Saisonware
…wisst ihr, wass ich am Wochenende in Alsfeld gesehen habe: Christstollen, Spekulatius und Bärchen mit Nikolausmützen! Könnte ich eigentlich ’ne Kolumne drüber schreiben! Muss ich aber gar nicht – hab‘ ich nämlich schon! Und zwar vor vier Jahren. Wie schön, wenn die wichtigen Dinge im Leben so eine Konstanz haben!
Hier für euch zum Wiederlesen:
Saisonware
Am 27. August habe ich in Alsfeld vor dem Schaufenster eines Geschäftes ein Foto gemacht: auf der Glasscheibe klebte eine stimmungsvolle Aufnahme von einem Weihnachtsmarkt mit dem Hinweis, dass man in diesem Geschäft nun schon die ersten Weihnachtssachen kaufen könne. War ich beruhigt, dass auch in diesem Jahr die Weihnachtszufuhr wieder gesichert sein würde oder war ich schockiert? Ich will mich jetzt nicht auf den Tag festlegen, aber rund um dieses Datum herrschten noch teilweise über 30°C, der Sommer war noch in vollem Gang und nicht einmal die Supermärkte hatten schon die Lebkuchen hervorgeholt, die vermutlich aber schon längst ungeduldig in ihren Lägern standen. Doch die längste Zeit hatte es gedauert. Wir alle wissen, dass es spätestens im September mit der Contenance der Marktleiter vorbei ist, und dass – merkwürdigerweise noch bevor die unvermeidlichen Oktoberfest-Accessoires hervorgeholt werden – die Pfeffernüsse, Marzipankartoffeln, Adventskalender und Nikoläuse ihren angestammten Platz vom Vorjahr einnehmen, auf den sie nur ungern und auch nur wenige Monate im Jahr verzichten wollen – eigentlich räumen sie ihn im Januar nur kurz, um vorübergehend den Osterhasen Platz zu machen.
„Saisonartikel – bitte bevorraten Sie sich“ – damit wird den hamsterkaufanfälligen Kunden suggeriert, dass, sollte man nicht bereits im September zuschlagen, man Gefahr läuft, an Weihnachten ohne alles da zu stehen. OHNE ALLES! (Hier käme jetzt, wenn wir Ton hätten, die Horror-Film-Ton-App meines Sohnes zum Tragen, die die schreckliche Vorstellung eindrucksvoll unterstreichen würde.) Und obwohl ich Lebkuchen mag und Baumkuchen auch und Nougat auch, habe ich es bisher immer noch geschafft, dem Kauftrieb bis Ende Oktober standzuhalten. Ab da geht jetzt nun aber gar nichts mehr: Allüberall grüßen Elche, Engel, Nikoläuse, Geschenktüten, Tannenbäume, es funkelt Silbern, Gülden und Rot und jeden zweiten Tag bringt der Postbote irgendein Weihnachtsspecial der großen und kleinen Geschenkanbieter ins Haus. Wird aber auch Zeit – schließlich will man ja in Ruhe Geschenke aussuchen, da sollte man jetzt aber schon mal anfangen. Nicht dass kurz vor Weihnachten dann die besten Sachen weg sind. Auch die Fernsehwerbung schwenkt Anfang Oktober bedenkenlos auf eine neue Zielgruppe um: Mädchen sollen – wie Generationen vor ihnen – mit dem Wunsch nach hippen rosa Barbie-Möbeln und herzallerliebsten Aufzieh-Plüsch-Tieren bis zum Weihnachtsfest nerven, Jungs sollen sich, wenn es den Werbespots nachgeht, wieder jede Mengen Plastik-Monster und Konsolen-Spiele wünschen.
Ich weiß ja nicht, wie es Ihnen geht – mit hat dieser ganze frühe Hype noch nie geholfen, stressfrei und pünktlich ins Weihnachtsfest zu starten. Denn obwohl man schon im September unausweichlich auf das große Konsumereignis zusteuert, denke ich immer, ach, ist ja noch Zeit. (Eine Haltung, die sich auch jenseits von Weihnachten manifestiert. Nicht immer zu meinem Vorteil.) Außerdem sind vorher ja noch tausend andere Sachen. Und dann ist es plötzlich da, das große Fest: und wieder sind bis zum letzten Tag nicht alle Weihnachtskarten geschrieben, wieder nicht alle Geschenke besorgt. Dafür werden bis dahin aber bereits die ersten Schals und Mützen vermisst, aber es wird keine neuen mehr geben, denn ab Dezember heißt es in den Geschäften „wir kriegen ja jetzt schon die Frühlingsware“. Apropos Frühlingsware: Vergangenen Dienstag erhielt ich eine Mail: „Portofrei – Unsere Frühjahrsneuheiten exklusiv für Sie“ hieß es da. Wie bitte? Ja, genau. Angebot gültig bis 19.11. Na, dann will ich doch mal schnell sein – vielleicht finde ich ja schon mal ein schönes Ostergeschenk!
Und jetzt die gute Nachricht: Weihnachten kommt ganz von selbst!