Kopfkino

Es gibt da ja diese Bücher, die für alles und jenes eine Statistik haben, ein Tortendiagramm oder zumindest einen Mann-Frau-Vergleich. Darin wird die Frage gestellt „Was denkt meine Mutter, wenn sie mich auf dem Handy nicht erreicht? 33% – ich wurde entführt, 33% – ich bin tot, 33% – ich hatte einen Unfall, 1% mein Akku ist leer.“

Als ich das so las, konnte ich mich eines bestimmten Wiederkennungseffektes nicht erwehren. Ich bin Meisterin des Kopfkino. Um es mal genau zu sagen, die weibliche Version einer Mischung aus David Lynch, Jonathan Demme und Goerge Sluizer. Was in meinem Kopf alles passiert, wenn meine Lieben nach meinem Dafürhalten nicht rechtzeitig zuhause sind, das mag ich Ihnen gar nicht beschreiben – nur so viel: „The Texas Chain Saw Massacre“ ist ein Kindergeburtstag dagegen. Kaum zu glauben, dass man das noch überbieten kann. Geht aber, nämlich dann, wenn einer meiner Jungs – auch die großen – insbesondere zu nachtschlafener Zeit noch unterwegs sind UND gleichzeitig nicht ans Handy gehen. Grauenhafte Szenen von in den Erlen ihrer Kettcars beraubten Kinder tun sich vor mir auf, erwachsene Männer, die auf dem Weg vom „Laternchen“ nach Altenburg von gewaltigen, unsichtbaren Armen immer wieder zurückgehalten werden, Jugendliche, die nach exzessivem Konsum alkoholfreier Cocktails den Heimweg nicht mehr finden. Es ist so schrecklich – ganz besonders die Nachtvorstellungen bieten jede Menge Potenzial. An Schlaf ist dann nicht mehr zu denken – es ist meine kreativste Kopfkino-Phase, wenn ich nachts nicht schlafen kann oder aus Versehen aufwache. Wie oft habe ich schon alle Telefone dreimal umgedreht, um mich zu vergewissern, dass ich auch keinen Anruf verpasst habe. Geschaut, wann mein so Gestalkter zum letzten Mal online war. Wie? Gestern um 18 Uhr?! Jetzt liegt der schon zehn Stunden irgendwo in der berüchtigten Alsfelder Gosse und keiner schaut nach ihm! Und habe ich wirklich alle Telefone in voller Lautstärke am Start, damit ich höre, wenn die Polizei oder das Krankenhaus anruft? (Leider meldet sich IMMER, wie so oft und unabhängig von der Uhrzeit, irgendeine meiner hyperaktiven Frauen-WhatsApp-Gruppen zu Wort. Letztens habe ich zum ersten Mal eine stumm gestellt!) Wie oft habe ich selbst dann schon zu unmöglichen Zeiten SMS verschickt, mit kleinen harmlosen Fragen nach dem Befinden, meist nur ein, zwei Minuten, bevor das Objekt meiner Fürsorge froh und munter vor mir stand. Kann man da was gegen tun?

Immer wieder höre ich, dass Kopfkinoregisseurinnen – im Gegensatz zu den Hollywoodregisseuren – in der Regel weiblich sind, ich würde sogar so weit gehen, zu behaupten, dass sie auch Mütter sind. Mutter sein regt die Katastrophenfantasie auf ganz phänomenale Weise an! Womit wir wieder bei einem meiner Lieblingsthemen wären: Wir Frauen haben einfach auch auf diesem Gebiet das größere kreative Potenzial – schade nur, dass wir es immer nur mit uns alleine teilen. Und außerdem meist nachts, wenn alles schläft. Außer uns.

„Es gab in meinem Leben viele Katastrophen – einige davon sind sogar passiert.“ Das sagte der weise Mark Twain. Ich glaube, er hat mich gekannt.

Kopfkino sind aber nicht nur die Horrorszenarien von verschwundenen Familienmitgliedern. Kopfkino können auch andere Vorstellungen sein, auf die man gerne verzichten möchte. Oder wollen Sie wirklich alles sehen, was unter dem Motto „In meinem Kopfkino laufen nur Pornos“ läuft? Also, ich nicht! Schon gar nicht, wenn echte, mir am Ende gar noch bekannte Menschen darin vorkommen. Da hilft nur eins: „Kopfkino aus“.

Aktuell ist bei mir aber gerade ein ganz anderes Kopfkino an! Tolles Kopfkino. Rosamunde Pilcher für Italien-Fans. Vor meinem geistigen Auge sehe ich ein Haus am Comer See. Mit Pool und Sonnenliegen. Daneben ein bis zum Abend ständig mit Aperol gefülltes Glas, danach Rotwein, zwischendurch Cappuccino. Neben mir ein Zwillingsvater. (Ausnahmsweise NICHT George Clooney.) Ich sehe ein immerwährendes Frühstücks- und mediterranes Tagesbüffet und ein emsiges Aufräumteam für das weitläufige Areal, das wir unser eigen nennen. Ich sehe eine Reihe gutgebauter Barmixer und ebensolche Masseure. Ich sehe… Ein Teil davon könnte wahr werden. Nächste Woche schon. Und deshalb gibt es auch erst in vier Wochen die nächste Kolumne!

Bis dahin: Schönen Sommer. In echt!