Sexy little Christmas
In dem Edeka-Laden, in dem ich aufgewachsen bin, konnte man ab Ende November Adventskalender für die Kinder kaufen. Es waren meist DinA4-große dickere Kartonblätter, auf die ein weiteres aufgeklebt war, das nummerierte Türchen besaß, die man öffnen konnte, um ein mehr oder weniger gelungenes weihnachtliches Motiv zu finden. Eigenlicht sollten sie nur die Zeit bis Weihnachten ein wenig verkürzen und die Tage zählen helfen. Das Fensterchen vom 24.12. war immer am größten und das Bild war immer eine Krippe. Im Lauf der Jahre wurden die Adventskalender immer raffinierter: Erst glitzerten sie und dann wurden sie dicker und hinter ihren Türchen verbarg sich Schokolade in Stern-, Glocken- oder Nikolausform. Doch auch das reichte bald nicht mehr aus. Die Schokoladen- und Spielwarenindustrie rüsteten auf, und inzwischen gibt es kaum einen namhaften Hersteller, der nicht einen wild designten Adventskalender mit kleinem Zeug für ein Vielfaches des Warenwertes verkauft, damit Kinder in der westlichen Welt Ü-Eier, Lego, Playmobil oder was immer das Herz begehrt oder das Kinderfernsehen und Weihnachtskino gerade hypen hinter den Türchen hervorholen. Selbst für Babys ab einem Jahr habe ich schon Adventskalender gesehen. Angeblich werden die Kinder ja immer schlauer, aber ob schon ein einjähriges Kind im Stand ist, die Türchen selbst zu finden und zu öffnen und im Anschluss die kleinen Teile nicht zu verschlucken – ich weiß ja nicht.
Wahrscheinlich bleibt das, wie vieles Weihnachtliche an der Mutter hängen, sofern die nicht mit ihrem Adventskalender für Schwangere und junge Mütter beschäftigt ist. Darin befinden sich für 219 Euro so tolle Dinge wie Schnuller, Rassel und Beißring und – weil es ja eigentlich für die Mutter ist – ein Streifenlos-Balsam zur Vorbeugung von Schwangerschaftsstreifen. Ich stelle mir es toll vor, als junge Mutter Schnuller und Rassel aus meinem Adventskalender zu holen und bin meiner Umwelt im Nachhinein dankbar, dass sie mich damit verschont hat. Allerdings hat sie mich auch mit allen anderen Adventskalendern verschont, wohingegen ich als erwachsene Frau mitunter ziemlich losgelegt habe. Irgendwann verfiel ich nämlich der irrwitzigen Ansicht, erwachsene Männer bräuchten Adventskalender und ich bastelte, was das Zeug hielt. Mit dem realistischen Blick einer Überfünfzigjährigen kann ich heute sagen: Es hat sie weder interessiert noch begeistert und genau das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich niemals einen Adventskalender von einem von ihnen bekommen habe oder bekommen werde. Sie können einfach nichts damit anfangen.
Doch das wird sich ändern: Die Industrie für Erwachsenen-Adventskalender läuft auf Hochtouren, wahrscheinlich weil die Männer dann irgendwann doch dachten, dass sie nicht mit ganz leeren Händen dastehen könnten, wenn ihre besseren Hälften wieder mal gebastelt haben. Es begann harmlos mit hochwertigen Pralinen-Adventskalendern und steigerte sich im Lauf der Zeit zu Kosmetikadventskalendern der verschiedensten Marken und in den verschiedenen Preisklassen. Da kann man ja nicht viel falsch machen und von 20 Euro bis 400 Euro sind der Fantasie hier keine Grenzen gesetzt. Wenn man bedenkt, dass man dafür eigentlich auch das ganze Jahr über nur die überflüssigen Pröbchen aus der Parfümerie und den Frauenzeitschriften sammeln und eine Nummer draufkleben müsste, ist das natürlich ein teurer Spaß, aber über Geld wird in der Weihnachtszeit ja nicht gesprochen. Und so findet man zahllose, wirklich zahllose Adventskalender für Erwachsene, hauptsächlich Frauen, im Handel. Als Kosmetik-Special sei hier der „INNER BEAUTY“-Adventskalender hervorgehoben, der mit dem Slogan „All I want for Christmas is Youth“ wirbt und verspricht, das volle Schönheitspotenzial abzurufen und die jugendliche Elasitzität möglichst lange zu erhalten. Unter „Inner Beauty“ hatte ich mir zwar was anderes vorgestellt aber jugendliche Elastizität kann ja auch nichts schaden, und wir können uns uns ja auch immer noch schön trinken: Von „Geile Weine“ über den „24-Days-Rum“-Kalender bis hin zu dem „Single-Malt-Whisky“-Kalender mit LED Funktion gibt es wirklich alles. So hat man bis Weihnachten dann schon einen kleinen Grundpegel und die Lampen an – was kann da schon schiefgehen?
Allerhand, denn neben den Gewürz-, Tee- und Gourmet-Weingummiadventskalendern, neben den „Für Männer“ deklarierten Kalendern, die beispielsweise minderwertiges Werkzeug, Barthaarpflege oder Schokolade mit Playboy-Motiven enthalten, gibt es da ja noch die ganz andere Sparte, die, bei der – Insider ahnen es – es im Karton rappelt Und im Adventskalender auch – für schlappe 450 Euro beispielsweise! Getreu dem Motto „Have yourself a sexy little Christmas“ kann man hier Türchen zur „horny 12“ oder „hot 16“ öffnen. Wen man damit beglückt, muss man gut überlegen, denn wenn Fingervibratoren, Cockrings, Loveballs, Lederhandschellen und pinkfarbene Augenmasken aus Satin nicht zum Standardrepertoire gehören oder man die oder den Beschenkten noch nicht allzu lange kennt, könnte es schon mal zu vorweihnachtlichen Irritationen kommen. Aber spätestens, wenn man dann bis zum Fest die zweite Tube Gleitgel verbraucht und am Heiligen Abend den Paarvibrator in Weihnachtsrot ausgepackt hat, ist das sicher wieder vergessen, oder?
Was auch immer Ihr Fest schön macht – genießen Sie es!
Und hier die Links: