Maskenball

Wie so vieles in den letzten Monaten hat auch das Wort „Maskenball“ seine Bedeutung geändert und damit auch große Teile seines Charmes eingebüßt. Und wie so oft in dieser pandemischen Krise laufe ich den Ereignissen hinterher, denn natürlich hätte es sich angeboten, erst Mitte Februar, zur Hochzeit der ausgefallenen Maskenbälle in aller Welt, über den solchen zu schreiben. Allerdings ist das mit den Masken ja grade wieder sehr im Fluss und das nicht gerade Richtung ruhigeres Fahrwasser. Schade eigentlich.

Natürlich will ich mich den wissenschaftlichen Empfehlungen nicht entziehen und – wenn’s hilft – auf FFP2-Masken zurückgreifen. Sonst dürfte ich ja auch bald nicht mehr unterwegs sein, was ich schon blöd fände und die Reste des hiesigen Handels auch. Andererseits aber finde ich es auch ein bisschen schade, wenn wir uns ab sofort nur noch einförmig, weiß und entenschnabelig in der Öffentlichkeit bewegen dürfen. Sie sehen halt schon sehr bescheuert aus, die Hochleistungsmasken.

Dabei hatten wir und nun doch schon alle wenigstens ein bisschen an die sogenannte „Alltagsmaske“ als Stilelement gewöhnt. Und nicht wenige von uns – sich hier schriftlich äußernde Personen nicht ausgenommen – hatten doch schon mehr Masken im Vorrat als wir – selbst bei strengster regelmäßiger Reinigung – brauchen würden. Gekauft passend zur Kleidung, aus verschiedenen Stoffen, mit schönen Mustern und in leuchtenden Farben. Mit Statements oder aufgedrucktem Lachen oder – je nach Persönlichkeitsstruktur – auch mit aufgedruckten Totenköpfen oder Horrorclownoptik. (Wobei ich mich da schon immer gefragt habe, an welchem Punkt die ästhetische Wahrnehmung in eine eher ungünstige Richtung abgedriftet ist.) Hätte von Ihnen jemand Anfang des letzten Jahres nachgedacht, dass wir ein Jahr später unseren Sabberlappen (so die offizielle hessische Bezeichnung) schon fast nachtrauern?

Ich muss sagen, ich fand die Betrachtungen rund um die Mundschutze (was für ein Plural!) stets sehr unterhaltsam, gab es doch die tollsten Varianten. Kolleginnen und Kollegen von mir trugen Riesenteile, die wohl eigens für sie angefertigt waren, weil sie aus verschiedenen Gründen mit den normalgroßen nicht zurechtkamen. Sie haben’s gut, sie können jetzt einfach die Bändel abnehmen und die überzähligen Masken als Hand- oder Duschtücher nehmen. Masken dieser Größe hätte ich auch anderen Menschen gerne empfohlen (wenn sie mich gefragt hätten), denn wie oft habe ich beim Einkaufen Menschen gesehen, männliche zumeist, denen die ganz normalen Masken, die man – nachdem der Hype um die schönen selbstgenähten zu Beginn der Maskenpflicht etwas abgeflaut war – überall in Fünferpacks kaufen konnte, tatsächlich zu klein waren. Zu klein! Sie gingen gerade mal von der Nasenspitze bis Unterkante Unterlippe, und ich war stets fasziniert von der Erkenntnis, wieviel Gesicht und Gesichtsanhänge da noch rausguckten. Ganz ehrlich: Mein Blick auf die menschliche Physiognomie hat sich sehr geschärft in diesen Zeiten, auch wenn er sich mehr auf den Hals-, Nacken- und Wangenbereich kaprizierte. Und auf Bärte.

