Mein Schönstes

Als ich in diesen Tagen des Jahresanfangschills frohen Mutes das Piepsen meines Weckers ignorieren, meine Decke mit einem geübten Beinschlag wenden, mich umdrehen und fröhlich weiterschlafen konnte, da wurde mir schlagartig klar: Das ist mein Schönstes.

Obwohl ich der Meinung bin, dass Morgenstund‘ Gold im Mund hat (ehrlich!) bzw. der frühe Vogel den Wurm fängt (wirklich wahr!), ist es einfach soooo schön, mal nicht unbedingt sofort aufstehen zu müssen. Umdrehen. Weiterdösen. Erst recht, wenn der Mensch, der neben einem schläft, keinen Urlaub mehr hat und verschiedene Töne in der Reihenfolge seiner Morgenroutine aus dem Bad nebenan kommen. Der Arme! Und ich so: Ach, nochmal die Decke wenden, umdrehen, weiterdösen. Und dann doch irgendwann aufstehen. Weil das Zweitschönste dann auf dem Fuße folgt: Eine schöne warme Morgendusche. Ich weiß zwar, dass Wasser kostbar ist und warmes Wasser der absolute Luxus, daher fasse ich mich auch kurz und stelle das Wasser beim Einseifen ab. Aber ist es nicht herrlich, wenn es erst heiß, dann wieder etwas kühler und dann wieder heiß von oben herabperlt? Ich liebe es. Jedes Mal wieder. (Und waschen muss man sich ja ohnehin. Da kann es auch Freude machen.) Und wenn ich dann mal über die Stränge schlagen will, gibt es, ausgeschlafen, frisch geduscht und mit einem Hauch von zitroniger Body Butter versehen, mein Drittliebstes: Nutella-Brötchen zum Kaffee. An manchen Tagen gibt es das genauso in dieser Reihenfolge und an diesen Tagen schätze ich mich schon morgens vor zehn Uhr als einen der glücklichsten Menschen der Welt. Einen Moment lang scheint es so, als könne mir der Tag nichts mehr anhaben.

Unsinn, ich weiß, denn früher oder später kommt der Tag und bringt mir Post vom Finanzamt oder gar von der Praxis meiner Wahl mit den Vorbereitungsutensilien für die Darmspiegelung. Die Wasserflasche fällt mir aus den Händen, an ganz besonders hinterhältigen Tagen die Ölflasche, der Trockner hat nicht getrocknet, weil ich wieder mal sein Rufen nach dem frischen Sockelfilter ignoriert habe, und im Supermarkt stehe ich ohne meinen über die Woche hinweg akribisch vervollständigten Einkaufszettel inmitten einer neuen Anordnung der Lebensmittel und weiß, dass ich wieder die Hälfte vergessen werde. Dann ist mein Schönstes vom Morgen längst vergessen, obwohl es ein Leichtes wäre, es sich wieder in Erinnerung zu rufen. Ärger mit dem Kollegen, den Kindern, dem Hund, dem Mann, dem Schornsteinfeger oder wem auch immer? Augenschließen, einatmen. Den Decken-Umdreh-Moment fühlen, die Wärme der heißen Dusche, den Geschmack des Nutella-Brötchens. Mmmmmh. Das Gefühl des Schönsten des Tages ist imstand, mich wie ein Superwoman-Kostüm zu umschließen. Wer wollte mich noch mal ärgern? Nimm dies, nimm meine Nutella-Brötchen-Power, du Ärgerling!

Schön wär’s, oder? Klappt nicht immer, ich weiß. Aber ich will dran arbeiten. Ich will die schönen Momente finden und sie als Bollwerk gegen Blödheit, Bosheit und Ärger einsetzen. Und zwischen so definierten Highlights wie den genannten Morgenfreuden bietet jeder Tag kleine oder große Momente, die zumindest den Alltagsärger neutralisieren können: Das nette Gespräch mit einer wildfremden Frau am Schalter eines Museums. Die Begegnung mit einem lieben Menschen, den man lange nicht gesehen hat. Oder vielleicht auch gestern erst. Die Freude eines Kindes, das in den Erlen ausgelassen mit einem anderen spielt. Das heimliche oder laute Lachen beim Lesen eines Buches. Die Dankbarkeit, wenn man feststellt, dass eine Schreiberin imstand ist, genau die Dinge zu formulieren, die man selber dachte, aber nicht in Worte fassen konnte. Der Kaffee, den meine Kinder mir mit einem lieben Wort servieren. Die Kette, die mir von meiner Mutter geblieben ist. Ein kleiner Fleck blauen Himmels an einem diesigen Regentag. Das Glück, neben den Hundehaufen getreten zu haben. Eine unerwartete Einladung zu einem schönen Abend.

Apropos schöner Abend. Jeden Abend, wenn ich schlafen gehe, freue ich mich auf und über mein Bett. Ich weiß nicht, wer es erfunden hat, aber ich bin diesen Personen, die sich irgendwann mal dachten, da muss es doch noch was Schöneres geben, als sich einfach auf den Boden zu knallen, unendlich dankbar. (Ein kurzer Seitenblick ins Netz fördert unglaubliches Bettenwissen zutage: Von den ersten Menschen, die auf Bäumen schliefen [omg], über die verschiedensten Schlafstätten und Ruhemöbel bis hin zu Bettina von Cama, die im Jahr 907 in Spanien das Bett erfunden haben soll. War ja klar, dass diese grandiose Erfindung von einer Frau stammt. Obwohl: BETTina von CAMA klingt schon so ein bisschen an den Haaren herbeigezogen, Mr. Google. Ich weiß ja nicht.) Ein Bett, mein Bett, ist nach einer seichten Fernsehrunde und einem schönen Glas Wein – abgesehen von den vielen unerwarteten Tageshighlights – mein Sechstschönstes und Letztliebstes des Tages. Und mit ein wenig Glück dann auch wieder das erste Schöne am nächsten Morgen. Ob und welche Highlights die Nachtstunden noch bereithalten, darüber möchte ich lieber schweigen, nur so viel:

Schöne Momente muss man nicht suchen, es reicht sie zu finden.

https://www.meincharivari.de/aktuelles/wer-hat-das-bett-erfunden-eine-kurze-geschichte-ueber-schlaf