Liebe in Zeiten der Carola

Also, ich finde, so langsam könnte es jetzt mal wieder normal werden. Ich werde ab Woche 5 der Ausgangsbeschränkungen so eine bisschen beschränkungsmüde. Und auch nachlässig: Lohnt es sich wirklich, für die paar Kontakte am Tag die Haare zu föhnen, frische Klamotten anzuziehen und sich in wenig Farbe ins Gesicht zu machen? Und genützt haben mir die Beschränkungen auch nix: Wenn Sie glauben, dass ich schon irgendwas aufgearbeitet, aufgeräumt oder ausgemistet habe, dann: Fehlanzeige! Ich bin da anscheinend einfach kein Typ für. Hängt natürlich auch damit zusammen, dass ich weiter an die Arbeit gehen kann. Und meine ganzen Termine, die so rundherum ausfallen? Ja, irgendwie verschlunze ich die gewonnene Zeit wohl einfach so. Och, mal schön lange am Kaffeetisch sitzen? Ja, klar, hab‘ ja eh nix vor! Endlich wieder mal schön lange mit der Freundin am Telefon quatschen? Auf jeden Fall, wir können uns grade nicht treffen! Und jetzt noch mal schön ausgedehnt mit dem Hund gehen? Klar, wann, wenn nicht jetzt, sollte das möglich sein! Und so sind die Zeitfenster, die für konzentriertes Arbeiten und Aufräumen erforderlich wären, so klein, dass ich denke: „Ach, was soll’s, fange ich halt morgen an!“ Gute, alte Gewohnheiten kriegt nicht mal die Carola klein. Ätsch!

Vielleicht ist das auch so eine Art „Rentnersyndrom“. Das ist ja, wenn man schon eine Woche nach Beginn des Ruhestandes so beschäftigt ist, dass man gar nicht mehr weiß, wie man eigentlich Zeit gefunden hatte, zur Arbeit zu gehen. Ich kenne derzeit nicht wenige Personen, die sich deutlich für eine langsame schrittweise Wiedereingliederung in die Arbeitswelt aussprechen, sollte es erst wieder soweit sein. Und Schule? Was war das noch gleich? Morgens aufstehen und los? O Gott, nein, bitte nicht! Lohnt sich doch bis zu den Sommerferien eh nicht mehr, der ganze Aufwand… Es ist schon erschreckend, wie schnell selbst fleißige Menschen in Verlotterungsgefahr geraten. Allerdings: Es gibt ja schon einiges zu tun: Social Shopping, sage ich nur! Ich habe es ja die ganze Zeit schon so gut es ging praktiziert: Meine Friseurin hat mir mein kostbares Shampoo ins Zeitungsrohr gesteckt und ich das Geld in einem Umschlag an den Briefkasten geklebt. Ich habe im Sportladen zwei Pilatesbälle an der Seitentür entgegengenommen und zu Ostern einen Geschenkgutschein im hiesigen Modeeinzelhandel erworben. Ich habe im Weltladen mehr Osterschnuggel gekauft als ich brauchte, und ich habe mir auch schon hier und da Klamotten weglegen lassen. Am Montag kann es ja wieder losgehen und noch nie war Shoppen sinnvoller als jetzt.

Ich bin gespannt, ob wir es schaffen, die Abstands- und Hygieneregeln einzuhalten – auf jeden Fall habe ich mir schon diverse Alltagsmasken wahlweise Gesichtsmasken wahlweise Mund-Nasen-Bedeckung wahlweise Hygienemasken wahlweise Community-Masken zugelegt. Sie wissen schon: Mundschutze, aber das darf man ja nicht sagen. Wahrscheinlich weil Mundschutze schwer zu kriegen sind und weil sie vermutlich auch sinnvoller sind als die zahllosen selbstgenähten Stoffmasken, von denen ich nun zu den meisten meiner Frühlingsoutfits passende besitze – was ich allerdings auch ein bisschen bescheuert finde, ehrlich gesagt. Aber wenn schon Maske, dann wenigstens hübsch, dachte ich mir, und Sie werden sich wundern, wenn Sie mich mit meiner knallroten Maske mit Animal-Print-Rand beim Shoppen sehen. Oder mit der Geblümten, die so wahnsinnig gut zu meinem Jeanskleid passt. Grundsätzlich finde ich das mit den Masken ja eher nicht so toll, aber als ich jetzt sowohl Herrn Söder als auch unseren Landrat mit Maske in der Presse gesehen, denke ich, dass so ein Teil sich durchaus vorteilhaft auswirken kann. Auch auf mich, man kann ganz hervorragend Mitesser oder Herpes verstecken, schlechtgeputzte Zähne (nicht dass ich welche hätte, also schlecht geputzte), nichtgezupfte Kinnhärchen (das schon eher) oder einen Schokobart (das schon viel eher). Auf jeden Fall kann man morgens ganz schön viel Zeit im Bad sparen – in Kombination mit einer Sonnenbrille noch viel mehr.

Obwohl ich von der Sonnenbrille nach Möglichkeit abraten würde, denn wenn man so maskiert unterwegs ist, muss man viel mehr Vehemenz in den Augenkontakt legen: Lächeln, zweifeln, ärgern – all das läuft ja nur noch über den Blick. Man sollte also vielleicht eine kleine Übung in Augenmimik einplanen, bevor man sich erstmals mit Maske an die Öffentlichkeit wagt.

Und wenn man sich unter diesen Umständen verliebt, dann hat man die einmalige Chance, ein schlechtes Gebiss oder eine schiefe Nase beim Kennenlernen zu verbergen. Ist das nicht toll? Bis dann die Maske gelüftet wird, ist das Gegenüber vielleicht schon so verknallt in den Blick, die Stimme, die Figur, am Ende sogar das Gesagte, dass so kleine Äußerlichkeiten gar nicht mehr ins Gewicht fallen. Schöne Vorstellung, oder? Und was sagt man sich in diesen Zeiten, wenn man jemanden so richtig, also so richtig liebt? „Du bist so systemrelevant, mein Liebling!“ Liebe im Frühjahr 2020. Mehr sage ich nicht.

Doch, noch was: Heute gab es bei Aldi wieder Toilettenpapier. Wurde auch Zeit. Ich musste ja die ganze Zeit das teure, supersofte tausendlagige mit Duft und Federdesign kaufen, weil es sonst nix mehr gab. Aber bevor sich die ganze Familie an dieses exklusive Gefühl am Allerwertesten gewöhnt, greife ich jetzt schnell wieder zu Aldis zweit- oder drittbestem. Hoffentlich ist es noch nicht zu spät.