#staycation

Das waren sie also, die Corona-Ferien 2020. Und wie alles in diesem Jahr waren sie halt ganz anders als sonst, als geplant, als neu geplant, als erhofft, als was auch immer. Am Ende blieb uns wie vielen anderen auch der Trost, dass wir ja ohnehin schon da wohnen, wo andere Urlaub machen. Das ist ja einerseits auch gar nicht schlecht und natürlich haben wir noch längst, also längst, nicht alle Möglichkeiten des Birdmountain und der umliegenden Regionen ausgeschöpft, andererseits ist Urlaub zuhause auch echt schwierig, da man jenseits der fünfundzwanzig dieses Chill-Gen, mit dem wir ja fast alle zur Welt kommen, schon so erfolgreich unterdrückt hat, dass man es in den ersten zwei, drei Wochen kaum findet. Man sieht halt immer seine ganzen Baustellen, wenn man nicht wegfährt. Also, echte Baustellen, wie unser seit Wochen abgerissenes Bad, und andere Baustellen wie das unaufgeräumte Büro, der vollgestopfte Keller, die noch nie in ihrem Leben ausgewaschenen Küchenschränke, die Flickwäsche … Einfach alles, was man machen wollte, wenn man mal Zeit hat. (Hatte ich schon die Steuererklärung erwähnt?)

Als ich dann so realisierte, dass unsere Urlaubspläne alle ins Wasser fielen und wir zu der erschreckenden Minderheit gehörten, die dadurch weder genug Geld für ein Wohnmobil noch für einen eigenen Pool noch für das Hightech-Fliwatütt von Tchibo gespart hatte, das sie nun für den ultimativen Feriengenuss ausgeben konnte, wurde mir klar, dass ich es einfach probieren müsste. Das Chill-Gen musste doch irgendwo zu finden sein! Und so blieb ich eines Morgens einfach im Bett liegen und sagte mir „Wenn ich jetzt irgendwo am Meer säße, könnte ich auch nichts machen“. Und was soll ich sagen: Es kann gelingen, wenn man nur will. Ganz wichtig ist dabei, dass man sich vor den Räumlichkeiten, die einem große Probleme machen, hütet. Wer muss schon in den hinteren Kellerraum, wenn der Gefrierschrank mit den Eiswürfeln für den Aperol ganz vorne steht? Und das Büro? Für was war das gleich nochmal gut? Und wer muss schon bügeln, wenn man die Wäsche auch ganz leicht in das unbenutzte Gästezimmer stellen kann?

Als ich merkte, wie gut solche kleine Verhaltenskorrekturen taten, machte ich mich daran, unsere Wohnung ferienhausmäßig umzustylen: Die große Tasche mit den Schwimmsachen, die wir fast täglich brauchten, räumte ich nicht mehr weg, sodass wir ständig daran erinnert wurden und die herumliegenden Flipflops uns den Weg zeigten. Zeitungen, Bücher, Sonnenbrillen, Sonnencremes und sonstige Dinge des Ferienlebens bekamen einen festen Platz auf dem Esstisch, da wir diesen – dem anhaltenden Sonnenschein der letzten Wochen sei Dank – ohnehin für sonst nichts nutzten. Das Essen konnten wir getrost nach draußen verlegen, denn natürlich verfügte unser diesjähriges Ferienhaus nicht nur über einen großen Garten, sondern auch über einen großen Balkon mit Tisch und Stühlen. Ganz ehrlich: So ein schönes Ferienhaus wie das in der Schlossbergstraße in Altenburg hätten wir uns woanders gar nicht leisten können! Für das ultimative Feriengefühl kaufte ich beim Gärtner meines Vertrauens Oliven-, Eukalyptus- und Kumquatsbäumchen für eben diesen Balkon. Gemeinsam mit ein paar Kerzen in Gläsern und Körben und dem Lavendel auf der alten Palette ergab das eine schöne Kulisse für die abendlichen Lesestunden unter der großen Markise, die in diesen Sommer tagsüber die Hitze und später oft bis weit nach Mitternacht die Kühle abhielt. Den absoluten Sommerhöhepunkt erreichte ich mit dem Duft „Sommervergnügen“, der seit Wochen das Aroma „weißer Blüten, fruchtiger Melone und süßer Vanille“ in unsere Wohnung verströmt – Sommer pur, würde ich sagen, und das auch bei Gewitter!

Als nächstes stellte ich mein Ferien-Ich scharf: Ich kramte eine lange vergessene kurze Hose heraus, mit der ich mich fühlte wie eine kurzhaarige, zehn Jahre ältere und zwanzig Kilo schwerere Version von Nora Linde, der stets gechillten und braungebrannten Staatsanwältin aus dem Schwedenkrimi „Mord im Mittsommer“, ging ohne meine Sonnenbrille nicht mehr aus dem Haus, ließ meine Haare lufttrocknen und stellte jegliches Schminken ein. Dafür nahm ich mir viel Zeit mit sonstiger Pflege, schließlich musste „African Wonder“ dort ein wenig nachhelfen, wo die oberhessische Sonne dann doch zu schwach war. Auch den Alltag stellte ich auf Urlaub um: Ich schnappte mir die alten Einkaufstaschen von Deen und Albert Heijn, unseren liebsten holländischen Läden, und fuhr mit meinem Sohn auf dem Fahrrad zum Einkaufen. Schwimmbadkekse und ganz viel Obst; kaum ein Essen ohne Krebsfleischsalat oder Garnelen, Weißbrot oder Ofenkartoffeln, Serrano-Schinken und gebratenes Gemüse, dazu abends einen schönen Pinot Grigio – so wurde aus #staycation in Altenburg ein Urlaub in Italien und Holland gleichzeitig. Wir waren Dauergäste im Schwimmbad (und am dortigen Kiosk), entdeckten den Pfordter See und radelten zur Dorfalm. Wir ließen unseren Hund in der Schwalm schwimmen und kneippten in Ranstadt. Wir bummelten durchs Städtchen, als seien wir Touristen, und gönnten uns jede Menge Spaghettieis und Flippers. Und so erlebten wir lange, unverplante Sommertage, die uns allen guttaten, obwohl sie so unspektakulär waren, dass man sie fast, also fast, schon langweilig nennen könnte.

Mit das Schönste an dieser Art Urlaub zu machen, war aber noch etwas anderes: Wir machten genau da Urlaub, wo unsere Freunde auch Urlaub machten: Hier ein kleines Treffen in der Eisdiele, dort ein lauschiger Abend auf dem Balkon, ein kleines Weinchen an der nächtlichen Schwalm, ein Abend beim Italiener. Geht doch!

Aber so langsam wird es Zeit, dem schnöden Alltag wieder ins Gesicht zu sehen. Mein Sohn kam grade und meinte, er hätte für morgen keine Unterhosen mehr. Gerade als ich ihm sagen wollte, er solle doch mal in seinem Koffer schauen, fiel mir wieder ein, dass wir ja gar nicht weg sind. Nur wo war jetzt, verflixt nochmal, die Wäsche?