My Corona – oder immer positiv ist auch nicht das Wahre

22.609 Neuinfektionen meldete das RKI vorletzten Mittwoch, der Vogelsberg meldete 22 und eine Inzidenz von 84,2. Zahlen wie diese hatte ich in den letzten Wochen, als die Zahlen wieder ständig hochgingen, täglich verfolgt. Am Mittwoch letzter Woche war das alles ein wenig anders, denn an einer dieser Zahlen hing mein Name. Ich war positiv. Dass ich positiv bin, ist jetzt nichts Neues an sich, aber in dem Fall hätte ich natürlich gerne drauf verzichtet. Gerade, wenn man bedenkt, dass der Impfstoff vor der Tür steht. Da hat man sich die ganze Zeit irgendwie durchlaviert und dann, kurz vom hoffentlichen Happy End sowas.

Und SOWAS ist es auch wirklich, denn mit Feststellung des Ergebnisses, mit der Stunde der Wahrheit sozusagen, beginnt das große Grübeln mit Tendenz zur großen Hysterie auf der einen und der großen Resignation auf der anderen Seite. Die Fragen liegen auf der Hand: Wo könnte es passiert sein? Bei wem könnte ich es mir geholt haben? Einerseits ist es ja schön, dass der Ansteckungsgrund nicht so eindeutig ist wie beispielsweise bei Tripper, was sicher im häuslichen Umfeld zu großen Irritationen geführt hätte, andererseits macht es das aber auch schwer. Ich bin jetzt zwar niemand, die sich die letzten Monate eingeigelt hätte, aber ich würde behaupten, die Regeln so gut wie immer eingehalten zu haben. Und ich war der Meinung, mit ein wenig klarem Verstand käme man da schon durch. War jetzt die Annahme falsch oder hat der Verstand nicht ausgereicht? Und wie viel Schuld hat man selbst, wenn man sich ansteckt? Und damit vielleicht auch andere? Andererseits war auch immer klar: Es ist unterwegs und jeden, der oder die ebenfalls unterwegs ist, kann es dann halt auch erwischen. Insgesamt ist das aber eher so die unwichtigste Frage, denn es ist ja rum.

Viel schwerwiegender ist die nach den Kontakten und den Möglichkeiten, wen man denn alles angesteckt haben könnte in den letzten Tagen, in denen man vielleicht schon etwas zu sorglos über ein Halskratzen hinweggegangen ist oder der einen oder anderen Person vielleicht doch näher war, als es gut gewesen wäre. Und während man dann so überlegt, ist man ganz schnell der Meinung, dass man für alle seine Freunde, die Familie und die Kollegen zu einem untragbaren Risiko geworden ist, dass jeder Kontakt nur dann gut gewesen wäre, wenn man ihn vermieden hätte, und man rechnet vor und zurück, hin und her, hört in sich hinein, denn zusätzlich zu allem, um was man sich jetzt so sorgt, kommt natürlich die Angst vor einem schweren Verlauf – bei sich selbst und anderen. Und plötzlich kommen einem die Corona-Witze, die man so wie üblich im Lauf des Tages in den verschiedenen WhatsApp-Gruppen bekommt und teilt, direkt so ein bisschen unpassend vor. Man fängt an, sich dafür zu entschuldigen, dass man erkrankt ist und evtl. in den letzten Tagen jemanden angesteckt hat, denn ganz offensichtlich ist man – bin ich – der Auslöser für Unsicherheit in meinem Umfeld, für Angst und Schrecken. Bin ich jetzt verantwortlich für Klassenschließungen, für Quarantäne in Firmen, mit deren Mitarbeitern ich Kontakt hatte, für ausgefallene Treffen im Freundeskreis? Vermutlich schon. Und schon fühlt man sich einfach so ein bisschen Scheiße und das mit Recht, wie erste Reaktionen zeigen, und man hat das untrügliche Gefühl, dass man in der Beliebtheitsskala erstmal nicht weiter steigen wird.

Da ist es gut, wenn man dort schon einen kleinen akzeptablen Platz hat, denn alle, die in der glücklichen Lage sind, sich in den letzten Tagen nicht mit mir getroffen zu haben (und nach dem ersten Schock auch die), bieten uns direkt ihre Hilfe an, denn mit mir ist ja die ganze Familie schlagartig in Quarantäne. Aus die Maus. Da heißt es, schnell die Vorräte zählen, also die wichtigen, wie Rotwein, Nüsschen und Hanutariegel. Also versorgungstechnisch, würde ich sagen, sind wir mit der tatkräftigen Hilfe meiner Freundin jetzt ganz weit vorn. Der Brötchendienst der hiesigen Bäckerei klappt vorzüglich und vor kurzem hat uns sogar jemand eine Kiste Bier auf den Balkon gestellt. Jetzt müssen wir nur noch sehen, dass wir uns nicht gegenseitig verrückt machen mit Sorgen und Ängsten, mit zu viel Nähe und zu viel Abschottung, mit zu viel Homeoffice und zu viel Fernsehen. Mit zu viel Essen und zu viel Telefonieren. Alles ein wenig merkwürdig grade und die Wahrnehmung ein bisschen wir durch Watte. Was vielleicht auch vom vielen Puzzeln und Rumsitzen kommen kann.

Tag 12 meiner 14-tägigen Quarantäne ist heute. Husten und Schnupfen sind so gut wie weg, der Geruchssinn ist wiedererwacht. Kurz bevor meine „Absonderung“, wie es das Gesundheitsamt in seinem Schrieb so freundlich nennt, endet, frage ich mich: Ist das schon Symptomfreiheit? Wird es mir am Mittwoch richtig oder falsch vorkommen, wenn ich wieder rausgehe und Menschen treffe – wenn auch jetzt in noch größerem Abstand als vorher? Hatte ich im Übrigen schon gesagt, dass ich Abstand hasse?

Es wird mir sicher wunderbar und wunderlich gleichzeitig vorkommen. Ich freue mich drauf – und hoffe, dass niemand vor mir Reißaus nimmt. Man weiß ja nie…