Scheiß-Carola

Wir befinden uns in Woche – ja, in was für einer Woche eigentlich? Wann, würden wir denn sagen, ging es denn los mit der Scheiß-Carola, wie meine Zwillinge das Thema, das die Welt beherrscht, so einfach wie einprägsam tituliert haben. Also, ich würde mich auf Freitag, den 13., festlegen. Einfach, weil da die Schule abgesagt wurde und weil Freitag, der 13., aus naheliegenden Gründen ein einprägsames Datum ist. Obwohl es natürlich schon vorher losging, wenn man es mal an den leeren Klopapierregalgen festmachen will. Da wäre man dann schon bei Ende Februar. Also sagen wir: der 1. März. Dann wären wir jetzt in Woche fünf von, leider nicht nach, sondern mit Corona. Und wie sich in dieser Zeit die Welt gedreht hat, brauche ich Ihnen ja nicht zu sagen. Sollten Sie Bedarf an diesbezüglicher Aufklärung haben, können Sie die Sondersendungen zum Thema schauen, davon gibt es ja pro Tag sicher 20 Stück, wenn nicht mehr, auf allen Kanälen, und wenn ich dann sehe, wie auf jedem einzelnen von ihnen leere Plätze, Straßen und Strände gezeigt werden mit dem Hinweis, dass es sich um leere Plätze, Straßen und Strände handelt, dann weiß ich nicht, ob man wirklich jede Sondersendung drehen muss. Oder wenn Schüler befragt werden, die sagen, sie kämen schon zurecht, aber der Kontakt würde ihnen fehlen, dann frage ich mich, was dabei die Neuigkeit ist. Klar, es passiert sonst nix, aber der Sendeplatz für Sondersendungen war ja vorher auch mit anderen Sachen gefüllt. Wo sind die denn alle hingekommen? In Quarantäne vielleicht?

Um der Panik ein wenig zu entgehen, schaue ich jetzt fast keine Nachrichten mehr. Ich beschränke mich auf die Tagesschau und ihre App und die Statistik in der Süddeutschen. Fertig. Ich will nicht mehr mehr davon hören. Allerdings habe ich auf diese Weise auch schon länger den so attraktiven wie intelligenten und sympathischen Herrn Drosten nicht mehr gesehen. Herr Wieler vom RKI (und der Tagesschau-App) macht zwar auch einen guten Job, aber optisch kann er halt nicht so mithalten. Außerdem sagt der immer so Sachen wie „Wir befinden uns erst am Anfang der Pandemie.“ Ich fühle mich aber schon mittendrin. Aber das nur am Rande. Auch arbeitstechnisch gibt es ja kein, aber auch gar kein anderes, Thema mehr und privat, also bei Telefonaten mit Freundinnen und Freunden ja auch kaum. Umso schöner ist es, wenn ich Mails von Ulla Popken oder Underwearshopping bekomme. Die sind – abgesehen von kleinen Hinweisen, dass die Teams auch in der Krise für mich da sind – virenfrei. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich über Werbemails nochmal so freuen würde. Obwohl ich natürlich so gut wie nichts mehr online kaufe. Habe ich eh schon nicht übermäßig. Nun hebe ich meine Bedürfnisse erst recht auf, bis der hiesige Einzelhandel wieder aufmacht und darauf freue ich mich wirklich schon sehr. Das Modehaus meines Vertrauens möge mir schon mal eine kleine Auswahl an schwarzen BHs zurechtlegen, bitte!

Auch auf die Begegnungen, auf die Eiscafés und die Biergärten freue ich mich wie verrückt. Was für geübte Misanthropen paradiesische Zustände sind, ist für mich schwer erträglich. Gerade jetzt. Aber das, das wissen Sie und ich, ist Klagen auf hohem Niveau. Wir sitzen hier im Vogelsberg, hoffentlich gesund, haben jede Menge Gegend um uns herum, und auch wenn wir die Grills nur für uns und die nächsten Menschen um uns herum anschmeißen, geht es uns – zumindest was die äußeren Umstände betrifft – doch noch ganz schön gut. Vorausgesetzt natürlich, man mag seine Familie. Das wäre wirklich hilfreich in diesen Tagen. Und ganz ehrlich, wenn man in unseren Breiten nicht so genau hinschaut, merkt man mitunter ja gar nicht, dass wir in einer Quasi-Ausgangssperre leben. „Die einen nennen es Ausgangssperre, die anderen nennen es Samstag in Oberhessen“, habe ich letztens gehört. Und so ganz und gar Unrecht hatte derjenige ja wohl nicht…

