Sommerduft
Auf einmal war er wieder da, dieser Sommergeruch. Er schlich sich ganz ohne Vorwarnung vom Frühstücksbrötchen eines meiner Söhne an und kitzelte meine Nase mit diesem süßen, leichten Erdbeerduft, den die frische, selbstgemachte Erdbeermarmelade darauf verbreitete. Hätte ich die Marmelade selbst gekocht und nicht meine Freundin, hätte ich den Duft natürlich schon früher gehabt, aber wie man sieht, kommt er auch zu den Faulen und bahnt sich seinen Weg durch die Nase ins allerschönste Kindheitserinnerungszentrum. Schon einmal habe ich über die Erinnerungsmacht von Düften geschrieben, aber die Sommeraromen haben einen eigenen Text verdient, finde ich.
Denn sie sind viele. Sie sind frische Erdbeermarmelade auf – Achtung, ich komme aus der Rhön – mit guter Butter bestrichenem Kümmelbrot. Sie sind der unverwechselbare Geruch eines Zweitakters, eines Mofas also, das sein Benzin-Öl-Gemisch verbrennt, während seine jugendlichen Besitzer die Dorfstraße hochfahren und runter und wieder hoch. Sie sind natürlich der Duft, der nur beim ersten Mal im Sommer so verheißungsvoll von einem Grill in der Nachbarschaft in den eigenen Garten wabert, dass man am liebsten alles, was man unvorbereitet im Frost findet, auf das eigenen Feuergestell werfen möchte, so sehr läuft einem das Wasser im Munde zusammen. Sie sind der Geruch nach dem ersten frisch gemähten Gras auf dem heimischen Rasen und dem frisch gemähten Heu, das in der Sommersonne trocknet und einen mit seinem frisch-weich-hellgrünen Duft restlos in die heiße Jahreszeit tunkt. Sie sind dieser ganz eigentümliche Sonnenmilchgeruch, nach dem schon unsere Mutter im Sommer duftete und wir natürlich auch. Gerade in diesen Tagen schlängelt sich so ein schöner Sonnenmilchduft gerne immer mal wieder an uns vorbei. Ich muss dann immer kurz die Augen schließen und sehe vor mir – nein, keinen Strand am Meer oder so, sondern – unser kleines Dorfschwimmbad, der Traum meiner Kinder- und Jugendsommer. Der eigentümliche Duft von Sonnencreme weckt unsere Gefühle und spielt mit unseren Erinnerungen mit Duftnoten wie Jasmin und Frangipani, Amber, Sandelholz und Moschus. Und weil man ihn so mag und man sich beim Duft von Sonnencreme der guten Laune nicht erwehren kann, gibt es ihn natürlich nicht nur zum Eincremen, sondern auch als Parfüm. So kann man sich selbst im Herbst und Winter sonnencremig-chillig fühlen und seine Gute-Laune-Aromen an sich und die Umwelt abgeben. Hilft bestimmt gegen alle Unbilden des Alltags. Ich stelle mir sogar vor, dass so ein Sonnencreme-Duft auf Miesepeter aller Art einen ähnlichen Effekt hat wie Knoblauch auf Vampire. Also, liebe Leute: Nicht sparen am Gute-Laune-Stoff und immer schön cremen und sprühen: Es kann nur besser werden!
Jede und jeder von uns hat seine eigenen Sommerduftassoziationen: eine bestimmte Blume vielleicht, die erste draußen getrocknete Wäsche, die Wiesen im Vogelsberg bei der ersten Cabriofahrt, die Luft nach einem Sommergewitter, deren Frische kein Parfümeur der Welt nachbilden kann, der Geruch, wenn ein Sommerregen die trockenen Straßen reinigt, das erste Bratwurst-Senf-Brötchen auf dem Sportplatz.
Ja, ich gebe zu, es gibt auch andere Sommerdüfte. Sie kommen einem aus vollgestopften Bahnabteilen entgegen – zumal derzeit aus Regionalexpressen aller Art, die für neun Euro durch die Republik tuckern. Oder von der Rückbank im Auto, wenn die Kinder auf der Reise in den Urlaub die Schuhe ausziehen und die freigelegten Füße mit oder ohne Socken an den Kopfstützen der Fahrer und Beifahrer parken. Auch man selbst ist auf diese Weise in der Lage, im Sommer zur eigenen aromatischen Erschütterung beizutragen, etwa, wenn man selbst auf einer langen Autofahrt dann doch beschließt, dass man mal die Schuhe ausziehen könnte. Tut gut, riecht aber scheiße. Wenn man mal ganz ehrlich ist. Diese weniger angenehmen Sommerdüfte kann man auch sehen: Als große Flecke hängen sie in den Kleidern längst nicht nur unter den Armen, sondern überall. Überall. Irgendwas ist halt immer. Und auch der schönste Sommerduft hat offenbar zwei Seiten.
Egal, stürzen wir uns in die schönen Duftsommer-Seiten. Schwelgen wir in Sonnencreme und Erdbeermarmelade, in einem Hauch Aperol, auf einer Blumenwiese oder unter einem schönen warmen Sommerregen. Jetzt ist Sommer. Und wir Vogelsberger (und Rhöner) wissen genau: Der nächste Winter kommt bestimmt. Und wissen Sie was: Auch er bringt wunderbare Düfte mit. Später.