Mission impossible

Neulich durfte ich einer interessanten Veranstaltung beiwohnen. Einem Vortrag darüber, wie man seinen Kindern in die Köpfe schaut und sie zu guten Leistungen in der Schule und einem guten Miteinander in der Familie motiviert. Meine Kinder sind 16 und 18. Mir wurde schlagartig klar, dass diese Infos für mich zu spät kamen. Und mir wurde außerdem schlagartig klar, dass sich seit meinen Anfängen als Erziehungsperson nichts Wesentliches geändert hatte: Das Zauberwort heißt Konsequenz. Kenn‘ ich nicht, kann ich da nur sagen. Was soll das denn sein?

Das soll sein, dass man bei einem einmal gesagten Nein auch bleibt. Dass man darauf drängt, dass Absprachen eingehalten werden. Dass man klarstellt, wer am Ende – auch ohne lange Diskussion – das Sagen hat. Während der Referent über die üblen Folgen fehlender Konsequenz schwadronierte, hätte ich bei jedem einzelnen Punkt aufstehen und als schlechtes Beispiel dienen können. Stattdessen schaute ich unter mich, dachte an meine Kinder, und dieses völlig irre, nur Müttern bekannte Glücks- und Liebesgefühl durchströmte mich beim Gedanken an diese Geschöpfe, die mir mehr als einmal den Schlaf raubten, meine Tage überquellen lassen und bis heute nur das tun, was für ihr unmittelbares Überleben wichtig sein könnte. Aufräumen, Wäschewaschen, Müllwegbringen oder Geschirrspülen gehören in der Regel nicht dazu. Ich konzentrierte mich auf den Vortrag und auf das, was ich alles falsch gemacht habe:

Natürlich bin ich immer beim zehnten Nachfragen schwach geworden und von meinem Nein abgerückt, vorzugsweise nach einem langen Tag mit alleiniger Aufsicht der Kinder. Natürlich habe ich nach einer Woche die Spülmaschine wieder selbst eingeräumt, weil mir das lange Verhandeln auf den Keks ging. Und natürlich habe ich – es sei denn, es ging um Leben und Tod – meine gottgegebene Macht gegenüber meinen Kindern nicht ausgenutzt, weil das eine Eigenschaft ist, die mir persönlich fernliegt.

Alles falschgemacht, würde ich sagen, erzieherisches Komplettversagen. Schade um die schönen Kinder – was hätten sie nur für Leistungsträger werden können, hätten sie eine konsequentere Mutter gehabt. Und was hätte ich mir nur die Nerven schönen können, hätte ich mich ein bisschen mehr angestrengt. Aber das war nichts Neues. Einzig die Erkenntnis, dass es in meinem Fall jetzt schon egal war, hellte meine Stimmung ein wenig auf.

Neu für mich war indes, wie Kinder mit dem Thema Zeit umgehen: Ihr ganzes Leben liegt ja noch vor ihnen – Zeit ohne Ende, was dazu führt, dass sie langfristige Ansagen überhaupt nicht ernstnehmen und kurzfristige eigentlich auch nicht. Deshalb haben sie wohl auch morgens nach dem Wecken so unglaublich viel Zeit, bis sie in die Hufe kommen – ist ja noch ewig bis Schulbeginn. Hätte ich das gewusst, ja – was hätte ich dann eigentlich?!

Am Ende des Abends kam eine Lehrerin zu Bekannten von mir, bei denen ich zufällig stand und über die Unvereinbarkeit von Theorie (= Konsequenz) und Praxis („is‘ mir jetzt auch egal“) klagte. Sie sagte, also, wenn das mit der Zeit so ist, dann werde sie jetzt Arbeiten erst einen Tag vorher ankündigen. Die Eltern würden ohnehin auch nicht vorher mit dem Lernen anfangen. Die Eltern? Mit dem Lernen anfangen? Ich fragte nochmal halb im Ernst, halb im Scherz nach. „Ja, ja, die Eltern fangen immer so spät mit dem Lernen an, haha.“ Leider hat in der Runde keiner verstanden, was ich damit sagen wollte. Ich dachte, es sei ein Witz! Soweit ich mich erinnere, müssen die Kinder doch für die Klassenarbeiten lernen und nicht die Eltern?! Eine Ansicht, mit der ich ziemlich alleine dastand, ebenso wie mit meiner unverhohlenen Inkonsequenz. Aber ich kann nicht anders. Auch wenn diese Eigenschaft mit einer besonderen Eignung zum Familiendepp einhergeht, an dem alles hängen bleibt, was kein anderer machen will. Ein Job, den neben mir übrigens noch jemand in meiner Familie für sich reklamieren würde – völlig zu Unrecht natürlich, denn es kann nur einen geben…

Als ich heimkam, saß ich noch ein wenig mit meinem großen Sohn auf der Couch. Was ich von ihm lernen könnte, ist Chillen. Was der Referent von ihm lernen könnte, ist, dass auch ein Kind, das von mir – eher nicht – erzogen wurde, ein äußert netter, hilfsbereiter, intelligenter und zugewandter Mensch geworden ist. Und der sich, als ich ihm von diesem Abend erzählte, entspannt zurücklehnte und sagte. „Oh, dafür bin ich aber gar nicht so schlecht geraten.“ Finde ich auch. Glück gehabt.