Kalender Girl
„Ein Kalender ist eine Übersicht über die Tage, Wochen und Monate eines Jahres. Eine veraltete Bezeichnung ist Jahrweiser.“ So ist es in der Definition bei Wikipedia zu lesen. Und seit ich das getan habe, frage ich mich, warum ich für EIN Jahr VIER Jahrweiser brauche. Lohnen würde sich das eigentlich nur, wenn ich dann auch viermal so viel Zeit hätte, aber das ist nicht der Fall, wie sich Mal um Mal herausstell, wenn ich versuche, die magische Zeitmauer zu durchbrechen.
Als ich noch nur einen Kalender hatte, ging es mir besser, finde ich rückblickend. Das war in der 5. Klasse, und meine Freundin Sigrid hatte mich kalendermäßig gerade mit einem Schülerkalender des bekannten Schneiderverlages angefixt – der Beginn einer Kalenderkarriere, die bis heute anhält und aktuell – so kann ich nur hoffen – ihren Höhepunkt findet. Aber der Reihe nach.
Als ich zu alt für den Schülerkalender wurde, folgte ihm der Öko-Kalender – es waren die 80er -, auf Recyclingpapier und mit vielen schlauen Tipps und halbesoterischen Ratschlägen, die bei mir nicht so richtig fruchteten. Ich verlegte mich auf den EMMA-Kalender, von dem ich jahrelang wichtige Impulse für mein Leben als Emanze erhielt, das mir bis zur Familiengründung auch relativ gut gelang. Ich verschenkte den EMMA-Kalender zu Weihnachten an alle meine Freundinnen, die es mir hin und wieder mit dem goldeingebundenen Kalender der BRIGITTE dankten. Warum eigentlich? Wie dem auch sei, bald hatte ich ein Filofax und experimentierte in der Küche mit einem Familienkalender, der immer eine Spalte zu schmal war und in den außer mir auch niemand etwas eintrug. Ich ließ es sein und führte noch lange ein schönes Leben mit meinen Kalendern, in die ich jedes Jahr die Geburtstage meiner Freunde übertrug und auch ihre Adressen. Wer nicht mehr aktuell war, durfte nicht mit ins neue Jahr, alles war schön und hätte es auch bleiben können. Doch diese Idylle fiel – wie so viele andere – der Digitalisierung zum Opfer.
Bald schon zückten die ersten Freunde ihre Handys, wenn es um Terminvereinbarungen ging, während ich stur mein Filofax oder meine neue Errungenschaft, den Moleskine-Tagesplaner, zur Hand nahm. Doch irgendwann fing auch ich an, meine Termine ins Handy zu daddeln. Zusätzlich zu meinem schönen roten Moleskine-Kalender, der sich so gut anfühlt, ein Fach für Schnipsel und Zettel hat, die Dauer der wichtigsten weltweiten Flugverbindungen angibt und eine Umrechentabelle für internationale Maßeinheiten hat. (Nicht dass ich die schon jemals gebraucht hätte, aber es macht so einen tollen polyglotten, multikultivierten Eindruck – und das braucht man ja manchmal.) Damit meine Termine gesichert sind, hänge ich mein Handy täglich an meinen Computer. Die Termine und viele andere Dinge synchronisieren sich mit Outlook – der dritte Kalender, über den ich verfüge und der so schön bunt ist, wenn ich meine Termine ordentlich kategorisiere. Besonders die Monatsübersicht macht dann wirklich richtig Eindruck. Auf mich.
Seit ich nun halbtags wieder einer ordentlichen Arbeit nachgehe, habe ich einen weiteren digitalen Kalender für unsere Geschäftstermine im Team. Der Outlookkalender läuft dort aus Sicherheitsgründen nicht, sodass ich alle Geschäftstermine auch in meinen Moleskine-Kalender eintrage und in mein Handy tippe, das sich bei nächster Gelegenheit wieder mit meinem Rechner synchronisieren muss. Daneben, also neben dem Rechner, stapeln sich die kleinen Terminzettel, die ich mir trotz Handy immer wieder geben lasse – falls es mal zu einem unverhofften Datenverlust kommt. Wer wie ich schon einige davon erlebt, um nicht zu sagen verursacht hat, weiß diese Zettelwirtschaft zu schätzen.
Toll, wie die Digitalisierung mein Leben erleichtert hat – es ist einfach unglaublich!
Ganz offenbar bin ich nicht so der Typ für strukturierte Systeme – genauso wenig wie für ein übersichtliches Zeitmanagement, das mit der Digitalisierung leider nicht von selbst angeflogen kommt. Hinweise meines Outlookkalenders wie „Dieser Termin kollidiert mit einem anderen“ ignoriere ich wie früher schon, als sie nur nebeneinander zur selben Uhrzeit auf Papier geschrieben waren. Wird schon irgendwie gehen… Und wenn nicht, dann trage ich eben um: im Kalender, im Handy, im Computer – der letztendlich genauso geduldig ist wie Papier, auch wenn er vielleicht heimlich, hinter meinem Rücken, imstand ist, über mich den Kopf, nein den Bildschirm zu schütteln.
Ursprünglich geht das Wort Kalender übrigens auf das lateinische Wort Calendarium zurück. Das bedeutet Schuldbuch. Darüber sollte ich mal nachdenken, wenn ich dem neuen Tag ständig was vom alten schuldig bleibe…