Saukalt

Falls ihr euch wundert, dass ihr seit meiner Frauentagslesung am 8. März nichts mehr von mir gehört habt, dann seid versichert: Ihr habt nichts verpasst. Ich habe einfach nichts geschrieben und nichts, was schon da war, sortiert und veröffentlicht. Der Grund: Ich war eingefroren! Am 22.2. bereits hatte ich freudestrahlend die diesjährige sockenfreie Zeit eingeläutet und auch eine ganze Weile durchgehalten, doch dann musste selbst ich einsehen: Es war zu früh. Es war auch zu früh, meinen von winterlichen Schmuddelwetterrunden doch sehr verdreckten roten Parka zu waschen und wegzuräumen, und es war auch zu früh, die Schal-, Mützen- und Handschuhberge der Jungs wieder in den Tiefen der Ikeaboxen verschwinden zu lassen. Es war zu früh für lackierte Fußnägel und für die erste Runde African Wonder, mit dem ich meine weißen Gräten farblich der strumpffreien Zeit anpassen wollte. Es war zu früh für Frühlingsgefühle und die aufkeimende Hoffnung, dass wir uns zumindest draußen mal wieder etwas gemütlicher und zwangloser treffen könnten. Am Ende sogar mit mehr als zwei Personen. OMG!

Und als ich so darüber nachdachte, wurde mir klar, dass das Gefühl von Kälte nicht allein mit den Temperaturen zu tun hat, sondern mit dem, was das Leben uns grade so abverlangt. Mir zumindest. Mein Slogan für das neue Jahr war „Man könnte es auch so sehen: Selten hatte ein neues Jahr so viel Potenzial, besser zu werden als das alte…“ Das hatte ich voller Hoffnung auf meine Weihnachtskarten gedruckt, und damit wurde ich sogar hier und da zitiert. Heute sage ich: Das Jahr 2021 ist grade dabei, ganz schön zu verkacken. Ich muss es leider so deutlich sagen, sorry. Es tut sich nämlich nichts in Sachen „Es kann nur besser werden“. Im Gegenteil: Wir bewegen uns nicht nur nicht nach vorne, wir machen Rückschritte. Und wenn schon ich nach einem Jahr Kontaktbeschränkungen das Gefühl habe, mit wenig Gesellschaft und wenigen Terminen und wenig Ansprache und so daheim rum komme ich auch gut aus, dann kann man mit Sicherheit von einer coronabedingten Wesensveränderung sprechen.

Und jetzt hat sich auch noch das Wetter mit dem Virus verbündet: Es wird einfach nicht warm. So wie man sich bessernden Corona-Zahlen nicht glaubt, weil sie sich so schnell wieder drehen können, so mag man auch den sich hier und da zeigenden blauen Wolken nicht glauben, denn bis gestern schneite es daraus aus heiterem Himmel. In normalen Zeiten hätte ich das interessant gefunden und gedacht, ach schau mal, die Natur macht halt, was sie will. In normalen Zeiten freue ich mich dran, dass das Wetter ganz demokratisch für alle gleich schlecht ist und man es selbst in der Hand hat, es zu kalt, zu nass, zu windig zu finden oder den Regenbogen zu suchen, in Pfützen zu hüpfen oder sich zuhause gemütlich einzukuscheln. Doch aktuell gibt die Gemengelage das nicht her. Aktuell ist es einfach nur viel zu kalt. Wollen wir nur mal hoffen, dass der Frühling kein Corona hat und auf unbestimmte Zeit in Quarantäne muss…

Ganz kurz gab es diese Woche einen kleinen Lichtschweif am Horizont: Mit einem frischen, wunderbar negativen Corona-Test stand ich im Schuhladen meines Vertrauens, da Alsfeld ja Modellstadt für acht Tage war. Ich kaufte silberglänzende Sommerschuhe und hatte eine kurze Illusion von Frühling. Wenige Stunden später stand ich ohne Socken und natürlich auch ohne Winterjacke im größten Schneetreiben, das je im April stattgefunden haben muss, und fror. Natürlich hängt das auch damit zusammen, dass ich so ein klein wenig bockig bin und mir schwertue, einmal ausgerufene Regeln – wie das Weglassen von Socken aller Art ab März, es sei denn zum Wandern oder so – wieder rückgängig zu machen.

Und so hangele ich mich derzeit widerwillig von Socke zu Socke im Besonderen und durch den Alltag im Allgemeinen. Und ich übe mich darin, den sich hier und da zeigenden Sonnenstrahlen doch wieder zu glauben, dass sie den Frühling bringen. Haben sie ja immer so gemacht. Irgendwann. Mit Wärme, Balkontreffen, sockenfreien Tagen bis in den Oktober. Nicht dass ich das vor lauter Trübsinn noch verpasse. Zur Vorbereitung werde ich heute Abend schon mal einen Aperol mit meiner Freundin auf dem Balkon trinken. In der einen Winterjacke, die ich noch nicht gewaschen habe. Ob ich dazu Socken tragen werde, weiß ich noch nicht. Sind ja immerhin fünf Grad draußen – besser als vier, oder?!