Lästern mach frei

„Hast du schon gehört? Die Mona, ja die, die immer so supergestylt mit ihrem Mann durch die Stadt läuft, ihre Kinder im fetten Volvo von der Schule abholt und angeblich diesen Top-Home-Office-Job hat, die ist von ihrem Mann verlassen worden!“ „Nee, echt jetzt? Woher weißt’n das?“ „Von der Claudi. Die weiß ja so was immer als Erste.“ „Also, mich wundert das ja nicht!“ „Warum denn nicht?“ „Naja, weißt du, wenn alles immer so toll aussieht, dann ist doch klar, dass hintenrum was nicht stimmt!“ „Ich hab‘ den auch schon so oft mit anderen Frauen gesehen und sie im Pilates mal angesprochen. Alles Geschäftspartnerinnen, hat sie gesagt.“ „Na, das sieht man ja jetzt, da ist die Verbindung wohl doch etwas enger geworden.“ „Also, es ist ja nicht so, dass ich es ihr gönnen würde oder so, aber mir war das gleich alles zu perfekt…“ „Und die Claudi, weißt du, die hat ja wieder alles zugenommen, was sie sich mühsam abgequält hatte.“ „Das hätte ich ihr auch vorher sagen können, ist doch immer so.“ „Die trinkt aber auch jeden Abend ein Glas Wein und hat die Nüsschen dabeistehen – hat sie selbst gesagt.“ „Da kann das ja nichts werden…“ „Mit der Kleidergröße würde ich mich dann aber doch ein bisschen zusammenreißen – da kann man sich halt nicht immer übersatt essen.“

Kennen Sie solche Gespräche, vorzugsweise unter Frauen, vor der Schule oder dem Kindergarten, in der Kantine, am Abend bei einem kleinen Prosecco oder in der Damensauna? Ganz ehrlich. Geben Sie es ruhig zu! Lästern ist zwar jetzt nicht so die beste Eigenschaft von allen, aber so ab und an machen wir es doch alle gern, oder? Warum eigentlich, wo wir doch wissen, dass es sich eigentlich nicht gehört und obendrein mitunter noch selbst fürchten müssen, bei Abwesenheit vielleicht selbst Thema des Tratsches zu werden?

Es ist einfach schön, wenn man – gerne auch vorübergehend – eine gemeinsame Lieblingsfeindin hat, über die man herziehen kann. Die Gründe dafür können vielfältig sein. Am einfachsten und natürlich auch mit dem wenigsten Anflug von schlechtem Gewissen ist es, wenn die Person über die wir tratschen, wirklich blöd ist, bestenfalls noch bösartig. Gemeinsames Lästern stärkt die Gemeinschaft und rückt das daran beteiligte Grüppchen näher zusammen. Noch dazu in einem besseren Licht, denn natürlich sind wir im Recht und erhaben über das Objekt unseres Tratsches, und da wir uns gegenseitig so gut leiden können, sind wir sicher auch die besseren Menschen. Wie schön! Lästern ist ein bisschen wie Schokolade essen: Man tut es voller Lust mit einem Gefühl von Befriedigung und schlechtem Gewissen gleichzeitig, auch wenn, wie Kritiker des Lästerns behaupten, in der Regel weniger hehre Beweggründe uns zum Tratsch verleiten, beispielsweise Neid oder Missgunst. Das mag vielleicht für andere zutreffen, für uns doch aber nicht, oder? Uns dient Lästern – wenn wir es denn überhaupt so nennen wollen – als Informationsaustausch. Man weiß halt gern, mit wem man es so zu tun hat und was in der Neubausiedlung, in der sich auch unser Reihenhaus befindet, so los ist.

Und wer sagt eigentlich, dass Frauen immer nur über andere Frauen lästern? Ein Vorurteil, genauso wie die oft gehörte Behauptung, dass diese Art von Informationsaustausch überhaupt eher von Frauen gepflegt werde. Also, ich denke, Männer können das auch. Ich kannte da mal einen, der wusste immer alles über jeden, zum Beispiel, dass der Micha mit der Manu – am Arbeitsplatz wohlgemerkt! Und dass der Uli, ja DER Uli, aber das lassen wir jetzt…

Lästern kann man natürlich auch über verschiedene Themen. Eigentlich ist Kolumnenschreiben auch eine Facette davon. Und Lästern ist gesund – egal, was alle sagen: Wer lästert, baut Aggressionen ab und kann dadurch umso freundlicher sein; wer sich verbal und indirekt schon über bestimmte Personen und Sachverhalte ausgelassen hat, der kann mit einem Lächeln reagieren, wenn es ernst wird. Schließlich ist alles Notwendige ja bereits gesagt.

Und wenn nicht – dann gibt es neuen Stoff für die nächste Lästerrunde. Denn die kommt bestimmt. Vor der Schule oder dem Kindergarten, in der Kantine, am Abend bei einem kleinen Prosecco oder in der Damensauna, wenn Claudi, Mona, oder Helga grade mal nicht da sind…