Selbstoptimierung

„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“ Das sagte der Philosoph Søren Kierkegaard. Er lebte vor zweihundert Jahren und er hatte verdamm recht damit. In Zeiten, in denen Vergleiche mit erfolgreicheren, schöneren, schlankeren und intelligenteren Menschen durch die Medien aller Art gewissermaßen wie ein Dauerfeuer auf uns einprasseln, wird das umso deutlicher und ganze Industrien leben davon, dass Teile der Menschheit permanent damit beschäftigt sind, ein wenig perfekter sein zu wollen als sie sind.

Wenn ich mich zum Beispiel mit Amal Clooney vergleiche, stelle ich nicht viel fest, was uns verbindet: Ein gutaussehender Mann und Zwillinge. Das wär’s dann auch schon. Und der Rest, na ja. Wäre schon dazu angetan, mich und vermutlich 90% der Frauen unglücklich zu machen und über mehr oder weniger drastische Reparaturmaßnahmen nachdenken zu lassen.

Während man Männern nachsagt, dass sie in jungen Jahren, so mit 25, zum letzten Mal ihr Ganzkörperprofil im Spiegel betrachtet haben, damit vollkommen zufrieden waren und mit diesem Bild von sich bis an ihr Lebensende ganz beruhigt weiterleben, ist es für uns Frauen echt schwierig, sich dem Optimierungswahn zu entziehen. Wahrscheinlich wollen wir das auch gar nicht. Wir geiern nach Herzogin Kates drittem „After-Baby-Body“. Was für ein Wort! Eines, für das es vor zwanzig Jahren noch gar keinen Grund gab, und wenn es diesen Begriff schon gegeben hätte, hätte er für Bauchfalten und weiche Brüste gestanden. Heute weiß man: Der „After-Baby-Body“, präsentiert von Promifrauen der westlichen Welt – zumindest von denen, die sich nicht völlig undiszipliniert ihrem Schicksal als Mutter hingeben -, ist hart wie Stahl, faltenfrei und falls möglich noch ein bisschen weniger als vor der Schwangerschaft. Sie selbst antworten gerne auf die Frage, wie sie es geschafft haben, gleich wieder so dünn zu sein: „Ach, wissen Sie, wenn man den ganzen Tag hinter einem Kleinkind herrennt, dann kommt das ganz von selbst.“ Dazu kann ich nur sagen: Es gab Zeiten in meinem Leben, da hatte ich drei Kleinkinder, und was da von selbst kam, das wollen Sie gar nicht wissen!

Niemand spricht hier von einem Acht-Stunden-Workout mit Hanteln, Spezialdiät und Personal Coach (im besten Fall) oder einer chirurgischen Straffung der Bauchdecke und der Schamlippen (im drastischeren Fall). Das heißt im Fachjargon übrigens Baby-Make-Over. Nur für die jüngeren Frauen unter uns, die so etwas vielleicht auch in Erwägung ziehen. Sie stehen Schönheitsoperationen ohnehin viel offener gegenüber als unsereine: Mehr als die Hälfte der Frauen, die in Deutschland eine Schönheitsoperation haben vornehmen lassen, sind zwischen 18 und 40 Jahre alt.

Aber die Patienten werden älter, was ich verstehen kann: Vor Weihnachten ist es mir ständig passiert, dass Menschen, nette, wohlmeinende Menschen, zu mir sagten: „Du siehst aber müde aus.“ Es war vor Weihnachten, also wie sollte ich sonst aussehen? Oder lag es vielleicht gar nicht an Weihnachten? Lag es an meinem 51. Lebensjahr? Lag es daran, dass Elastin- und Kollagenproduktion auch bei mir mit dem Alter abnehmen und sich die Augenlider – wie der komplette Rest – sehr bald der Schwerkraft ergeben würden? (Alkohol, Zigaretten und Schlafmangel sollen auch ihr Übriges tun, aber das betrifft mich ja kaum, wie man weiß.) Sollte man sich zum 51. Geburtstag, wenn schon keine Lidstraffung, dann wenigstens ein bisschen Botox wünschen? Oder sollte man dazu stehen, einfach mal müde auszusehen, wenn man es ist? Sollten wir dazustehen, mit 40 auszusehen wie mit 40 und mit 50 wie mit 50? Oder sollten wir detoxen, selftracken und bleachen, um jung, fit und intelligent auszusehen? Ja, intelligent: Es gibt Studien, nach denen Menschen mit besonders weißen Zähnen für gebildeter gehalten werden. Womit wir beim nächsten Optimierungsbereich wären:

Denn nicht nur schönheitsmäßig müssen wir uns ständig optimieren: Wir sollen lebenslang lernen und offenbleiben, wir sollen die neuesten Trends in allen Bereichen kennen und ihnen, falls möglich, folgen. Alles andere wäre dumm und undiszipliniert. Wir sollen fit bleiben und wir sollen natürlich unser Leben in Ordnung haben und halten. Tchibo drückte das heute (HEUTE!) in seinem Newsletter, den ich dankenswerterweise gleich auf zwei Mail-Adressen bekomme, so aus: „Moderner Dreikampf: In Form bleiben, den Haushalt schmeißen und dabei ganz entspannt den Alltag meistern.“

„When too perfect, dann liebe Gott böse“, wie einst so treffend der koreanisch-US-amerikanische Künstler June Paik es formulierte. Da bin ich ganz bei ihm!

(Quelle: https://meyer-gattermann.de/trends-behandlungen/ (abgerufen am 14.1.2018)