Me Too

Ja klar, höre ich jetzt schon einige sagen, natürlich hat sie auch was dazu zu sagen. Hab‘ ich auch: Als noch sehr jung war, so mit zwanzig, habe ich in einem Lokal gearbeitet, einem Landgasthof in meinem Heimatort. Nach einer Treibjagd trafen sich alle Jäger dort zum Ausklang und bald waren viele von ihnen mehr oder weniger stark angetrunken. Einer von ihnen fasste mir an die Brust. Bei Bedienungen ist das ja quasi inklusive. Ich war entsetzt, aber noch nicht mutig genug, ihm eine zu scheuern. Zumindest drohte ich es ihm an, sollte er mich noch einmal anfassen, woraufhin er lautstark verkündete, dass er sich über mein Verhalten beim Chef beschweren würde. Er sich über mein Verhalten! Ganz normal, oder? Ich kam ihm zuvor und setzte den Chef in Kenntnis. Der wiederum war ein Schulfreund meines Vaters und er hatte zwei Töchter in meinem Alter. Seine lapidare Antwort: „Wenn er kommt, fliegt er raus.“ Das, muss ich sagen, tat mir gut, auch wenn ich heute denke, der Wirt hätte den Gast direkt rausschmeißen sollen. Man sieht: Es war damals und es ist heute nicht die Regel, dass Männer junge Mädchen vor alten Lustmolchen schützen.

Als wir in diesen Tagen in gemütlicher Runde zusammensaßen und uns aus gegebenem Anlass über das Thema Belästigung bis hin zu sexuellem Missbrauch unterhielten, hatten viele Frauen in jedem Alter etwas dazu beizutragen. Kleine Geschichten von ungehörigen Versuchen, Macht und körperliche Überlegenheit auszunutzen, über die die Frauen stets geschwiegen hatten. War ja irgendwie immer normal und hätte eh keinen interessiert. Es waren keine wirklich schweren Verbrechen darunter, die wurden vielleicht immer noch verschwiegen, um die ursprünglich gemütliche Runde nicht zu verstören, aber genug, um zu erkennen, dass es sexuelle Übergriffe vielerlei Art zu allen Zeiten und in allen Umfeldern gegeben hat und immer noch gibt. Und dass keineswegs nur vermeintlich geltungssüchtige Promi-Frauen jetzt damit rüberkommen. Es ist sowieso ein Unding, dass diese sich nun noch dafür rechtfertigen müssen, so lange geschwiegen zu haben und man ihnen unterstellt, vielleicht doch lange genug davon profitiert zu haben.

Dabei ist eine Definition von sexueller Belästigung schwierig, besonders wenn es nicht zu körperlicher Gewalt kommt: Was für die eine von uns noch ein witziger bis hitziger Flirt oder der Versuch davon ist, ist für die andere schon üble Anmache, weil sie einfach zu viel davon hat. Erschwerend kommt dazu, dass Männer immer klare Ansagen brauchen – zwischen den Zeilen zu lesen, ist ja jetzt nicht so ihre Kernkompetenz. Zwischen einem gesenkten Haupt und einem klaren „Nein“, das im Übrigen unbedingt und vorbehaltlos akzeptiert und nicht als kokettes Spielchen betrachtet werden sollte, liegt eine ziemliche Bandbreite, die sich dem männlichen Gegenüber nicht immer erschließt. Einigen aber doch. Ich kenne zumindest welche. Andererseits ist das mit der Definition auch wieder ganz einfach: Eine Frau definiert ihre Grenzen und die werden eingehalten. Von allen. So einfach ist das.

In einer Kolumne in der Zeitung „emotion“ fragte sich der sensible Kolumnist, ob er vielleicht selbst schon jemals mit irgendwas, was er getan hat, eine Frau im MeToo-Kontext belästigt oder gar bedrängt haben könnte und bat sie schon mal prophylaktisch um Verzeihung. Am liebsten hätte ich ihm zugerufen, dass zu viel Fürsorge auch diskriminierend ist, und hatte so eine Ahnung, dass man es auch übertreiben könne. Zudem befürchtete ich, dass dieses Thema dem doch gar nicht so unerwünschten Prickeln zwischen Männern und Frauen die Leichtigkeit nimmt. Sollen wir wirklich, wie es in einem Artikel der „Zeit“ gefordert wurde, öffentliche Schutzräume einrichten, in denen jeglicher Körperkontakt verboten ist, also auch Händeschütteln oder Schulterklopfen, oder soll es wirklich so weit kommen, dass man sich vor weiterreichenden gemeinsamen körperlichen Aktivitäten vertraglich absichert, was erlaubt ist und was nicht?

Und was ist eigentlich im umgekehrten Fall? Hat da auch schon mal jemand drüber gesprochen? Ich zum Beispiel war in meinem frühen Erwachsenenleben in meinem Bekanntenkreis bekannt dafür, dass ich die Jungs gerne mit einem Schlag auf den Hintern begrüßt habe. Knackige Männerhintern finde ich halt schön. Da machste nix! Ich hatte damals so ein intensives Vanilleparfüm am Start, und meine Schulfreunde und später auch noch der eine oder andere Arbeitskollege wussten schon, dass es, sobald sich die Vanilleschwade näherte, gleich einen Klaps auf den Allerwertesten geben würde. Ich habe mich nie gefragt, wie sie das finden, und manchmal kribbelt es heute noch, wenn ich einen schönen Männerhintern sehe, aber ich bin ja erwachsen und würde natürlich niemals einem Fremden… Wenn ich so über mich nachdenke, muss ich zugeben, dass ich wohl ziemliche Macho-Tendenzen habe. Ich mache gerne derbe Witze und anzügliche Bemerkungen – über beiderlei Geschlechter. Wäre ich ein Mann, wäre ich der Schrecken jeder Emanze, so viel steht schon mal fest. Und schaut man sich an, was Frauen für Witze über Männer machen, dann darf man sich mitunter auch fragen, wie gut bei ihnen dieselben Witze nur mit umgekehrten Rollen ankämen.

Aber, auch das muss offenbar ausdrücklich gesagt werden: Weder ein loses Mundwerk noch ein kurzer Rock oder ein großer Ausschnitt berechtigen irgendwen per se zu irgendwas. Obwohl es so leicht ist, ist es schwierig. Für mich persönlich komme ich zu dem Schluss: Ich will mit Männern Aufzug fahren können, ohne dass ich Angst haben muss, dass sie mich anfassen, und ohne dass sie Angst haben müssen, dass ich sie nach der Fahrt ohne Grund anzeige. Ich will, dass beide Geschlechter sich respektieren und achten. Auf diese Idee sollte eigentlich vor der MeToo-Debatte schon mal jemand gekommen sein, oder. Warum nur, warum ist so schwer, sobald das Gefühl von Macht dazukommt?

Ach ja, und natürlich will ich weiterhin derbe Witze und anzügliche Bemerkungen machen. Bin ja schließlich emanzipiert.

Quellen:

http://www.zeit.de/2017/44/sexismus-metoo-sexuelle-belaestigung/seite-2
gesehen am 30.1.2018

http://www.zeit.de/2018/03/metoo-debatte-maenner-macht-frauen-opfer
gesehen am 30.1.2018

http://www.sueddeutsche.de/karriere/metoo-als-generationen-debatte-juengere-und-aeltere-frauen-muessten-jetzt-zusammenhalten-1.3747193
gesehen am 30.1.2018
http://www.taz.de/!5456987/
gesehen am 30.1.2018
Bild: Pixabay / geralt