Mein Date mit mir

Heute hätte ich beinah ein schönes Date gehabt. Mit mir. Aber ich musste es absagen. Aus Zeitgründen. Schade eigentlich. Und nicht nur ein weiteres Beispiel misslungenem Zeitmanagements, sondern auch – und das ganz besonders – ein weiteres Symptom von fehlgeleiteter Kommunikation im Jahr 2019, im Zeitalter von E-Mail, WhatsApp, I-Message, Sprachnachrichten, Facebook-Messenger, Freisprechanlagen, Vorlese- und Schreib-Apps, Memes und unendlich vielen Emojis in politisch korrekten Hautfarben, Ausführungen und Symbolbildern. Ich denke bei Letzterem gerne an den lachenden Kackehaufen, den die Sprachausgabe mit „grinsender Hundehaufen“ beschreibt und den ich aufgrund fehlenden Anlasses noch nie verwendet habe. Ich stehe mehr so auf das Äffchen, das sich die Augen zuhält. Passt fast immer. Zumindest bei mir. Aber das nur am Rande.

„Hi! Hast du heute Zeit für ein schönes Mittagessen bei Vincenzo? Grüße von Traudi“ Diese schöne Mail erhielt ich gestern Morgen und während ich mich noch über die nette Einladung freute, merkte ich, dass ich sie an mich selbst geschickt hatte. Eigentlich sollte sie an meine Freundin gehen, aber ich hatte im Eifer von etwa dreißig von gestern Abend bis heute Morgen eingegangenen und zu löschenden, zu beantwortenden oder gleich auszudruckenden Mails den falschen Button gedrückt. Kann ja mal passieren, und es soll durchaus schon folgenreichere Verdrücker gegeben haben, etwa, wenn man sich über die unvorteilhafte Figur samt Körperbehaarung seines Chefs, den man kürzlich in der Sauna gesehen hat, auslässt und anstelle der Lieblingskollegin den kompletten Firmenverteiler drückt. Aber auch das nur am Rande. (Und, nein, das ist mir nun doch noch nicht passiert. Obwohl es möglich wäre.)

Wenigstens war ich mit meiner Einladung nicht in meinem eigenen Spam gelandet. Das ist mir nämlich auch schon passiert. Wenn ich unterwegs bin, schreibe ich gerne Mails an mich selbst mit Dingen, an die ich mich unbedingt erinnern will, wenn ich wieder am Schreibtisch sitze. Ich finde das sehr praktisch, denn ich hole meine Mails gewissenhaft ab, bearbeite oder beantworte sie oder versehe die wichtigen von ihnen mit Fähnchen, was sie früher oder später in meine unendliche Liste der offenen Aufgaben verschiebt, die ich mir in der Regel zweimal im Jahr ganz entsetzt anschaue, nur um dann festzustellen, dass sich die Welt auch ohne die vielen Dinge, die ich ganz dringend tun wollte, dann aber vergessen habe, weitergedreht hat. (Ist das jetzt beruhigend oder nimmt mir das die Daseinsberechtigung?) Da ich nun aber mit mehreren Mail-Konten arbeite, und sich das eine Mail-Konto wohl nicht mehr an das andere erinnern konnte, schob es mich in den Spamordner, wo ich dann am nächsten Morgen zum Vorschein kam. Ich verschob mich selbst in den richtigen Ordner und versah mich dort mit einem Fähnchen. Und so wartet die wichtige Mail vermutlich immer noch, bis sie erledigt wird. Was war das noch gleich? Aber auch das nur am Rande. Man wird ja immer so furchtbar abgelenkt im Internet….

Apropos abgelenkt. Die vielen neuen Kommunikationsmedien sind wahre Ablenkungseldorados. Denn niemals trifft man dort eine Information alleine. Stets ist sie umzingelt von Co-Mails und Kommentaren, von unwichtigen Kollateral-Infos und Antworten darauf. Wenn man jetzt zum Beispiel in die Runde einer WhatsApp-Gruppe fragt, wer am Schulkonzert in der Pause Getränke verkaufen will, dann melden sich vielleicht ein, zwei, die können. Die Dritte sagt, dass sie nicht könne, weil sie im Urlaub sei. „Oh, wo geht’s denn hin“, fragt die Nächste. „Zur Yogareise nach Griechenland“, kommt die Antwort, und die Vierte wiederum: „Oh, da war ich schon, da müsst ihr unbedingt….“, und die Fünte: „Oh, das kenn‘ ich, da waren wir auf Hochzeitsreise“ – und irgendwann steht dann in einem Nachsatz, dass sie auch kann. Also Getränkeverkaufen oder?! Und zwischen diesen Chats hatten sich auch noch weitere Mütter zu Wort gemeldet, die könnten, aber wer und wie viele? Und wollten die jetzt Getränke verkaufen oder sich zur Yogareise äußern, sich vielleicht sogar noch dafür anmelden, schließlich hatte es auch Rückfragen zum Preis und Veranstalter gegeben… Bis man sich da auf einen verlässlichen Stand gebracht hat, hätte man auch alle einmal angerufen und eine klare Strichliste gemacht. Tragisches Potenzial hat das Ganze, wenn man, so wie ich letztens, sogar eine Party verpasst, weil in der Cousins- und Cousinengruppe die Einladung zwischen einem Piggeldy-und-Frederick-Video und den Kommentaren zum letzten Bayernspiel untergegangen ist. Und das ist ja wirklich so ärgerlich wie unnötig, dann was um Himmels Willen soll man zu einem Bayernspiel überhaupt sagen, außer, dass der Sieg natürlich verdient war, trotz des Elfmeters zugunsten der gegnerischen Mannschaft, der vom bayernfeindliche Schiri völlig zu Unrecht gegeben wurde.

So machen die neuen Medien, die ja gar nicht mehr so neu sind, das Leben zwar gefühlt (!) leichter, aber nicht unbedingt klarer. Vieles wird unverbindlicher, weil bis zur letzten Minute änderbar. Hatte man sich früher mit den Eltern nach der Schule für halb drei in Fulda auf dem Bonifatius-Platz verabredet, war das so unumstößlich wie die Heiligenfigur auf demselben. Heute werden Ort und Zeit nicht selten bis zur letzten Minute diskutiert, variiert, prokrastiniert. Im Notfall ganz nett, im Normalfall lästig bis unartig, finde ich. Und mache selber munter bei den Spielchen mit. Bei allen. Nur wenn ich mal nicht mehr durchblicke, bin ich genervt. Wenn mein Termin – sofern ich ihn registriert habe – in der letzten Minute platzt, finde ich es kacke, aber sonst: Nee, echt nice, die neuen Medien! Und wer weiß: Wenn ich mich richtig anstrenge, schaffe ich es ja vielleicht doch nochmal zum Date mit mir.