Mein Freund, das Buch

Diesen Text schrieb ich zur Eröffnung des Buchladens Lesezeichen in Alsfeld am 17.8.20019

„Bücher sind unsere Freunde. Wir wollen sie stets pfleglich behandeln.“ Ein Stempel mit dieser unmissverständlichen Aufforderung prangte einst in meinen Schulbüchern und die Tatsache, dass man diesen Spruch nicht mal mehr googeln kann – also, man kann natürlich, aber man findet nichts – zeigt, wie lange das schon her ist.

Und dabei ist er so wahr, der alte Spruch. Bücher können vieles sein. Auch Freunde. Das sind sogar unbedingt. Auch wenn sie manchmal nerven, zum Beispiel, wenn man sie nur zum Lernen hat oder so, aber selbst dafür sind sie ja nützlich. Und wer würde bestreiten, dass ein Wörterbuch zur richtigen Zeit kein Freund ist? Okay, über Mathebücher ab der Oberstufe müsste ich nochmal separat sprechen. Aber sonst? Ja, Bücher sind unsere Freunde. Bücher spenden Trost. Bücher unterhalten. Das richtige Buch zur richtigen Zeit im richtigen Café macht seine Besitzerin unglaublich intellektuell. Das andere richtige Buch zur richtigen Zeit im Sylter Strandkorb macht unglaublichen Spaß, auch wenn es den Geist nur bedingt bis gar nicht weiterbringt. Macht nichts, der darf ja auch mal ausruhen! In Bücher kann man sich vertiefen, verlieren. Man kann sie mit sich tragen, man kann sie horten. Man kann sich schwer von ihnen trennen. Man schreibt ihnen sogar eine Seele zu – der einzige Gegenstand, bei dem das zumindest in weiten Teilen der Menschheit unwidersprochen bleibt. Bücher sind einfach Bücher, und, ganz ehrlich, sie sind durch nichts zu ersetzen. Schon gar nicht durch E-Reader. Wie sich das schon anhört. E-Reader! Iiieh, Reader! E-Reader sind schon deshalb unmöglich, weil man sie nicht gut verleihen kann. Und weil man sie nicht stapeln kann. Weil man sie nicht so gut nehmen kann, um sie irgendwo unterzulegen. Weil man nicht mit Bleistift Sachen an ihren Rand schreiben kann. Weil man sich die Lesestelle, an der man grade ist, nicht mit echten Eselsohren markieren kann. Für den Fall, dass man kein Lesezeichen hat, natürlich nur, denn wir wollen unsere Freunde ja pfleglich behandeln. (Und ja, wenn abends die Leselampe nicht ausreicht und die Schrift immer kleiner wird, denke ich doch über einen E-Reader nach. Aber nur kurz. Dann schlafe ich einfach.)

Bücher begleiten mich schon mein ganzes Leben, angefangen hat es tatsächlich mit Märchen in meiner Kindheit. Da gab es schöne, alte Märchenbücher in verschnörkelter Schrift von meiner Mutter und den Großeltern, es gab die Hasenschule, und die Grimms Märchen. Es gab die Geschichten aus 1001 Nacht, es gab Max und Moritz und die Struwwelliese. Sie, Pucki und der Trotzkopf sind die Beweise dafür, dass man – selbst wenn man mit ihnen aufwuchs – am Ende doch noch bei Alice Schwarzer, Andrea Dworkin und Simone de Beauvoir landen kann. Obwohl – wenn ich manchmal versuche, es zuhause allen recht zu machen, dann kommt vielleicht doch die Pucki in mir durch, aber ich weiß mich zu wehren – nicht zuletzt dank zahlreicher anderer literarischer Beispiele. „Die Emanzipation ist ohne Romane undenkbar“, heißt es in Stefan Bollmanns Buch „Frauen, die lesen, sind gefährlich und klug“ und Elke Heidenreich ergänzt: »Lesen ist immer gefährlich, weil es klüger macht. Männer haben mit klugen Frauen oft Probleme. Das darf uns nicht abschrecken!“ Nun muss man der Vollständigkeit halber dazusagen, dass Lesen auch Männer klüger macht – und kluge Männer sind, bei aller Emanzipation, einfach sexy! Also ran an die Schwarten, Jungs!

Ich erinnere mich an Zeiten als Leserin, in denen ich schlaue Sätze in den Büchern von Hermann Hesse oder Antoine de Saint-Exupéry unterstrich und sie mir ein Chinabuch herausschrieb – ich hatte unglaublich viel Zeit und Muße damals, als ich bei Tee und Räucherstäbchen in meiner Bude unter dem Dach saß. Ich liebte es und würde es sicher heute immer noch lieben, wenn ich es täte. Ich würde es mehr lieben als das, was ich im Alltag oft tue, denke ich manchmal. Warum ich trotzdem den Alltagstrott vorziehe, das kann ich sicher in einem Ratgeber nachlesen, die inzwischen wohl zu einer der beliebtesten literarischen Gattungen gehören. Kein Problem, das man nicht mit dem richtigen Buch lösen könnte, keins.