Denn ebenso fasziniert war ich davon, wie bei Vollbartträgern die vielen Haare unter den Maskenrändern hervorquollen. Ich musste da ständig hinsehen (und bitte an dieser Stelle, alle, denen das aufgefallen ist, um Verzeihung) und stellte mir vor, wie weich gebettet die Maske in dem Bart lag und wie praktisch so ein Bart doch ist, denn schließlich kann hier wenigstens nichts einschneiden. Einmal sah ich einen Mann, dem unter der Maske ein langer geflochtener Bartzopf herausbaumelte, und ich hoffte für ihn, dass das Haarteil an der Maske befestigt war, was ich sehr originell gefunden hätte, aber ich glaube, es hing tatsächlich an seinem Kinn. Egal: Wenn jetzt die FFP2-Masken-Pflicht kommt, ist das mit den Vollbärten, wie man hört, ja nur noch so mittel. So sprach sich Christof Asbach, Präsident der Gesellschaft für Aerosolforschung, in einem ZDF-Interview am 14. Januar dafür aus, dass Bartträger, um den vollen Schutz durch die Maske zu erzielen, sich ihre Bärte abrasieren. Was für die meisten von ihnen auch ohne Maske ein wirklicher Vorteil wäre, wie ich finde. Dass Herr Asbach nicht von Bartträgerinnen spricht, mag vielleicht auf Klischees oder mangelndes Genderbewusstsein zurückzuführen sein. Oder zu geringes Wissen um das Haarwachstum in Frauengesichtern mittleren Alters. Ich jedenfalls hatte diese Woche schon einen Termin, um mir die Haare rund um den Mund und an Kinn und Hals weglasern zu lassen: Wenn ich schon eine hässliche Maske tragen muss, dann will ich wenigstens den maximalen Schutz aktivieren. Doch auch hier – so der Experte – muss man auf die richtige Form und Größe achten und auf verlässliche Lieferanten. Da ich in einem Anfall von Verknappungsangst einen übereilten Internetkauf getätigt habe, bin ich sehr gespannt, ob die Masken, die ich bekomme, passen und wirken… Wenn nicht, werde ich wohl bald ein ähnliches Depot angelegt haben wie mit den Stoffmasken.

Stellt sich jetzt natürlich die Frage, was wir aus all unseren Stoffmasken machen, die wir zuhause gebunkert haben. Tatsächlich habe ich drei schöne runde Maskenschachteln angelegt: eine kleine für die Masken meines Mannes, eine mittlere für die Masken der Zwillinge und eine große für – raten Sie mal! Darin befinden sich Masken für jeden Anlass und jede Stimmung. Ganz besonders favorisierte ich zuletzt die mit Message von „ARMEDANGELS“, bei deren Kauf ein Betrag an „Ärzte ohne Grenzen“ geht, die nachhaltig produziert sind und ihrer Trägerin – wie ich finde – einen deutlichen intellektuellen Schub bescherten. Und wenn nicht, taten sie zumindest kund, dass ich mich für den Fortbestand der Freundlichkeit im Allgemeinden einsetze („I warmly smile under this mask“) oder für den Schutz Einzelner im Besonderen („I wear this mask for you“). Natürlich könnte ich meine schönen Stoffmasken jetzt ÜBER der FFP2-Maske tragen, dann würde man die nicht sehen, ich wäre noch besser geschützt und könnte mein Statement vor mir hertragen. Allerdings muss man in meinem Alter, angesichts unvermittelt heranrollender Hitzewallungen, mit solchen Experimenten vorsichtig sein. Letztens hätte mich schon mit der einfachen Stoffmaske und dem Schal und der Mütze beim Metzger fast der plötzliche Hitzetod ereilt.

Apropos Hitze: Wir könnten aus den Masken Bikinis nähen. Ich persönlich würde dazu nochmal die großen meiner Kollegen anfragen. Oder schöne Patchworkarbeiten anfertigen. Oder Taschen, die wir nächstes Jahr als nostalgische „Corona-Bags“ mit uns tragen werden. Souvenirs an eine vergessene, irre Zeit. (By the way: Optimismus ist immer ein bisschen mehr zu vertrauen, als man sicher sein kann. Verrückt, oder?) Sicher wird die Upcycling-Industrie sich tolle Einsatzgebiete für die Wiederverwendung von Stoffmasken überlegen. Man kann sie aber auch erstmal aufheben. Wer weiß, was für Zeiten noch auf uns warten.

Und: Der nächste Maskenball kommt ganz bestimmt.