Kleine Freuden oder Optimismus on!

Schwierig in diesen Zeiten, ich weiß. Aber es ist der einzige Weg. Gestern noch habe ich es mit Lamentieren versucht. Ich hatte eine Jahresend(zeit)kolumne geschrieben, die voller Gejammer war. Zu Recht natürlich, wie wir alle wissen, aber trotzdem nicht schön. Natürlich hatte es mit dem Virus – Sie wissen schon – zu tun und damit, was es in der Gesellschaft, in unserer Gesellschaft, so offenbart hat. So unschöne Eigenschaften wie Egoismus, mangelnde Solidarität und Rechthaberei sind im Bugwasser der Pandemie an die Oberfläche gespült worden, was sich nicht nur in Impfgegnerschaft, Impfvordrängelei und schwindendem Kommunikationswillen äußert, sondern viel schlimmer noch in Impfstoffhybris (natürlich kommen wir in den westlichen und nördlichen Ländern zuerst dran) und Aggression (keine Erklärung nötig). Ich konnte es nicht fassen, dass in einem vermeintlich kultivierten Land wie dem unseren im Gespräch war, die Impfunwilligen mit Bratwurst zu bestechen, dass bei uns LKW-Ladungen mit Coronatests geklaut und Impfausweise gefälscht werden. Aber so war es halt.

Gestern schon suchte ich ein wenig Entspannung in verschiedenen guten Nachrichten und folgte dem Rat von Michaela Brohm-Badry. Sie ist Glücksforscherin und riet am Silvestermorgen in der OZ, um wieder positiver zu werden, solle man jede Möglichkeit zum sicheren, aber echten Kontakt mit Menschen suchen. Das war machbar, dachte ich, und schaute in die Silvester-WhatsApp-Gruppe, die sich spontan gebildet hatte und ein Treffen von zehn Personen (ja, Herr Lauterbach, wirklich zehn Personen, alle geimpft) kulinarisch organisierte. Obwohl die Hälfte der Gruppe meine Familie war (und im Vorbereitungsteam komplett durch mich vertreten wurde), Menschen also, die jetzt ohnehin schon immer um mich herum sind, die aber durchaus alle sehr nett sind, war direkt deutlich, was Frau Brohm-Badry meinte: Die Wärme untereinander, die Fürsorge füreinander, den Wunsch, es sich gegenseitig schön zu machen. Gute Gespräche, so witzig wie tiefgründig, leckeres Essen, köstliche Weine und die eine oder andere kleine Rauchpause auf dem Balkon – man soll ja ständig lüften, hat das RKI gesagt – machten einen schönen Abend, zu dem wir uns per „Wer bin ich“-Spiel noch die Kessler-Zwillinge, Annalena Baerbock und Robert Habeck sowie Dr. Fendrich und Dr. Gruber einluden. Dass der Bergdoktor und seine Kollegen in der Krise besonders wichtig sind, stand jetzt sogar in der Süddeutschen: Endlich muss man sich nicht mehr schämen, wenn man, der ganzen Nachrichten müde, zur Fernbedienung greift und sich den schönen Naturaufnahmen hingibt und natürlich der Illusion, dass am Ende alles gut wird. Da stört es uns auch nicht, wenn in der Fernsehzeitschrift von „Berieselungs-TV für Daheimgebliebene“ die Rede ist.

Womit wir wieder beim Thema wären: Wenn wir nicht glauben könnten, dass am Ende alles gut wird, wo kämen wir da hin? Nun ist natürlich „Alles gut“ auch so ein bisschen schwammig. Was für die einen gut ist, ist es für die anderen halt nicht, sodass nicht ein Mensch allein für den ganze Rest hoffen kann. Das muss wohl auch nicht sein, meint die Glücksexpertin, das große Glück gäbe es ohnehin nicht. Viel wichtiger seien kleine Freuden. Kleine Freuden. Da fiel mir doch direkt ein kleines Käschen ein, das ich vor Monaten spontan und überflüssigerweise gekauft habe. Es heißt „Kleine Freuden“. Ich öffnete es und fand darin lauter schöne Tipps für kleine Freuden, die man im Alltag vielleicht gerne übersieht oder nicht zu schätzen weiß. Oder die man, sollten sie nicht angeflogen kommen, gerne selbst herstellen kann. Einige von ihnen wählte ich aus und steckte sie anstelle von Tischkärtchen in die dafür vorgesehen kleinen Halterungen und schmückte mit ihnen die Silvestertafel. „An einem heißen Tag auf einer Wiese liegen und in die Sonne schauen“, war darauf zu lesen, oder: „8 Uhr an einem Samstagmorgen ohne jegliche Verpflichtungen für die nächsten 24 Stunden.“ Dieses Kärtchen stand dann zufällig auf meinem Platz und über den Realitätsgehalt dieses Wunsches kann man natürlich streiten. Aber es gibt auch realistische kleine Freuden: „Klatschzeitschriften in der Badewanne“, zum Beispiel. Oder „Ein Abendessen vor dem Fernseher“. „Ein kurzer, befreiender Wutausbruch“, wäre eine kleine Freude oder eine „Bibliothek in der Abenddämmerung.“ Wer das nicht braucht, mag vielleicht „Köse mit Senf“ oder „Flüstergespräche im Dunkeln im Bett.“ Am Ende des Abends hatten alle unsere Gäste ihre Kärtchen zwar mit Freude gelesen, aber dagelassen. Ich hoffe, nicht aus Desinteresse, sondern weil sie finden, dass alle diese kleinen Freuden im neuen Jahr für mich bestimmt sind. Kommt halt auf die Perspektive an. Ich sehe das jetzt mal so und picke mir jetzt immer mal eine kleine Freude heraus. Und wenn in dem Stapel keine passt, dann muss man vielleicht selbst mal schauen, ob es vielleicht schon eine kleine Freude ist, morgens unter einer warmen Dusche zu stehen, oder ob es eine kleine Freude sein kann, jemand anderem eine kleine Freude zu machen. Kaffee hinstellen, zum Beispiel. Und wer es nicht merkt, dass man ihm grade eine Freude gemacht hat, dann hat man vielleicht doch sich selbst damit erfreut. Ich hoffe, Sie können mir bei all diesen freudvollen Verwicklungen noch folgen.

So, und jetzt die eigentliche Message: Ich wünsche uns allen bei allem, was kommt, die eine oder andere kleine Freude zwischendurch. Halten wir die Augen offen und die Synapsen im Aufnahmemodus. Ich bin bereit!

(Übrigens: Die kleinen Kärtchen gibt’s von The Scholl of Life, beispielsweise über Ikarus. „Kleine Freuden“ zum Lesen gibt es von Clare Chambers. Die Brigitte sagt darüber: „Dies ist ein schöner epischer Roman mit allem, was dazugehört, um einem auf unterhaltsamste Art die Zeit zu rauben: ein investigativer Plot, eine Geschichte von Begehren und Versagung und nicht zuletzt das Porträt einer zwischen Pflichtgefühl und dem Recht auf Glück ringenden Frau.“