71.548 neue Buchtitel sind im Jahr 2018 erschienen (*) (und das ganz ohne mein Zutun!), 15% davon sollen Ratgeber sein (**), die zu einem glücklichen Leben verhelfen sollen – durch Achtsamkeit, durch veganes Essen, durch mehr Erfolg und durch Aufräumen. Aufräumratgeber besitze ich einige. Ich finde sie nur grade nicht. Glücklicherweise zog ich pünktlich zum Verfassen dieser Kolumne das FLOW-Lesebuch aus einem Stapel im Regal. Diese Stapel liebe und hasse ich zugleich. Sie zeugen von meiner Liebe zu Büchern, aber auch von zu wenig Zeit zum Lesen und Aufräumen. Sie zeugen auch von meiner Schwäche, immer wieder Bücher auf Verdacht zu kaufen. Und es ist schon erstaunlich, dass man – zumindest für den kurzen Moment, in dem man sie kauft – immer wieder tatsächlich der festen Überzeugung ist, dass man sie wirklich, wirklich lesen wird! Tja, und wenn man sie dann erstmal hat, dann möchte man sie nicht mehr hergeben, egal, ob man sie schon gelesen hat oder nicht. Inzwischen bewahre ich viele meiner Bücher in Kisten im Keller auf, da ich im Lauf meines Lebens meinen Wohnraum mit immer mehr Menschen teilen musste. Aber sie kommen mir nicht aus dem Haus, und ich träume davon, mir eine Bibliothek einzurichten, sobald das erste Kind wieder weg ist. Nur manchmal, wenn ich ein Buch verleihe und mir den Spruch meiner Freundin Katja „Wer ein Buch verleiht, kann es auch gleich verschenken“ ins Gedächtnis rufe, kann ich mich damit anfreunden, ein Buch aus der Hand zu geben. Verschenken ist okay. Mir selbst Bücher auszuleihen, um meine Bücherflut etwas einzudämmen, hat sich als wenig hilfreich herausgestellt: Wenn mir ein Buch gefällt, das ich geliehen, gelesen und zurückgegeben habe, kaufe ich es einfach nach. Der Vollständigkeit halber für mein Bücherregal, das – egal wie oft ich Kisten für den Keller packe – regelmäßig aus allen Nähten platzt. Bücher beruhigen mich. Wahrscheinlich muss ich deshalb auch immer mindestens drei von ihnen mit auf Reisen nehmen und mir vor Ort noch vier weitere kaufen. Für zehn Tage, versteht sich. Und blicke ich von meinem Bücherchaos nach draußen in andere Wohnungen, so kann ich guten Gewissens behaupten: Ein Haus ohne Buch ist kein Zuhause. Eine Wohnung ohne Lesestoff ist kein Lebensraum. Es irritiert mich, verunsichert mich geradezu, wenn ich in eine aufgeräumte Wohnung ohne Bücher komme. Es gibt solche Wohnungen, ich kenne welche.

Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich selbst Buchhändlerin bin. Wirklich. Ausgebildete Buchhändlerin. Wir sind eine besondere Spezies. Wir hatten ein Unterrichtsfach, das heißt „Wissenschaftskunde“. Das macht uns zu den Menschen mit dem breitesten Allgemeinwissen. Wir wissen von allem gerade so viel, dass wir einen Satz dazusagen können, der sich einfach toll anhört und – sofern wir nicht an einen Experten geraten – den Eindruck erweckt, als seien wir wirklich, wirklich sehr intellektuell. Das lassen wir jetzt mal so stehen

Was man über Buchhändler allerdings wirklich sagen kann: Sie waren die ersten Bibliotherapeuten. Noch heute wissen sie meistens genau was man braucht, selbst wenn man es selbst nicht weiß – in dieser Liga spielen eigentlich nur noch Friseurinnen und Friseure mit. Und Barmänner und -frauen. Aber die Buchhändlerinnen sind mir am liebsten. Danke, dass es euch gibt!

Schöne Zitate zum Weiterdenken!

„Man muss ein Buch nicht zu Ende lesen, nur weil man es einmal angefangen hat.“ (Thure von zur Mühlen)

„Ein Leser erlebt tausend Leben, bevor er stirbt. Wer niemals liest, lebt nur eins.“ George R.R. Martin

„Jedes Mal, wenn du ein Buch fortgelegt hast und beginnst, den Faden eigener Gedanken zu spinnen, hat das Buch seinen beabsichtigten Zweck erreicht.“ Janusz Korczak

„Auch Bücher haben ihr Erlebtes, das ihnen nicht entzogen werden kann.“ Johann Wolfang von Goethe

„Von seinen Eltern lernt man lieben, lachen und laufen. Doch erst wenn man mit Büchern in Berührung kommt, entdeckt man, dass man Flügel hat.“ Helen Hayes

Quellen:

* https://de.statista.com/statistik/daten/studie/39166/umfrage/verlagswesen-buchtitelproduktion-in-deutschland, heruntergeladen am 15.8.2019, 6:56 Uhr

** Buch und Buchhandel in Zahlen 2018 (für 2017), Börsenverein des Deutschen Buchhandels