Sprachsparfüchse

„Mama, kann ich die Stifte? Bitte!“ Diese Frage hörte ich jüngst in der Schreibwarenabteilung des ortsansässigen Kaufhauses. Hand aufs Herz: Wem kommt dieser Satz vollständig vor? Allen unter zwanzig vermutlich, aber Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, doch wohl hoffentlich nicht, oder? Da fehlt doch was!

Wenn bei uns zuhause jemand unter 17 am Abendbrottisch sagt „Darf ich mal die Wurst?“, dann wissen wir Alten zwar, was gemeint ist, aber wir tun so, als wüssten wir es nicht. Wir legen – trotz einiger Widrigkeiten – Wert auf vollständige Sätze. „Was? Anschauen? Wegwerfen? Dem Hund geben?“ Manchmal bekommen wir dann zur Antwort „Die Wurst“, was uns natürlich nicht zufrieden stellt. Manchmal sind wir kurz davor, uns zu ergeben, aber noch sind wir hart.

Fest steht: Die deutsche Sprache wird irgendwie immer reduzierter – wir gönnen uns nicht mal mehr die Verben. (Und wenn doch, dann sparen wir uns die Konjugation: „Der tut mich dauernd ärgern!“) Deutschland spart, wo es kann, sollte man meinen. Und wenn wir Deutsche sparen, dann richtig. Neben den Verben sparen wir gerne auch am Genitiv – das stellte ja schon der von mir sehr verehrte und manchmal schon um Rat gebetene Bastian Sick in seinem Grammatik-Klassiker „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ fest. Aber nun, man höre und staune, ist auch der Dativ selbst in Gefahr. So antworten heute etwa 99% aller Schülerinnen und Schüler (leider aller Schulformen) auf die Frage „Bei wem hast du denn Mathe?“ „Bei Herr Müller.“ Tja, ich sag’ nur „Servus, Dativ! War schön mit dir!“ Und den Akkusativ verabschieden wir gleich mit: „Und wen habt ihr in Deutsch?“ „Auch Herr Müller.“ Herr Müller könnte seine Sache besser machen, finde ich und gehe allen Jugendlichen in meinem Umfeld mit meinen penetranten Korrekturvorschlägen auf die Nerven. Die lächeln gnädig zurück: „Hab‘ keine Zeit – muss zu Deutsch – du weißt schon, bei Herr Müller!“ Nicht mal die sonst so übergenaue und mitunter auch in Grammatik versierte Word-Autokorrektur hat hier was zu beanstanden. Woher sollten es die Jugendlichen also wissen? Von Herrn Müller vielleicht?

Immer häufiger sparen wir uns auch – vermutlich weil es sich so lässig-amerikanisch anhört – das Reflexivpronomen bei „sich erinnern“. Wir erinnern uns nicht mehr an die schönen Tage unserer Kindheit, sondern wir erinnern sie nur noch. Do you remember? Ganz besonders Sprachverliebte bedienten sich einstmals sogar des Genitivs, wenn sie sich erinnerten: „Ich werde mich deiner stets in Liebe erinnern.“ Damit ist bestimmt der Genitiv gemeint, der in nicht allzu ferner Zukunft mit Dativ, Akkusativ, den Reflexivpronomen und den Konjugationen sein Dasein in veralteten Grammatikbüchern fristen wird.

Andererseits sind wir aber auch großzügiger geworden – für jedes Verb, jeden Dativ, jeden Akkusativ und jedes Pronomen, das wir uns sparen, gönnen wir uns einen kleinen Apostroph! Wohl bekomm‘s! Hier mag er noch richtig sein, und bei den vielen „Viola’s Friseurstube“, „Ali’s Imbiss“ und „Gerda’s Nähwerkstatt“ noch geradeso als Eigenname durchgehen, aber bei „Morgen’s gebracht, abend’s gemacht“ oder bei „stet’s und ständig“ hört der Spaß auf. Sogar bei der Autokorrektur.

Und warum erzähle ich Ihnen das alles? Heute ist der „Tag der deutschen Sprache“. Nicht etwa, dass ich fehlerfrei schriebe (ein Blick in mein Buch verrät mich) oder gar spräche (schließlich bin ich selbst mit dem Fuldaer Akkusativ aufgewachsen: Fragt der Lehrer: „Traudi, kennst du den Fuldaer Akkusativ?“. Antwortet Traudi: „Ja, der kenn‘ ich!“), aber ich hänge irgendwie doch an unserem schönen Idiom, mit all seinen Fallstricken und noch mehr Finessen. Und ich möchte nicht irgendwann Smiley-Plaketten hochhalten müssen, weil wir uns die Feinheiten sparen und wir unserem Gegenüber unsere Gemütszustände nicht mehr mitteilen können, und wenn doch, er sie nicht versteht.

So wünsche ich zum heutigen „Tag der deutschen Sprache“ derselben alles, alles Gute! Und Herrn Müller und seinen Kolleginnen und Kollegen auch.