So hot
Ist Ihnen das auch schon mal passiert, dass an Ihrem Auto, das – zumindest für den subjektiven Betrachter – seine besten Zeiten schon hinter sich hatte, so ein kleines nettes Kärtchen steckte: „Kaufe Ihr Auto zu gutem Preis“ oder so ähnlich – mit einem grellen Bild, das unserer Lieblingskarosse ein zweites Leben in Osteuropa prognostiziert? Und ärgern Sie sich dann? Ich schon. Ich finde, kein Mensch – auch nicht der autodidaktische Autoaufkäufer mit Migrationshintergrund – hat das Recht, mein Auto alt zu finden.
Seit ich fünfzig bin, komme ich mir allerdings selbst manchmal so vor wie ein mittelaltes Wrack, das seine besten Zeiten – wie das geliebte Auto – längst hinter sich hat: Bei der Vorsorgeuntersuchung kriegt man schnell und diskret ein Briefchen für eine Stuhlprobe hingeschoben und dazu den Tipp, sich doch in nächster Zeit einen Termin zur Darmspiegelung, einen Termin zum Hautscreening, einen Termin zur Mammographie und einen Termin zur Knochendichtemessung auszumachen. Das Gespräch über Klimakteriumsdepressionen liegt nach so vielen Information auf der Hand und wird kostenlos und prompt mitgeliefert. Ein Wunder, dass ich nicht gleich das große Heulen bekommen habe, denn beim letzten Besuch beim Frauenarzt wurde mir schlagartig klar, dass jeglicher Optimismus angesichts meines Lebensalters unangebracht ist. Gut, dass ich zum Fünfzigsten zumindest nochmal eine fette Party gefeiert habe – wahrscheinlich war es die letzte!
Der Zahnarzt rät einem dazu, jetzt nochmal richtig schön die Zähne machen zu lassen, bei der Hautärztin kann man sich auf großen Plakaten anschauen, wie man schnell und einfach alle Altersflecken an den Händen weggelasert bekommt, und kann es eigentlich Zufall sein, dass mir immer häufiger Werbung für Hilfsmittel aller Art ins Auge fallen, auf die ich früher gar nicht geachtet habe: „Vagisan“ für Sie wissen schon, „Deseo“ für Sie wissen auch schon oder „Tena Lady“ für das wissen Sie auch schon. Und dann diese vielen Mittel, wie man gut und schön und entspannt durch die Wechseljahre kommt. Nachtkerzenölkapseln, Rotklee-Isoflavon-Kapseln, Klimaktoplant… Wechseljahre, wenn ich das schön höre! Keine Party, wo nicht mindestens eine von uns ihre Hitzewallungen bis ins Detail beschreibt, ihren Schwindel und die wankelmütige Größe ihres Gewichts im Allgemeinen und ihrer Brüste im Besondern. Neulich, als mir warm wurde, einfach weil es warm war, rief mir gleich eine zu „Gell, das ist was mit den Wechseljahren!“ Häh?! Mir ist schon immer warm, schon immer! Wechseljahre – ich! Dass ich nicht lache! Oder heißt das vielleicht, dass ich schon seit dreißig Jahren in den Wechseljahren bin? Wenn nein, muss ich mich vielleicht darauf gefasst machen, dass ich – sollte es dann doch noch schlimmer werden – mein Leben als vor Hitze geschmolzener Fettfleck beende?
Ja, ja, die Zeichen der Zeit sind gnadenlos: Alles wird ja ein bisschen wabbeliger und unschöner, da ist man froh, wenn man wie ich zumindest gute Gene hat, was die Haarfarbe betrifft: Auf dem Kopf habe ich nämlich so gut wie kein graues Haar, was ich allerdings für einen Stock tiefer schon nicht mehr behaupten kann. Und wenn wir schon dabei sind: Als ich letztens mal seit Jahren wieder in der Sauna war, stellte ich fest, dass man das Alter nicht nur an Falten und Kratern erkennen kann, sondern auch an der Frisurenmode in der Körpermitte. „Alt, fett und unrasiert“, schoss es mir durch den Kopf angesichts der vielen Frauen um mich rum, die irgendwie immer jünger werden. Für wie auch immer geartete Hilfsmaßnahmen war es da, mitten in der Sauna, aber bereits zu spät. Zu spät. Zu spät. Doch ich hatte eine Idee, um meinem alten Leben wieder ein wenig Drive zu geben – für den Fall, dass es extrem langweilig wird: Wenn ich demnächst mal wieder das Abenteuer suche, dann finde ich es vielleicht schon um die Ecke: bei „Wax your body“ oder „Wax in the City“.
„Wenn du fünfzig bist und morgens aufwachst und dir nichts wehtut, bist du tot.“ An diesen Spruch muss ich öfter mal denken, wenn ich mich morgens aus dem Bett schaffe und das Gefühl habe, alles muss sich jetzt erstmal an Ort und Stelle zurechtruckeln. War das früher auch schon so? Natürlich nicht. Macht es mir wirklich so viel aus, wie es sich jetzt hier anhört? Natürlich nicht! Solange ich morgens noch selbstständig die Kaffeemaschine und abends den Korkenzieher betätigen kann, kriege ich meine restlichen Tage sicher auch noch gut rum. Und wenn nicht, suche ich mir einfach ein paar Frauen und heule mich mal richtig schön aus. Bei einem kleinen Nachtkerzencocktail vielleicht. Und wenn’s nichts zu heulen gibt, dann wird gefeiert. Und wie! Weiß ja kein Mensch, wie lange wir noch haben!