No Pants

Sie sind DER Sommertrend 2023: „No pants“ hat es sogar in die Tageszeitung geschafft. „No pants“ will heißen, wir gehen heute mal ohne Hose, Rock oder Kleid vor die Türe. Sich ordentlich anziehen war gestern und wird offenbar ohnehin grob überschätzt. Promis, also, weibliche Promis natürlich nur, zeigen sich in der Öffentlichkeit mit Strumpfhosen ohne was drüber – bestenfalls – oder mit Männerunterhosen, weiß, Eingriff, Doppelripp – schlechtestenfalls. Das, womit wir früher unseren Kindern gedroht haben – nach dem Motto, wenn du dich jetzt nicht anziehst, musst du eben in der Unterhose in die Kita – wird nun auf den Laufstegen und roten Teppichen der Welt Wirklichkeit. Ob diese Mode es bis in den Vogelsberg schafft, können wir in den nächsten Wochen sehen.

Immer wenn ich über so etwas schreibe, kommt meine Schwiegermutter ins Spiel. „Alles, was modern ist, ist noch lange nicht praktisch“, ist einer ihrer Lieblingssprüche. Versierte Leserinnen kennen dieses Zitat schon, und, was soll ich sagen, sie hat wieder mal recht. „Warum nur“, fragen sich neben ihr und meiner Wenigkeit auch verschiedene Modemagazine, denn, so „Glamour“: „Der No-Pants-Trend ist selbstgefällige, unpraktische Mode vom Feinsten.“ Obwohl: So unpraktisch ist es nun auch wieder nicht: Sieht zwar scheiße aus – selbst an den tollen Frauen -, aber man ist halt auch echt schnell fertig. Schnell fertig wäre für mich natürlich ein Argument, doch ich höre schon bei der Vorstellung, unvollständig angezogen rauszugehen, die Stimme meiner Mutter, die mir zuflüstert „Träudche, du der ebbes Urdentliches o.“ Dabei wäre ich voll im Trend und es gibt den Look auch in Edel, wie man sich denken kann: Bei meinen Recherchen bin ich tatsächlich auf einen mit Pailletten bestickten Slip gestoßen. Zu Beginn derselben lief ich allerdings Gefahr, das mit dem „No Pants“ völlig misszuverstehen, Ihnen kann ich’s ja sagen: Ich dachte, es bedeute, keine Unterhose zu tragen. Wie gut, dass ich nicht bei jedem Trend gleich mitmache. Sonst wäre ich fast wegen mangelnder Englischkenntnisse einer völlig falschen Idee aufgesessen und wäre als Vogelsberger Sharon Stone in die Geschichte eingegangen. Zugegeben, Vogelsberger Sharon Stone hat was für sich, aber das Opfer wäre dann doch zu groß. Auch wenn Männer gerade diese Vorstellung angeblich, also angeblich nur, sehr reizvoll finden. Wenn auch vielleicht nicht im Zusammenhang mit mir.

Egal – was sonst noch trendet diesen Sommer, sollen Pollunder (natürlich mit nix drunter) sein und Tube-Tops, geraffte, trägerlose Jersey-Oberteile, gerne bauchfrei. Für letztere sollte man nicht unbedingt größer als 32 tragen (und wahrscheinlich auch nicht älter als 32 sein), aber das nur am Rande. Es ist ja auch schön, wenn man bei der natürlichen Auslese gleich rausfliegt und sich keine weiteren Gedanken mehr machen muss. Würde ich mitmachen, wenn ich könnte? Schon mehrfach habe ich mich gefragt, was weibliche Menschen dazu bringt, in der Öffentlichkeit halbnackt herumzulaufen, was natürlich auch mit einem gewissen Neidfaktor, verkleidet als Feminismus, zu tun haben könnte. Denn um bauchfrei zu tragen, muss man in erster Linie bauchfrei sein. Ich bin definitiv nicht bauchfrei und daher kann ich diese Mode eben nicht mitmachen, konnte es nie. Obwohl das natürlich so ein bisschen widersinnig ist, wenn nur diejenige Bauch zeigen dürfen, die gar keinen haben. Wer mir das vorschreibt, fragen Sie? Unter anderem äußerte sich in der Süddeutschen Zeitung Stilberaterin Silke Gerloff dazu: „Rollen am Bauch will niemand sehen.“ Okay, hätten wir das auch geklärt.

Zumindest dürfen sich in diesem Jahr auch Männer allerhand überlegen, denn auch für sie gilt – soweit ich mich erinnere, erstmals – weniger ist weniger: Sie dürfen laut der Oberhessischen Zeitung, dem Trendblatt für Lifestyle und hippe Mode, angeblich jetzt immer kurze Hosen tragen, den Anzug ohne Hemd und Netz- beziehungsweise Organza-Tops. Ich habe das sicherheitshalber nochmal nachrecherchiert und festgestellt, dass ich auch hier falsch lag: „Anzug ohne Hemd“ meint nicht „Anzug ohne irgendwas“, wie ich es mir – mit Blick auf die Frauenmode – durchaus hätte vorstellen können, was aber für Männer offenbar immer noch ein bisschen zu absurd ist, sondern „mit etwas anderem als mit einem Hemd“, also einem T-Shirt, einem Polo-Shirt oder – für die ganz Mutigen und sexuell nicht so festgelegten – eben ein Organza-Top. Harry Styles lässt grüßen. Das stelle ich mir beispielsweise für die Geschäftsstelle der hiesigen VR-Bank zwar immer noch ein bisschen ungewöhnlich vor, aber wer weiß, für was die Zeiten inzwischen alles reif sind.

Apropos reif: Ich hadere in diesem Jahr ein bisschen mit der Sommermode. Zum einen, weil sie grundsätzlich dazu angetan ist, mehr zu entlarven als zu verhüllen, was im fortgeschrittenen Reifestadium wirklich viel Toleranz den eigenen körperlichen Ausprägungen gegenüber erfordert. Zum anderen sind ja spätestens jetzt wieder Kleider modern, die früher unter dem Motto „Zeltmode“ bekannt waren. Gerade wenn man das eine oder andere zu verbergen hätte, fragt man sich, ob das mit dem Walle-Look dann ganz toll ist oder ob genau das Gegenteil der Fall ist. Fragen über Fragen. Und am Ende steht wieder mal die Erkenntnis: Lasst uns einfach tragen, was uns gefällt, was in unser Leben passt und zu uns. Lasst uns endlich mal die Kleider ausführen, die im Kleiderschrank viel zu lange auf den passenden Anlass gewartet haben, und lasst es uns – zumindest halbwegs – egal sein, was andere darüber denken können. Zu alt für ärmellos – wer sagt das eigentlich? Zu viel Figur für Leggins? So ein Quatsch! Und zu wenig davon fürs Dirndl – macht doch nix! Fragt vielleicht die beste Freundin, wenn ihr euch unsicher seid, und dann ist auch gut. Tragt von mir aus No Pants – egal, was ich sage – oder Nude Look, bauchfrei oder Zeltmode oder was ihr sonst so mögt: Hauptsache, ihr fühlt euch wohl. Und wem es nicht passt, der möge bitte wegschauen – am besten hin zu sich selbst. Das geht ja auch.