Nachhaltigkeit

Nachhaltigkeit gehört neben Achtsamkeit zu den beiden Kompetenzen, ohne die man sich heute ja nirgends mehr blicken lassen kann. Ständig muss man sich etwas bewusst machen! Ist dieser Moment nicht besonders wertvoll? Keine Ahnung – ich bin ja in Gedanken schon wieder beim nächsten, ach was, in der nächsten Woche! Und hätte ich diese Strecke wirklich mit dem Auto fahren müssen? Mit ein wenig mehr Zeitmanagement wahrscheinlich nicht. Das wären dann schon drei Kernkompetenzen unserer Zeit, in denen ich nur so mittel bin. Übernehme ich mit meinem Handeln genug Verantwortung für die Natur und die nächste Generation? Wie groß ist der ökologische Fußabdruck, den ich hinterlasse? Als wie negativ wird sich meine Existenz am Ende für Welt ausgewirkt haben? Und warum, um Himmels Willen, habe ich eigentlich nie Zeit?!

Kommen wir zur Achtsamkeit! Eine ganze Industrie lebt davon, dass wir uns mehr Zeit für uns nehmen, auf uns hören, auf unser Inneres – und damit ist nicht Magenknurren gemeint. Zeitschriften namens Flow, Slow und hygge, was so viel wie Gemütlichkeit heißt, aber natürlich auf Dänisch, weil die Dänen nicht nur schönere Mode haben als wir, sondern auch viel gemütlicher sind und natürlich insgesamt auch glücklicher, wollen uns zeigen, wie wir achtsam sein können. Wie schön und sinnstiftend wir unsere Zeit mit dem Ausmalen von Mandalas und dem Wegwerfen von ToDo-Listen verbringen können. Ich kenne und mag sie alle, aber manchmal denke ich, dass das Leben vor lauter Achtsamkeit genauso an einem vorbeirauschen könnte, wie ohne. Da war man mal kurz ganz bei sich und wusch, sind die Kinder große und der Mann weg!

Dabei ist Achtsamkeit ab und an ja gar nicht so schlecht. Selbst ich habe manchmal ganz achtsame Momente. Etwa wenn ich unter der Dusche stehe und mich freue, wie gut ich es habe, weil ich das kann, weil das warme Wasser so schön auf mich rieselt und weil mein Duschgel so schön riecht. Doch kaum ergebe ich mich diesem Moment – sofern ich das tue und nicht schon in Gedanken beim Abtrocknen und Fingernägelschneiden und Broteschmieren bin -, kommt die liebreizende Nachhaltigkeitsfee aus ihrem Versteck geschwebt und fragt mich ganz höflich: „Musst du eigentlich so oft duschen? So heiß, so lange? Und weißt du eigentlich, wie sehr dein Duschgel das Wasser belastet und wieviel Mikroplastik selbst in deiner ganz bewusst gekauften Ökokosmetik steckt? Die Fische sterben und wir werden ihnen folgen.“ Boah eh, und das nur, weil ich geduscht habe! Natürlich nicht nur deshalb, aber in der Summe irgendwie schon. Aber ob Nichtduschen jetzt so die Lösung ist?

Mit schlechtem Gewissen trete ich vor den Spiegel und versuche, mich einen Moment lang an meinen neuen Klamotten zu freuen, doch schon steht sie vor mir, die freundliche Nachhaltigkeitsfee, schiebt meine Kleiderschranktür auf und schaut hinein. Sie muss nichts sagen. Ich weiß, was sie meint. „Aber diese schöne Hose hier ist aus recyceltem Meeresplastik hergestellt“, sage ich, „und mit diesem Statement-Pulli übernehme ich politische Verantwortung. Ich kämpfe für die Rechte der Frauen“. Die Nachhaltigkeitsfee schaut mich an. „Eine Plastikhose trägst du. Und das soll ich gut finden? Viel wichtiger wäre es doch, wenn es erst gar kein Plastik im Meer gäbe. Und wie, du kämpfst angezogen für die Rechte der Frauen? Nimm dir mal ein Beispiel an der Frauenrechtsgruppe Femen. Die brauchen keine Klamotten für den Kampf!“ Ich stelle mir vor, wie ich nackig mit einem kleinen Vierzeiler auf dem Oberkörper vor dem Vogelsberger Kreistag meine Rede zum Frauenwahlrecht halten würde und wie sich das achtsamkeits- und nachhaltigkeitsmäig sowohl auf das Publikum als auch auf mich auswirken würde, und mache mir zur Entspannung einen Kaffee.

Während ich mich am Duft meines vermeintlich fairen Kaffees freue, fallen mir Dokumentationen ein, wieviel Wasser man für eine Tasse davon braucht (nämlich 140 Liter), wobei es wahrscheinlich egal ist, ob fair oder nicht. Und dass mir die Frau aus dem Weltladen immer sagt, dass der Faire Kaffee von Tchibo nicht so fair ist wie ihrer. Oh Mann. Überhaupt ist das mit dem Einkaufen der Anfang von allem. Wer einen Blick in meinen Einkaufswagen wirft und ein kleines bisschen nachhaltig ist, wird nie wieder etwas mit mir zu tun haben wollen. Das einzig Nachhaltige darin ist das Flaschenpfand und die Tatsache, dass ich Salatgurken und Bananen immer ohne Verpackung kaufe. Der Rest – naja. Das Flaschenpfand bezieht sich natürlich auf PET-Flaschen, die meisten zwar Mehrweg, aber PET halt. Finde ich besser zum Tragen und geht nicht so schnell kaputt. Ist aber Scheiße. Und dann die vielen, vielen, vielen Packungen. Am liebsten würde ich selbst nicht hinsehen und auf die Wurst- und Käsevorräte für eine Woche und eine inzwischen auf meist sechs Mitglieder angewachsene Familie eine Lage Bio-Möhren mit ganz viel Karottenkraut legen, damit es keiner sieht. Aber spätestens an der Kasse käme ja die Wahrheit aufs Band. Und was soll ich auch mit den ganzen Möhren? „Essen“, ruft mir die Nachhaltigkeitsfee zu und schaut vorwurfsvoll auf die Schnitzel, das Hackfleisch und den Aufschnitt in ihren Plastikverpackungen. Sie hebt gerade an, mir vorzurechnen, wie viel Getreide, Wasser und Regenwald man für ein Stück Leberkäs braucht – und das ohne Brötchen -, als ihre große Schwester, das schlechte Gewissen, um die Ecke kommt. Es lacht mich an. „Na, wie fühlen wir uns heute“, fragt es mich.

Ich drehe mich um und packte einen Rotwein ein. Bio. In einer Glasflasche und mit Naturkorken. Das schlechte Gewissen will was sagen, aber die liebe Nachhaltigkeit beschwichtigt. Es bisschen Spaß muss wohl doch sein. In einer alten, dem Aussehen nach schon mehrfach recycelten Wellness-Hose werde ich mich auf unserem Sofa lümmeln und zum 34. Mal „Tatsächlich Liebe“ schauen. Ich werde den Moment genießen und den Biowein ganz bewusst in meiner Kehle wahrnehmen. Am Ende des Abends führe ich die leere Bioflasche dem Altglas zu und begnüge mich mit einer Katzenwäsche, bevor ich mich nackig ins Bett lege. Zu meinem Mann, der schon seit Ewigkeiten nicht mehr ausgetauscht wurde. Nachhaltigkeit kann so einfach sein!