Protest to go

Letzte Woche habe ich die Panoramfreiheit gerettet, wussten Sie das eigentlich? Und vorletzte Woche habe ich dafür gesorgt, dass ein junger afghanischer Flüchtling dauerhaft bei seiner deutschen Familie in Niedersachsen bleiben durfte. Und es war gar nicht so schwer: ein beherzter Klick auf der Online-Petitions-Website www.change.org und schon war ich politisch engagiert und am Entscheidungsprozess in Brüssel und Oldenburg mitbeteiligt. Ich liebe diese Mitmach-Websites, denn noch nie war es so einfach, für oder gegen etwas zu sein! Musste man sich früher noch mit Plakataktionen auf Marktplätzen und vor Supermärkten die Beine in den Bauch stehen und Leute dazu animieren, wenigstens mal kurz, ganz kurz nur, stehenzubleiben und zuzuhören, reicht heute eine schöne Seite und ruckzuck hat man das Interesse von Millionen von Internetnutzern geweckt. Die wiederum freuen sich, dass sie zur Meinungskundgabe nun nicht mal mehr ihren Schreibtisch oder die Couch oder gar das Bett verlassen müssen. Klick, Meinung sagen, wohlfühlen, weiterpennen. Toll!

Auf diese Weise gebe ich regelmäßig bei campact.de meine Stimme gegen TTIP ab – das kann man ja gar nicht oft genug tun, finde ich -, und versuche gerade zu erwirken, dass die EU endlich dafür sorgt, dass Supermärkte ihr unverkauftes Essen spenden anstatt es wegzuwerfen. 40 kg pro Tag und pro Supermarkt sollen das sein! Und so lange ich das tue, muss ich auch nicht darüber nachdenken, was bei uns zuhause so alles im Müll landet. Sehr praktisch! Natürlich habe ich auch schon für die Petition „Bundestag: #Fracking gesetzlich verbieten – Ausgfrackt is!“ geklickt, und das nicht nur wegen des schönen Namens der Bittschrift.

Es tut einfach gut, am Schreibtisch zu sitzen und zu wissen, dass man auf der richtigen Seite ist, und das blitzschnell, denn Zeit ist knapp. Andere haben davon offenbar mehr als genug – kaum ein Thema, zu dem nicht irgendwer eine kleine Petition verfasst hätte: So kann man auf openpetition.de seine Stimme dafür abgeben, dass der Fernsehsender Prosieben MAXX die deutsche Lizenz für „Dragonball“ erwerben soll. Während ich keinen Schimmer habe, was das ist, haben schon fast 30.000 dafür gestimmt! Ob sich Prosieben allerdings derart ins Fernsehgeschäft pfuschen lässt, weiß ich nicht. Bei der Petition „Lanz raus aus meinem Rundfunkbeitrag“ jedenfalls hat es nicht geholfen, obwohl mehr als 230.000 engagierte Talkshow-Zuschauer unterzeichnet hatten. Schneller als das wäre wohl nur gewesen, einfach umzuschalten und Markus Lanz alleine weiterreden zu lassen. Aber so allein mit seinem Protest, das ist ja auch nicht schön.

Außerdem lernt man immer was dazu, wenn man sich so durch die Petitionen klickt: So wehrt sich die Stadt München immer noch erfolgreich gegen Stolpersteine! Das kann doch nicht sein – Klick, die sollen sich bloß nicht so anstellen! Ich bin dafür, dass auch die bayrische Landeshauptstadt ihren Anteil am Gedenken trägt. Und selbstverständlich möchte ich auch, dass die Gustavstraße in Fürth erhalten wird. Da war ich zwar noch nie, aber wenn ich mal hin will, sollte sie schon noch da sein. Klick! Ich stimme für einen „fairen Umgang mit Kunst und Kultur in Bad Segeberg“, mein roter Bruder wird es mir sicher danken! Klick! Und natürlich beteilige ich mich auch an der Rettung der Spätis und Berlins einmaliger Kiez-Kultur. Ich meine, ich gehe fast jedes Mal, wenn ich in Berlin bin, zu einem Späti, und das ist mindestens einmal im Jahr. Klick! Wissenschaftler haben allerdings festgestellt, dass der digitale Aktivismus nach dem Mausklick endet, was nicht verwunderlich ist, denn es wartet ja schon die nächste Petition. Oder der nächste Schlussverkauf bei schuhpaket.de. „Nur wenige beschäftigen sich auch nach Unterzeichnung noch weiter mit dem gerade unterzeichneten Thema. Das ‚Commitment‘, also die Verbindung zum Thema, ist sehr gering“, heißt es dazu. Kann sein, aber geklickt ist geklickt! Und es fühlt sich toll an!

Wofür Sie übrigens tatsächlich mal klicken sollten, ist diese Petition „Zeigt allen Respekt – schafft das BILD-Girl ab! #BILDsexism“. Das ist jetzt mal richtig wichtig. Echt jetzt!