Nicht.Lustig.

„Ich ficke dich zu Tode“ stand in einer Mail an Claudia Roth. „Drecks-Fotze“ wurde Renate Künast genannt. Wir schreiben das Jahr 2022. Googelt man „Beginn der Menschheitsgeschichte“, kommt man ganz schnell auf den Trichter, dass wir bisher schlappe fünf bis acht Millionen Jahre Zeit hatten, uns zu entwickeln. Angesichts solcher Äußerungen könnte man dem Verdacht anheimfallen, diese Zeit nicht optimal genutzt zu haben. Die eine Hälfte der Menschheit klammert sich offenbar verzweifelt an ihren Glauben von der Übermacht ihres Geschlechts, die andere Hälfte lässt sich immer noch viel zu viel gefallen.

2022 ist auch das Jahr, in dem Renate Künast es nach drei Jahren und mehreren Instanzen vom Bundesverfassungsgericht schriftlich bekommen hat, dass sie sich das nicht gefallen lassen muss. Ihre Persönlichkeitsrechte stünden – zumindest teilweise – über der Meinungsfreiheit des rechten Bloggers Sven Liebich. Sexualisierte Gewaltfantasien gegen Frauen, insbesondere Frauen des öffentlichen Lebens, häufig eher linksorientierte und Frauen mit Migrationshintergrund, sind an der Tagesordnung und gehören offenbar zum Standardrepertoire von Männern, die – sollten sie je über irgendeine Art Pulver verfügt haben – dieses längst verschossen haben. Wieso tun sie das? Weil sie glauben, dass sie es könnten? Weil sie auf diese Weise ihre Machtstellung manifestieren wollen? Weil sie dann in ihren Männerclubs schön unter sich bleiben können?

Letzteres zumindest scheinen sie unbedingt zu wollen, schon allein, um ihre Spielchen weiterzutreiben, wie die Geschichte von Julian Reichelt und Mathias Döpfner eindrucksvoll beweist. Nach langem Hin und Her musste sich Axel-Springer-Chef Döpfner dann doch von seinem Chefredakteur Reichelt trennen. Dieser habe Berufliches und Privates nicht klar getrennt und dem Vorstand die Unwahrheit gesagt, hieß es schließlich. So kann man es auch nennen, wenn der eine jahrelang einen Mann deckt, der wiederum seine Machtposition nutzt, um mit jungen Frauen, die sich karrieremäßig und wirtschaftlich von ihm abhängig fühlen, seine erotischen Fantasien auszuleben. Wenn man die Opfer und nicht die Täter verfolgt, wenn sexualisierter Machtmissbrauch vielleicht nicht Teil des Systems ist, das System diesen aber billigt und trägt.

2022. Am 5. Januar dieses Jahres konnte ich in der Oberhessischen Zeitung einen Beitrag über rechte, reaktionäre Männerbünde lesen: Gruppierungen, in denen sich gewaltbereite Nazis und radikale Antifeministen zusammentun, um sich für ihr Versagen an denjenigen zu rächen, die sich vermutlich nicht wehren werden. Für Männer, die ihren Frust darüber, dass sie keine Frau abbekommen haben, in Gewaltfantasien mit unklarem Ausgang ausleben, gibt es bereits einen Namen: Incels. Sie sind unfreiwillig (involuntary) sexuell enthaltsam (celibate), gleichzeitig davon überzeugt, ein Recht auf Sex zu haben. Gewalt gegen Frauen billigen sie ohne jeden Skrupel.

Am selben Tag rätselt unsere andere Tageszeitung, die Alsfelder Allgemeine, darüber, warum Männer Frauen unaufgefordert Penisbilder schicken. In der Tat, eine interessante Frage im Jahr 2022. Nur weil es geht? Das ist ein bisschen dürftig, oder? Auch dazu gehört eine ganze Menge Arschigkeit, gepaart mit geistigem, insbesondere menschlichem Unvermögen. Was vielleicht auf den ersten Blick lachhaft erscheint – die Handlung an sich wie vermutlich in vielen Fällen auch das Motiv -, ist bei genauem Hinsehen jedoch genauso eine sexuelle Belästigung, mehr noch: Wer Frauen ungefragt Dickpics schickt, zeigt, was er kann, welche Macht er über die Frau hat.

Fun Fact am Rande: Die feministische Psychologin Flora Oswald hat in einer Studie herausgefunden, dass achtzig Prozent der Männer, die ihr vermeintliches Wunderhorn per Bild verschickten, der Überzeugung waren, sie würden die Empfängerinnen damit sexuell stimulieren. Fünfzig Prozent glauben demnach, die Frauen, die in den Genuss eines Dödelbildes kämen, fühlten sich danach attraktiver. Ich weiß zwar nicht, wie Frau Oswald ihre Studie durchgeführt hat, aber bei diesen geistigen Grundannahmen würde es nicht verwundern, wenn die Befragten a) tatsächlich bereitwillig Auskunft gegeben haben und b) ihre Antworten selbst glaubten. (Die schönen Synonyme für das Gemächt habe ich übrigens gegoogelt, nicht dass hier jemand denkt, ich würde die verwenden.)

Kein Fun Fact: Mir hat mal der Pseudo-Komiker Kay Ray bei einem Pressetermin meine eigene Kamera aus der Hand gerissen, in seine Unterhose gehalten und sein Ding fotografiert. Das fand ich nicht mehr lustig. Es war eklig, übergriffig und irgendwie beschämend. Für mich. Das Publikum johlte. Muss also echt witzig gewesen sein. Ich hab’s bloß nicht gemerkt.

Macht über Frauen findet ihren Ausdruck auch im sogenannten Catcalling: Männer rufen Frauen eindeutige Sachen hinterher. Vermeintliche Komplimente wie „Ey, Puppe, hast ’nen geilen Arsch“ oder eindeutige Aufforderungen wie „Darf ich Sie dann mal besteigen“ dokumentieren Frauen inzwischen öffentlich. Sollte ein Mann Zweifel haben, wann ein Kompliment ist und was nicht, wäre hier der Tipp der Fuldaer Studentin Antonia Quell, die eine Petition gegen verbale Belästigung gestartet hat: „Alles, was ich nicht mit Danke beantworten kann oder mich nicht trauen würde, meiner Mutter ins Gesicht zu sagen, ist kein Kompliment.“

Versteht ihr auch Jungs, oder?

Quelle Döpfner/Reichelt: https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-sexualisierter-machtmissbrauch-der-fall-springer-muss-ein-weckruf-sein/28052612.html?ticket=ST-7717875-9RaPT0c6l9mNKOmqO7Rc-ap3 (zuletzt angesehen am 5.3.2022)