Schiffschaukel-Blues

Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht, aber mich überkommt auf dem Pfingstmarkt manchmal so eine Melancholie. Dieses Jahr zumindest war es so und nicht erst, als ich mich am Dienstag zu vorgerückter Stunde und nach einigen Bieren aus dem Festzelt auf den Heimweg machte, während rundherum schon das große Abbauen begann. So ein Gefühl, als würde etwas fehlen, etwas ganz, ganz Wichtiges.

Manchmal hilft es ja, wenn man den Blickwinkel ändert und von oben auf die Dinge sieht – das sagte zumindest mal der Astronaut Ulrich Walter. Nun kann ich ja nicht mal eben ins All fliegen, wenn ich Erleuchtung suche, was nicht selten der Fall ist. Aber in dieser speziellen Angelegenheit konnte ich zumindest mal das Riesenrad (jetzt habe ich zuerst schon „Riesenrat“ geschrieben, danke, Herr Freud!) bemühen und in meiner Gondel hoch oben über Alsfeld auf Einfälle warten. Ich liebe Riesenrad fahren, auch wenn meine Kinder käseweiß neben mit saßen und fragten „Wann fährt es denn wieder runter?“ Die mögen halt lieber Disco-Jet und diese anderen komischen Sachen, von denen mir seit vielen Jahren nur noch schlecht wird. Außerdem habe ich Angst: ich will nicht im freien Fall von irgendwo runterfallen und mich dabei auf einzelne Schrauben verlassen, die von einzelnen Menschen festgedreht wurden. Ich will auch nicht kopfüber irgendwo drin hängen und hoffen, dass hinterher noch alles an Ort und Stelle ist – falls es ein Hinterher überhaupt gibt! Ich brauch das alles nicht – mein Leben ist auch so aufregend genug. Riesenrad aber geht – als einziges!

Von oben sah ich viele kleine Menschen, die sich feingemacht oder nicht feingemacht auf dem Gelände tummelten. Sie hielten Kinder an der Hand, die ihrerseits teure mit Gas gefüllte Luftballons an der Hand hielten und meistens furchtbar unglücklich waren, weil sie gerade nach der vermutlich 25. Fahrt dann doch das Karussell verlassen mussten. Sie versuchten ihr Glück an der Losbude oder am Fischbrötchenstand, suchten die Herausforderungen beim Softeis (Salmonellen / keine Salmonellen) oder beim Greifarmspielen. Sie unterhielten sich, gingen wortlos, schoben Kinderwagen, knutschen heimlich – das volle Jahrmarktprogramm aus der Astronautenperspektive für Arme – herrlich! Plötzlich sah ich sie: Auf dem Kettenkarussell saß anmutig und voller Schönheit eine Elfe. Schön geschnitzt und in schüchternem Pastell bemalt. Nostalgie pur! Und als ich sie so sah, wusste ich, was mir fehlte: eine Schiffschaukel. Eine richtige Schiffschaukel: mehrere kleine Holzschaukeln in einer Reihe, die man selbst aus eigener Kraft antreiben konnte, bis man hoch nach oben flog oder bis man an der Kirmes vielleicht den Nachbarsjungen in sich verliebt gemacht hatte, der die Schiffschaukel alleine antrieb, bis sie ihn und das Mädchen hoch in den Himmel trug und der Rock des Mädchens sich hob wie seinerzeit bei Marylin auf dem Lüftungsschacht! Sie merken es: da schwingen jede Menge Erinnerungen mit – und zwar im wahrsten Sinne des Wortes! Erinnerungen an die Kirmes in einem kleinen Dorf, in dem tatsächlich die Schiffschaukel und die Schießbude die einzige Attraktion war. Je nachdem, wie begehrt man war (und wie gut die Jungs schießen konnten), konnte man am Ende der Kirmes einen ganzen knallbunten Plastikblumenstrauß sein eigen nennen und bis zur nächstem Kirmes anschmachten. Und dann erst noch die Schiffschaukelbremser! Traumberuf für viele Jungs, die sehnsüchtig das Schild „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ anschauten, wohlwissend, dass sie auch in diesem Jahr nach der Kirmes wieder ihre gewohnten Wege gehen würden und der ganze kleine Rummel ohne sie weiterziehen würde. Aber man wird ja mal träumen dürfen!

Wie war ich da jetzt draufgekommen? Ach ja, die Schiffschaukel, besser gesagt, die fehlende Schiffschaukel! Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, ob ich heute noch darin schaukeln würde: die Knie, wissen Sie, und die Kondition! Und der Rücken meines Mannes. Und der Anblick, wenn der Rock sich hebt. Und überhaupt…

Vielleicht sollte man dann doch lieber Vergangenes ruhen lassen und sich beherzt in den Disco-Jet setzen. Oder ins Kettenkarussell. Nächste Jahr. Vielleicht.

Bis dahin noch viel Spaß auf dem Rummelplatz des Lebens!