Mpf-Wort des Jahres

Im letzten Jahr hatten wir ja alle Gelegenheit, unseren Wortschatz ganz enorm zu erweitern. Wer hätte gedacht, dass Menschen aller Bildungsschichten und Dialektgruppen plötzlich das Wort „Inzidenz“ mit der gleichen Selbstverständlichkeit wie „Apfelbrei“ verwenden oder jedes andere Wort, mit dem sie als kleinstes Kleinkind aufgewachsen sind. Wir wissen plötzlich alle, was eine Mutation ist und wie sich der R-Wert errechnet (oder wir glauben es zumindest), und wir haben Institutionen kennengelernt, deren Existenz und bis dahin unbekannt oder egal war: das Robert-Koch- Institut, liebevoll „RKI“ genannt, die Nationale Akademie der Wissenschaften, liebevoll „Leopoldina“ genannt (man achte auf die weibliche Namensendung!), und die ständige Impfkommission, liebevoll „STIKO“ genannt.

Ganz ehrlich: Wussten Sie von der Existenz der STIKO und hat es Sie jemals interessiert, was Ihnen oder Ihren Kindern da in den Arm gejagt wurde? Wer es entwickelt hat, an wem es getestet wurde und wer es wann wo warum zugelassen hat? Ich schließe natürlich von mir auf andere, wenn ich mich hier als ignorant oute und Sie mit ein mein Boot der Unwissenden zerren will, aber – egal, ob Sie sich jetzt angesprochen fühlen oder nicht – die Unwissenheit hat ja bald ein Ende. Ich zum Beispiel bilde mich grade zur Impfexpertin weiter, meinen Interessen entsprechend allerdings weniger medizinisch als sprachwissenschaftlich.

Die Gesellschaft für deutsche Sprache findet es beispielsweise hochinteressant, dass es im Deutschen nur eine kleine Menge Wörter gibt, die die schöne Konsonantenfolge „mpf“ aufweisen: mampfen, schimpfen, rümpfen, stampfen; dumpf, stumpf, glimpflich; Kampf, Dampf, Rumpf, Pimpf und impfen natürlich. Und jetzt kommt wieder mal was Schönes an der Krise: Das Wort „impfen“, besser gesagt der Wortstamm „impf“, ist in diesen Zeiten maximal aufgewertet worden. Es gibt eine geradezu impflationäre Zahl an Impfwörtern, darunter ganz sachliche, ganz absurde und solche, die man vielleicht erst noch erfinden muss.

Als sachliche Impfwörter, die einem gut über die Lippen kommen und mit denen man sich auch schnell anfreunden kann, würde ich jetzt mal so Sachen wie Impfaktion, Impfkampagne und Impfprogramm sehen. Impfpflicht ist jetzt zwar auch nicht so ungeläufig, inhaltlich aber nicht für jeden einsichtig und sprachlich auch schwierig mit seinen gleich zwei pf hintereinander. Sprachlich interessant ist auch der Impfling. Goldig, oder? Die Endung -ling macht einen gleich so ein bisschen unmündig, finden Sie nicht? So ein bisschen klein halt, wie jemand, mit dem jetzt mal was gemacht wird. Vom Impfpersonal, oder den Impfenden, wie man gendergerecht sagen würde. Die Impflinge würden dann politisch korrekt zu den von den Impfenden zu Impfenden werden, was die Sache sprachlich nicht unbedingt vereinfacht, wie sie vielleicht merken, wenn Sie sich diesen Satz mehrfach durchlesen und ihn immer noch nicht verstanden haben. Aber er ist richtig.

Kommen wir zu den Wortschöpfungen der Politik und der Medien, die mit Wörtern wie Impfstrategie, Impfhoffnung, Impfpriorisierung, Impfdesaster und Impfgipfel neue Maßstäbe setzen. Die Politik mit dem Ziel der Durchimpfung der Bevölkerung, die Medien mit dem jetzt mal wohlwollend unterstellten Ziel der Impfbildung der Menschen, die ja am Ende der Impfaktion entscheiden müssen, ob sie den Impfstoffen trauen und die Impfangebote annehmen wollen. Diese treffen entweder auf Impfbereitschaft oder Impfskepsis. Es gibt die Impfmüden und die Impfmuffel, die Impfgegner, die Impfverweigerer sowie die Impfleugner, die von Impfwahn und Impflüge sprechen. Auf der anderen Seite stehen, hüpfen oder drängeln diejenigen, die als Impfspringer oder gar als Impfvordrängler auf den Impflisten und in den Impfzentren an der von der Impforganisation hergestellten Impfreihenfolge vorbei in den Impfgenuss kommen wollen, um zeitnah von den Impfprivilegien zu profitieren, indem sie ihren nagelneuen, hoffentlich fälschungssicheren und vielleicht schon bald digitalen Impfausweis präsentieren. (Da ist von der Impfschleicherei zur Impfkriminalität nur ein ganz kleines Stück.) Und was, wenn sich unter den Impfbereiten, aber noch nicht Geimpften, so ein bisschen Impfneid breitmacht? Zur Abschwächung desselben und zur Herstellung der Impfgerechtigkeit spricht der Staat derweil Impfgarantien aus, zumindest was die Menge betrifft, Impfschäden sind von der Garantie im Sinne von Gewährleistung allerdings ausgenommen. Näheres dazu bei der Impf-Hotline.

Stellt sich natürlich die Frage, die während der ganzen Pandemie immer wieder auftaucht: Wird es eine gesellschaftliche Veränderung geben – hier ganz konkret durch die Impfungen? Ich denke, ja: Auf Facebook habe ich schon wunderschöne Bilder von Impfkunst gesehen und es bereits abzusehen, dass man dazu übergehen wird, das Impfangebot auf Impfpartys und Impf-Conventions auszuweiten. Man kann sich fürs Impfen verabreden, also ein Impfdate ausmachen, insbesondere wenn man sich beim ersten Impftermin kennengelernt hat und das gerne zum zweiten Impftermin vertiefen will. Ich denke, wir werden bald die ersten Impfehen feiern und uns über Impfbabys freuen, die hoffentlich außerhalb der Impfzentren entstanden sind, auch wenn die Wartezeit und die labyrinthartige Innenausstattung dort durchaus Möglichkeiten geschaffen hätten. Es wird mit Sicherheit einen Impfstyle geben, also impfgerechte Kleidung für den Anlass der Impfung, aber auch Kleidung, die die Impfstelle betont und alle wissen lässt „Ich bin geimpft!“. Ähnliches gilt auch für zu erwartende Impf-Tattoos, die Impfkunst und Impfstyle perfekt vereinen. Präsentiert werden diese Styles und alle nötigen Accessoires von einer ganzen Reihe hipper Impfluencer, die schon in den Startlöchern stehen. Vermutlich plant Sat.1 auch schon eine Blind-Impf-Show, während RTL die Konzepte für „Let’s impf“ und das „Impf-Camp“ in der Schublade hat. Nicht zu vergessen natürlich die Impf-Challenge von Pro7, die unter dem Titel „Germany’s Next Top Impfer“ das Entwurfsstadium längst überschritten hat. Über all das muss hier allerdings noch geschwiegen werden.

Wenn ich mehr dazu weiß, sage ich Ihnen Bescheid. Jetzt muss ich erstmal zu meinem Impftermin. Bin nämlich Impf-Fan.

Übrigens: Wer mehr zur Etymologie des Impfens wissen möchte, der wird unter https://gfds.de/impfen/ fündig.