Sommerschön

Neulich, als nach einem gefühlt ewigen Winter endlich, endlich, und zwar ohne großen Frühling der Sommer anfing, wollte ich sommerschön werden. Sommerschön ist, wenn man eine glatte zarte Haut hat, mit einem schönen gebräunten Teint. Wenn die Beine die magische Stufe von Funktion zu Ästhetik überschreiten (was sie bei mir noch nie getan haben, aber Funktion ist ja auch wirklich wichtiger als Ästhetik). Wenn das Dekolleté einladend aus dem Ausschnitt schaut, die Haare glänzen und das Gesicht strahlt. Soweit die Theorie.

Als der Wunsch nach Sommerschönheit einsetzte, hatte ich wie durch ein Wunder Zeit und befand mich quasi zur Erholung in einer meiner Lieblingsstädte. Weimar, um es genau zu sagen. Dort hatte ich einen Termin beim Friseur ergattert und saß eines Morgens Anfang Juni – anstatt auf einer Stadtführung den Spuren der Klassiker zu folgen – vor dem großen Spiegel eines Friseursalons, in dem eine nette Friseurin namens Yvi, ja, wie die Freundin von Wickie, mir die Haare schnitt. Also, nicht nur einfach so. Sie kalligraphierte. Ich nehme an, dass das so heißt, denn das Substantiv dazu ist „Calligraphy Cut“, also durchaus etwas Künstlerisches, oder? Und für so ein Kunstwerk am Kopf braucht man Zeit. Und während Yvi mir sehr konzentriert die Federn stutzte, sah ich mich die ganze Zeit in dem Ganzkörperspiegel an, sodass die nächste Frage nur konsequent war: „Welche Kosmetikerin würden Sie empfehlen?“

Kaum zwei Stunden später zahlte ich sehr viel Geld und hoffte, dass Yvi, mit deren Werk ich mehr als zufrieden war, davon mehr bekäme als den Mindestlohn. Es wäre durchaus drin gewesen, finde ich, und schließlich ist sie ja auch „Calligraphy Cut Artist“. Sie würde es gemeinsam mit meinem Trinkgeld vermutlich für Piercings und Tattoos ausgeben, aber das ist ihr ja unbenommen. Das freundliche Friseurinnen-Team empfahl mir Lisanne, die Beauty-Spezialistin. Ihr hatte für den Nachmittag eine Kundin abgesagt, sonst sei sie Wochen im Voraus ausgebucht. So ein Glück, dachte ich, es soll aber auch einfach so sein. Lisanne riet mir zu einer All-Inclusive-Beauty-Concept-Behandlung, und ich freute mich, dass der Osten nach kaum fünfunddreißig Jahren Wiedervereinigung so schön aufgeholt hat, zumindest was die Anglizismen und die dazugehörigen Preise betrifft. Während sie mich also conceptmäßig verschönerte, fiel Lisanne auf, dass mir mit ein wenig Augenbrauenfarbe und einem Oberlippenwaxing durchaus gedient wäre. Ich lag benebelt von was auch immer auf der weichen Liege, eingehüllt in dicke weiße Frotteetücher, und stimmte allem zu. Warum denn auch nicht, dachte ich, und fühlte meine Haut immer weicher und jünger werden. Mit einem leichten Tages-Make-up versehen, verließ ich zwei Stunden später auch Lisanne und kaufte noch ein paar Blümchen für unsere nahegelegene Ferienwohnung. Im gelben Sommerkleid (wirklich!) mit einem Blumenstrauß im Arm ging ich leichtfüßig (ich, leichtfüßig!) durch die Seifengasse, als ein freundlicher, junger Typ mich ansprach. „Sind die Blumen für mich“, fragte er. Ich war so perplex und out of Flirt-Modus, dass ich ihn nur anlachte und „Leider nicht“ erwiderte. „Dann wünsche ich dir aber trotzdem noch einen schönen Tag“, lachte er zurück, und ich schwebte den Rest des Weges bis zur Wohnung. Manche Dinge ändern sich nie.

Es dauerte nicht lange, und ich fragte mich, ob vielleicht die Weimarer Schönheitsindustrie schon viel weiter war als unsere hier und den Kundinnen, die mehr als einen bestimmten Betrag hinterlassen hatten, einen schönen jungen Mann als Bestätigung dafür, dass es sich auch wirklich gelohnt hatte, auf dem Heimweg platzierten. So wie manchmal an teuren Klamotten ein Etikett hängt, das einem nochmal versichert, dass man das derzeit tollste, nachhaltigste, schönste und überhaupt weltbeste Teil der Welt gekauft habe. Aber ich schaffte es dann doch, mich sommerschön und den jungen Typen einfach nett zu finden. Bis ich abends mit meinem Mann darüber sprach. „Und dann hat mich so ein netter junger Typ angesprochen…“ erzählte ich, und mein Mann unterbrach mich besorgt und fragte: „Warum das denn? Hast du einen verwirrten Eindruck gemacht?“

Wie gut, dass ich am nächsten Tag noch die Rawida Signature Massage für 120 Minuten und einen ähnlichen Euro-Betrag gebucht hatte. Sowohl Körper und Geist sollten davon nachhaltig profitieren. Ich denke, eine ausreichende Menge Aperol, ein Konzert am Abend und die formidable Gesellschaft meiner Freundinnen verstärkten diesen Effekt noch.

Ich bin sommerschön. Egal, was die anderen sagen.