Schönrederei

Endlich! Es ist soweit! Meine Lieblingsfrauenzeitschrift, in feministischen Kreisen häufig despektierlich „Frigitte“ genannt, hat eine weitere Leserinnengruppe ins Visier genommen. Frauen Ü60, wie man heute so schön sagt. Sie tut dies mit dem flotten Spruch: „Das Magazin für die dritte Lebenshälfte“, und als ich das so las, dachte ich, upps, irgendwas stimmt hier nicht. Nun war ich ja in Mathe nie so richtig gut, aber wenn ich mir eins gemerkt habe, dann dass es von einem Ganzen nie mehr als zwei Hälften gibt. Drei Hälften sind anderthalb, und wäre man nun bösartig, müsste man der Brigitte unterstellen, sie sei der Meinung, das Leben sei mit sechzig, also wenn dann lesetechnisch die ersten beiden Hälften um sind, erstmal zu Ende und man müsste dann auf irgendein Zusatzleben hoffen, den Nachschlag gewissermaßen. Aber das will die Brigitte natürlich nicht damit sagen, im Gegenteil: Brigitte postuliert „Alter? Ich nenne es Leben für Fortgeschrittene“ und reiht sich mit der „arithmetisch unkonventionellen Formulierung“ (schade, dass ich diesen Begriff nicht schon zu Schulzeiten gekannt habe – er hätte mich so oft retten können!) nahtlos ein in die schöne Welt der Euphemismen, die tagtäglich neue Blüten treibt.

Euphemismen sind schöne Wörter für etwas, das nicht so erbaulich ist; kein Wunder also, dass sie vielfältig eingesetzt werden und dass irgendwie jeder dafür auch ein bisschen empfänglich ist. Da wäre natürlich die Schönheitsbranche, die speziell bei uns Frauen zwar stets was optimieren will, aber nicht sagen darf, dass es etwas zu optimieren gibt. Nun wissen wir ja alle, die es uns betrifft, dass wir nicht voll schlank sind, nur weil wir vollschlank sind, aber was spricht denn schon gegen eine schöne Rubensfigur? So langsam frage auch ich mich, ab wann wir Frauen eigentlich in den „besten Jahren“ sind. Etwa wenn wir die neue „Brigitte Wir“ lesen (die ab 60, Sie wissen schon) oder schön früher, bei „Brigitte Woman“ (dem Magazin ab 50!)? Und wie ist das denn bei den Männern? Fangen bei denen die „besten Jahre“ früher oder später an? Und ist es erstrebenswert, marketingtechnisch in die die Gruppe der „Best Ager“ aufzusteigen oder gar den Rang eines „Master Consumers“ zu erringen. Wobei ich zugeben muss, dass dieser Begriff, zumindest was mich betrifft, nicht an ein bestimmtes Alter gebunden ist. Aber all das sind Begriffe für die Generation Ü50, denen damit, wie es in einer Kritik heißt, vorgegaukelt werde, dass das beste Alter nach dem 50. Geburtstag beginne, was eine irreführende Vorstellung sei. Ich sage nur, es kommt drauf an, was man draus macht.

Auch in anderen Gebieten gibt es immer wieder schöne Euphemismen, in der Politik zum Beispiel. „Schnelle Antworten sind aufgrund der hohen Kompetenzdichte nicht zu erwarten“, hörte ich letztens in den Nachrichten. Will sagen, alle wissen was, aber keiner etwas Relevantes. Oder wenn Herr Schäuble sagt, er könne nicht ausschließen, dass jeder Einzelne mehr Eigenverantwortung übernehmen müsse, dann wissen wir schon, wohin die Reise geht. Übersetzt heißt das nämlich „Ihr sollt mehr aus eigener Tasche zahlen, und das ist auch schon beschlossene Sache“. Ganz schlimm wird es aber bekanntlich, wenn seine Chefin, Frau Merkel, jemandem ihr Vertrauen ausspricht. Oder gar ihr vollstes. Eine Statistik besagt, dass durchschnittlich 193 Tage nach einem solchen Vertrauensbeweis in 64,71 % der Fälle ein Rücktritt folgt. Apropos „zurück“: der schöne Begriff „Rückführung in das Heimatland“ meint natürlich nichts anderes als „Abschiebung“, klingt dagegen aber so richtig gemütlich, oder? Von den vielzitierten Kollateralschäden wollen wir hier mal schweigen, vielmehr wenden wir uns der Wirtschaft zu: Wenn die Bosse von „Nullwachstum“ „Personalfreisetzung“ oder „Abwicklung“ sprechen, hören sich „Verlust“, „Entlassungen“ und „Firmenschließung“ doch gar nicht mehr so schlimm an, oder. Dumm nur, dass sie es trotzdem bleiben. Zum Beispiel für den dort beschäftigten „Facility Manager“, einst Hausmeister, oder die „Raumpflegerin“ gerne auch „Lady Müllfort“ genannt, was ja aber irgendwie auch wieder ganz goldig klingt.

Zum Abschluss dieser erbaulichen Runde verrate ich Ihnen noch, wie es mein Mann geschafft hat, mich seinerzeit aus der florierenden Barockstadt Fulda nach Altenburg zu locken. Er flüsterte er mir ins gewillte Ohr: „Weißt du Traudi, Altenburg ist das Schwabing von Alsfeld.“ Was daran ein Euphemismus ist, fragen Sie sich – das fragt er sich auch!