeinen und die Steuererklärung im Besonderen und somit für kleine persönliche Weihnachtswunder (und dem Hörensagen nach für ein gutes Gefühl) sorgen. Aber das kann man auch lassen. Es soll ja ein schönes Fest werden, das muss man ja nicht mit aller Gewalt verderben.

Noch ein Tipp: Bei so vielen Aktivitäten, die im Sitzen oder im Liegen stattfinden, sollte man entweder ein, zwei Pilates-Tutorials runterladen und sie mit der Familie in einer gruppendynamischen Tageseinheit durchführen. Und man sollte die Öffnungszeiten der hiesigen Drogerien nutzen und sich ein wenig Franzbranntwein gegen Wundliegen und Verspannungen aller Art besorgen. Wenn man seine Mitbewohner damit einreibt, kann es zu vielen schönen weiteren weihnachtlichen Beschäftigungsideen kommen, und ich will damit gar nicht auf meine Kolumnenidee vom letzten Jahr anspielen. Gar nicht. Und natürlich sollte man bei all dem hygge homing nicht vergessen, ab und an vor die Tür zu gehen. Von Sauerstoffentzug ist in den Vorschriften ja glücklicherweise nicht die Rede.

Also, ich glaube, aus den vor uns liegenden Feiertagen lässt sich einiges machen. Und ganz ehrlich: Ich persönlich habe schon weitaus, weitaus schlechtere Weihnachten gehabt als dieses, weil es jenseits von Laden- und Gastronomieschließung andere Hindernisse für ein schönes Fest gibt. Dafür muss man allerdings mitunter seinen Horizont erweitern und jenseits der eigenen Grenzen schauen, und auch dafür könnte dieses Weihnachten eine gute Gelegenheit sein. Ja, ich gebe zu, als die Situation sich zuspitzte, habe ich bei meinem vorletzten Wocheneinkauf schon mal gefrorene Gänsebrust und Kühlschrankklöße und eine – hoffentlich – ausreichende Menge meines Lieblingsrotweins gekauft. Mit der Quarantäneerfahrung der letzten Wochen denke ich, wir könnten überleben. Auch dieses Weihnachten.

Machen Sie es sich schön! Machen Sie es zu dem entspanntesten Fest, das Sie je hatten. Und wollen wir hoffen, dass es nie wieder so ruhig wird!