Muttertag

Muttertag

Das Wichtigste zuerst: Ich muss Buße tun. Noch am Samstag vor Muttertag hätte ich Stein und Bein geschworen, dass meine inzwischen doch recht großen Jungs es nicht schaffen würden, etwas für mich zu Muttertag zu besorgen, was zumindest für einzelne unter ihnen nichts Neues gewesen wäre. Und dass mir das natürlich gar nichts ausmacht, hätte ich kalt lächelnd dazugesagt, schließlich ist ja das Schönste, dass man sie überhaupt hat; bla bla. Letzteres ist natürlich wahr, also, dass man sie überhaupt hat, Mittleres nur so halb und Ersteres hat sich am Muttertag selbst als völlig haltlose Beschuldigung herausgestellt: Meine Jungs hatten sich doch tatsächlich selbstständig auf den Weg gemacht, sogar in meinen – leider geschlossenen – Lieblingsladen, um dann, nachdem sie zufällig eine gute Beraterin getroffen hatten, im ortsansässigen Kosmetikladen einen Gutschein für mich zu kaufen. Und keinen kleinen. Stellt sich natürlich die Frage, ob sie einen spontanen Anfall übergroßer Liebe mir gegenüber entwickelt hatten, oder ob sie vielleicht weitreichende kosmetische Maßnahmen für angebracht und unterstützenswert halten. Aber egal.

Mit Kindern in der Familie hat man ja immer Anlass und Gelegenheit über irgendwas nachzudenken. Manchmal auch darüber, wie ein Leben ohne Kinder sein könnte. Ich selbst habe dunkle Erinnerungen an Wochenenden, an denen ich einfach aufstand, wann ich wollte, mir einen Kaffee machte, und mich mit einer Zeitung oder einem Buch wahlweise auf den Balkon oder ins Bett zurückverzog. Dann lebte ich so in den Tag, ging in die Stadt, traf mich mit Freunden und ging aus, wann immer ich wollte. Heute lese ich kaum mehr als drei, vier Bücher im Jahr, und von guten Zeitungen ganz zu schweigen. Mein ganzes Wissen und meine ganzen Erfahrungen muss ich aus meinem Alltag schöpfen, und so weiß ich zwar beispielsweise um die unglaublichen Erlebnisse von Gnomen und Kindern in einem Ort namens Gravity Falls – eine US-amerikanische Comic-Serie, die sich junge Erwachsene heutzutage auch anhand schöngestalteter Bücher reinziehen -, aber ich kann nicht den Nahost-Konflikt in Beziehung zur Ukraine-Krise setzen oder zu unseren Wirtschaftsbeziehungen mit China, auch wenn das Lesen der „Zeit“ dies mir an diesem Wochenende ermöglicht hätte.

Oder Reisen. Reisen ist etwas, das ich schon immer sehr gern mochte, schnell mal hierhin übers Wochenende oder länger mal dorthin mit dem Flieger und ohne weitere Buchung – wie schön! Plant man einen kleinen Sommerurlaub mit Kindern, genauer gesagt, mit drei Kindern, gerät man schon mit dem Ziel Ost- oder Nordsee nicht nur finanziell in Sphären, die einem früher eine halbe Weltreise ermöglicht hätten, nein, auch organisatorisch verlangen sie einem alles ab, denn wer würde schon mit drei Kindern ins Blaue fahren und hoffen, dass sich vor Ort dann alles klärt? Nicht zu vergessen natürlich, dass man mit Kindern dann fahren muss, wenn alle fahren. Und dass man, organisatorisch zumindest, mit mehr als zwei Kindern aus vielen Pauschalen fällt, die sich auf den Familienklassiker Vater, Mutter, zwei Kinder eingependelt haben. Mehr als zwei Kinder sind gewissermaßen vergnügungssteuerpflichtig, frei nach dem Motto „Darf’s ein bisschen mehr sein“, schließlich hat man sich ja selbst nicht rechtzeitig beherrscht… Und selbst, wenn es möglich ist, dass man wieder mal ein wenig ohne Kinder plant, ist nichts sicher: Mit 40 Grad Fieber überlasst man auch einen 17-Jährigen nicht seinem Schicksal, sondern sagt natürlich alle anderen Pläne ab. Gerne.

Apropos nicht sicher: Wir wissen ja alle, dass das eigene Leben schon eher unsicher ist. Kein Mensch weiß, was der Tag, sollte man es wohlbehalten aus dem Bett geschafft haben, so bringt. Mit der Anzahl der Kinder summiert sich diese Unsicherheit: Dass beispielsweise bei dreien plus Eltern nicht einmal in der Woche schon morgens etwas Unerwartetes passiert, ist mehr als unwahrscheinlich: Verschlafen und Termine vergessen sind da nur Aufwärmübungen. Dass der Schulbus nicht kommt, der Magen-Darm-Trakt rumort, die Nase blutet oder die Turnsachen nicht auffindbar sind, sind weitere Varianten. Alles ist möglich, auch bei einem selbst. Ich zumindest bin, bis morgens alle meine Kinder und ich einigermaßen ordentlich aus dem Haus sind, schon das erste Mal fix und fertig, aber da geht das Leben ja erst los. Obwohl es natürlich auch schön ist, sich an der Arbeit von der Familie zu erholen – wer kennt es nicht.

Und wer kennt es nicht, dieses Gefühl mit Kindern. Diese kurzen, flimmerigen Anflüge einer Ahnung, etwas richtig Sinnvolles zu tun, wenn man mit ihnen zusammen ist. Diese unglaubliche Freude, wenn sie zum ersten Mal etwas sagen – vorzugsweise natürlich Mama. (Und nicht, wie mein Erstgeborener, der mich, als ich ihm ein schönes Liedchen vorsang, mit großen Augen ansah und seinen ersten Satz aussprach: „Mama, lieber Radio anmach.“ Aber was soll‘s, Schwamm drüber. Ich bin ja Mutter. Mir kann man ja alles sagen. Was man ab einem gewissen Alter aber gar nicht mehr will.) Und dann dieser grenzenlose Stolz, wenn sie etwas geschafft haben, was wie ein Berg vor ihnen und damit auch vor den Eltern lag, beispielsweise das erste Mal die Wäsche gemacht, Lasagne gekocht oder vielleicht auch das Abitur. Diese tiefe, tiefe Liebe, wenn man sein schlafendes Kind anschaut, egal in welchem Alter. Diese Verbundenheit, wenn sie dann doch, allen Widrigkeiten zum Trotz, in verschiedenen Situationen an deiner Seite stehen und du an ihrer. Gegen all das sind teure oder abgesagte Reisen, Stress am Morgen oder die Frage „Wo ist eigentlich mein Leben geblieben?“ natürlich nichts, gar nichts. Nur manchmal hat man, wie gesagt, so eine Ahnung von einem kinderlosen Leben in Saus und Braus und einer grenzenlosen Freiheit…

So jetzt aber Schluss hier. Es ist zwanzig nach sieben. Ich muss meine Kinder wecken, mal schauen, was sie sich heute für mich ausgedacht haben!