Muttersprache

Als mein drittes Buch erschienen ist, dauerte es nicht lange, bis ich von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen wurde, dass in meinen neueren Texten viel zu viel Englisch drin sei. Ich schaute sie durch und stellte fest, ja, es ist viel Englisch darin und die Verwendung desselben erfolgt erschreckend selbstverständlich. Zum Beispiel mit der Absicht, mich darüber lustig zu machen, wie hierzulande Grillsaucen beworben werden, nämlich völlig inhaltsfrei als „Spicy and Smokey“, „Smooth and Smokey“ oder „Rich and Smokey“. Ein anderes Mal wieder mit Absicht, weil ich manche Wörter fast schon Deutsch finde und sie so gerne mag, etwa „stylish“ oder „To-do-Liste“. Natürlich könnte man statt „stylish“ „modern“ oder „stilvoll“ sagen und die „To-do-Liste“ durch „Noch zu erledigen“ oder so ersetzen, aber irgendwie trifft es das nicht so ganz, finde ich, zumal den deutschen Wörtern oft das Augenzwinkern fehlt, das man bei einem Wort wie „chillen“ gratis dazubekommt.

Ich liebe das Spiel mit verschiedenen Wörtern aus verschiedenen Sprachen und bin daher zum einen also wirklich keine Freundin davon, zwanghaft englische Wörter ins Deutsche zu übertragen, wie etwa „Klapprechner“ für „Laptop“, „Schnellkost“ für „Fastfood“ oder „Müllbrief“ für „Spam“ zu verwenden. Zum anderen finde ich die inflationäre und häufig unnötige Verwendung von englischen Wörtern wie „Facility Manager“ statt „Hausmeister“, „CEO“ (= Chief Executive Officer) für den „Geschäftsführenden Vorstand“ oder den „Low Cost Carrier“ für den „Billigflieger“, auch wenn derselbe in Englisch etwas seriöser klingt, völlig überzogen. (By the way oder übrigens, wie der deutsche Hardliner sagen würde, ist morgen „Tag der Schachtelsätze“! Raten Sie mal, wen das freut!) Stellt sich bezüglich der Verwendung von Anglizismen die Frage, ob hier Weltoffenheit auf Abschottung trifft, und ob die Verwendung englischer Wörter ein Zeichen für die beständige, rege und interessierte Teilnahme am aktuellen Leben ist oder einen baldigen Verlust der Muttersprache zur Folge hat. Bei der Diskussion dieser Frage sei darauf hingewiesen, dass viele vermeintlich deutsche Wörter in grauer Vorzeit einen englischen Hintergrund hatten: „Keks“ zum Beispiel stammt von „cakes“ und der „Schal“ von „shawl“.

Was seit geraumer Zeit zusätzlich zu den vielen Anglizismen auffällt, ist die eingedeutschte Verwendung amerikanischer Redewendungen: „Ich bin fein damit“, hört man jetzt ganz häufig ganz coole Hipster sagen. (Übrigens motzt die Rechtschreibsoftware weder bei „cool“ noch bei „Hipster“ noch bei sich selbst.) Oder, ganz besonders intellektuell: „Am Ende des Tages…“ ist dies und das zu erwarten, und wenn man ganz viel Glück hat, erinnert man es hinterher sogar noch. An etwas erinnern sich tatsächlich wohl nur noch die ewig Gestrigen. Die kleine Präposition und das unschuldige Reflexivpronomen fallen ebenso der freundlichen Übernahme aus dem Englischen zum Opfer wie Pronomen und Dativ in „sich mit jemandem treffen“, das heute ganz oft und verkürzt nur noch „jemanden treffen“ heißt und das schon so selbstverständlich, dass man darin gar nichts Falsches mehr sieht. Vielleicht auch deshalb, weil es so schön einfach ist und sich gut anfühlt und anhört. Keep it small and simple, würde ich sagen, oder: Es macht Sinn, und auch das macht es nur, weil es aus dem Englischen kommt. Eigentlich ergibt etwas einen Sinn oder ist sinnvoll. Aber macht das eigentlich einen Unterschied?

Am Mittwoch war Tag der Muttersprache, Grund genug, sich also wieder mal mit ihr zu beschäftigen, dachte ich, wobei meine Muttersprache – ich muss es so deutlich sagen – auch nicht ganz astrein ist. Ich komme nämlich aus einem kleinen Dorf, in das sich noch niemals auch nur der kleinste Akkusativ hin verirrt hat. Hier sagt man „eenichneicht“ statt „vorgestern“, „Kirwich“ statt „Friedhof“ oder „Träudje“ statt Traudi. (Letzeres hat mir den Abschied aus der Glücksoase meiner Kindheit doch sehr erleichtert.) Früher hatten sich nur französische Wörter in dieses herrliche Idiom eingeschlichen. „Trottewar“ für „Gehweg“ etwa oder „Schesslong“ für „Sofa“. Heute schleichen sich – und das ist das eigentlich Bedenkliche – immer mehr hochdeutsche Wörter in unseren Dorfdialekt und ich fürchte, er geht für immer verloren. Dabei kann man nichts aus dem Dorfgeschehen so schön ausdrücken wie mit den dorfeigenen Hausnamen und den dazugehörigen Vokabeln: In dem Satz „Eenichneicht kohm Eisekriechersch Katje ogewerchelt“ steckt eine ganze Welt. Welche das ist? Das verrate ich nur auf persönliche Nachfrage.