Kollateralschäden

Eigentlich wollte ich ja nichts mehr über Corona schreiben. Manchmal hat man den Eindruck, alles ist schon gesagt, aber noch nicht von jedem (frei nach Karl Valentin), oder alles ist schon überholt, bis man es glücklich zu Papier und unter die Leute gebracht hat. Aber dieses unsägliche überflüssige Virus, dem man wirklich nur mit viel, viel Wohlwollen noch irgendwas Gutes abgewinnen kann („Was können wir aus der Krise lernen“ und so), ist so dermaßen Teil des doch arg beschränkten Alltags geworden, dass ich, die stets unter dem Motto „Alltagswahnsinn“ firmiert (nur falls Sie das noch nicht wussten), ja kaum noch was zu schreiben hätte, wollte ich da nun gar nicht mehr drauf eingehen. Und da „eigentlich“ das Wort dieser Zeit ist, in der man eigentlich etwas ganz anderes lieber täte, als das was man grade auch nicht tut (oder so), nehme ich das jetzt halt mal so hin. Alltag unter C-Bedingungen.

Man hatte ja von Anfang an so ein bisschen das Gefühl, dass das Virus nicht nur die Lunge, sondern auch das Hirn angreift. Das war, als man sich noch über so harmlose Dinge aufregte wie das Hamstern von Klopapier. (Wir erinnern uns? Das war dieses seltsame Verhalten während des erstens Lockdowns, von dem wir erst im Nachhinein wussten, wie gemütlich er eigentlich (!) war.) Als dann die ersten Corona-Leugner unter ihren Aluhüten hervorkrabbelten, wurde das Gefühl von einer bestimmten Gewissheit abgelöst, die schon ein bisschen was Beängstigendes hatte. Nun aber ist der Worst Case eingetreten: Ich bin selbst befallen. Also, mein Gehirn. Es leidet. Es leidet unter den immer gleichen, sich nur in der Intensität der Negativschlagzeilen unterscheidenden Nachrichten. Was dazu führt, dass ich schon seit Wochen, ehrlich seit Wochen, keine Nachrichten mehr schaue. Das ist das eine. Ich versuche, dieses Defizit durch die Nutzung der Tagesthemen-App zu kompensieren. Größere Sorgen mache ich mir allerdings über die Wahl des alternativen Fernsehprogramms. So richtig bewusst wurde mir dies, als zu dem ewigen Corona-Gedudel in den Nachrichten Anfang November noch das lahme Wahlverhalten der Amerikaner hinzukam, gepaart mit dem merkwürdigen Verhalten ihres damals erst noch voraussichtlich abgewählten Präsidenten, über dessen Haare ich nichts mehr sagen möchte, weil ich es in meiner letzten Kolumne den Eichhörnchen versprochen habe. (Und zu dem, was sich vergangen Woche in den USA abgespielt hat, fällt mir gar nichts mehr ein. NICHTS MEHR!)

Wir, also mein Mann und ich, schauten uns an und uns war klar: Es reicht. Wir waren kurz davor, „Die Bachelorette“ oder „Hochzeit auf den ersten Blick zu schauen“, aber das Niveau war dann schließlich noch hoch genug für eine alte Sendung „Bergdoktor“, die wir glücklicherweise unter all den Nachrichtenangeboten in der Mediathek fanden. Ich muss dazusagen, dass das seit dieser Zeit allerdings mein Lieblingsniveau geblieben ist. Vorzugsweise als Krimis getarnt, schaue ich mir seichte Dinge an, Sendungen, in denen Menschen sich einfach so treffen – mit egal wie vielen Leuten -, sich umarmen und – ganz wichtig – am Ende alles gut wird. Deshalb sind schon seit längerem diese sozialkritischen, realitätsnahen Tatorte und Polizeirufe, die mit Kinderprostitution, Bandenkriminalität und wahlweise Frauen- oder Organhandel, tabu. Münster-Krimis sind meine absoluten Favourites, gefolgt von Sylt- und Nordsee-Krimis und den Weimar-Tatorten, wobei der letzte ja eher schwierig war, da der Tod von Herrn Lessing (dessen Vorname nun wohl für immer unbekannt bleiben wird) doch was sehr Endgültiges hatte. Wenn das so weitergeht, bleiben wohl nur noch die Vorabendkrimis, die mir die Mediathek zu meinem Abendwein um 22:30 Uhr freundlicherweise anbietet: Egal, ob SOKO Wismar, Potsdam, Leipzig oder Köln – die sind so verlässlich wie ein Schweizer Uhrwerk: Straftat, Ermittlung, Aufklärung, fertig, Schlafenszeit. Oder vielleicht doch noch eine Folge? Meistens schon, was dann dazu führt, dass ich nicht mal mehr lese und somit meinem geistigen Verfall weiteren Vorschub leiste. Da bekommt das Wort Kollateralschäden doch gleich eine ganz andere Bedeutung.

Wie bei so vielen Dingen derzeit hoffe ich, dass es sich hierbei um ein Krisensymptom handelt, das, obwohl man vermutlich gegen selbstverschuldete Blödheit nicht impfen kann, mit dem Ende der Pandemie wieder verschwindet und keine bleibenden Schäden hinterlässt. Ich könnte mich ja für hinterher schon mal bei der Volkshochschule zu einem Russisch- oder Philosophiekurs anmelden, um ein paar Intelligenzpunkte zu retten. Wenn nach den vielen seichten Krimis noch ein wenig Substanz übrig ist. Bis dahin versuche ich mich, nachdem ich von der Weihnachtsdeko noch die Beleuchtung habe hängen lassen, mit ein wenig Licht über die Zeit zu retten. Und mit der Hoffnung, dass irgendjemand Externes sein Ein-Personen-Kontakt-Kontingent und seinen Horizont ab und an mit mir teilt.

Ich bin bereit!