Wie dem auch sei, während ich mich inzwischen wie wahnsinnig freue, wenn ich auf dem Parkplatz aus zwei Metern Entfernung ein Schwätzchen mit meiner Freundin halten kann, scheinen andere der Meinung zu sein, die Ausbreitung des Virus könne auch durch Runterschauen und Schweigen unterbrochen werden. Finde ich nicht: Miteinanderreden und freundlich sein, wird schon noch gehen. Wie gut, dass der Security-Mann vor dem Supermarkt um die Ecke zwölf Stunden am Tag für Entertainment sorgt. Gutgelaunt passt er auf, dass die Einkaufenden alles richtig machen: Dass man nun alleine einkaufen muss und auch noch einen Wagen nehmen, ist für mich eh nix Neues. Mache ich schon fast immer so! (Und so wer mich gestern Klopapier hat kaufen sehen: Ja, es war wirklich fast alle!) Obwohl ja gerade jetzt alle gerne was zusammen machen wollen. Ich habe noch nie so viele Paare in den Erlen joggen oder spazierengehen gesehen wie in der letzten Zeit. Da entdecken sich viele wahrscheinlich ganz neu. Wenn das mal gutgeht…

Was ein wenig nervig ist, sind die Burgwächter, die die sich jetzt schon wieder berufen fühlen, dafür zu sorgen, dass die ganzen Regeln auch ja eingehalten werden. Auf Fotos beispielsweise, die vor der Krise gemacht wurden, aber erst jetzt veröffentlicht werden, gibt es Kommentare wie „Wie können Sie sich in diesen Tagen so eng stellen!“ „Und wo sind die zwei Meter Abstand zwischen den Menschen auf diesem Bild?“ Vielleicht sind sie verwandt, leben gar zusammen? Wieso muss plötzlich alles erklärt werden? Traut man den anderen kein Verantwortungsbewusstsein zu? Bei Fernsehinterviews zeigt eine Totale mehrfach, dass alle Beteiligten auch weit genug auseinanderstehen. „Natürlich mit Abstand“, wird dann dauernd wiederholt. Nur nicht für Unmut sorgen! Und wie ist es jetzt eigentlich mit den Mundschutzen und den Handschuhen? Soll man jetzt welche tragen? Und wenn ja, woher nehmen? Wäre es vielleicht sinnvoll, sie denjenigen zu lassen, die sie wirklich, also wirklich brauchen? Stellt sich die Frage, ob die Selbstgenähten (oder die aus Stoff und Gummiringen Gefalteten) wirklich so gut sind wie die anderen, und dürfen sie eigentlich Mundschutz heißen oder sind sie nur Hygieneschutz? Auch die Institute und Universitäten sind sich da ja gar nicht unbedingt einig. (Ich habe übrigens gestern gerade in einer meiner WhatsApp-Gruppen selbstgenähte Mundschutze an zwei gutaussehenden Menschen gesehen: Ich würde dann fünf geblümte und fünf rote bestellen. Geht das?) Während manche noch kopfschütteln über die, die sich mit verschiedensten Accessoires schützen, schütteln andere die Köpfe über die, die es nicht tun. Es lebe das Dogma!

Wir leben in schwierigen Zeiten gerade, die Anspannung ist groß. Ich spüre, dass ich abends müder bin als sonst, obwohl ich weniger mache. Die Situation scheint eine Grundgebühr an Energie von mir zu fordern. Allerdings mache ich auch viele neue Sachen, die für eine Frau meines Alters wahrscheinlich auch einfach zu anstrengend sind: Innerhalb zweier Wochen habe ich Konferenzen über GoToMeeting gehabt, habe per Zoom Pilates trainiert und per Jitsi und Skype mit den Freundinnen Aperol getrunken. Ich bin Videoandachten-Produzentin geworden (zwar mehr im Sinne von Organisatorin, aber immerhin) und ich habe großen Anteil an der Zwangsdigitalisierung meines Arbeitsumfelds. Nur zum Aufräumen bin ich noch nicht gekommen. Das klappt selbst in der Krise nicht. Macht aber nix. Alles gar nicht mal so schlecht. Aber alles wegen der Scheiß-Carola, die ja nicht nur Kontaktsperre im Gepäck hat. Hoffentlich verpisst sie sich bald.