Jemand zuhause?

Gleich treffe ich mich nach dem Mittagessen auf einen kleinen „After-Lunch-Kaffee“ mit zwei Freundinnen in einem schicken Café in Alsfeld. Gestern traf ich mich mit einer Freundin zum Frühstücken in Fulda, auch in einem schicken Café. Und nächste Woche treffe ich mich mit einer Freundin ebenfalls zum Frühstücken, in einem schicken Café in Gießen. Schließlich sind ja Osterferien und da kann man sich auch mal was Gutes tun. Das ist richtig, und es macht ja auch Spaß, aber während wir gestern so da saßen, dachte ich darüber nach, wie lange ich schon nicht mehr bei meiner Freundin zuhause gewesen war. Und sie bei mir. Jahre! Wir lernten uns kennen, als wir gemeinsam an der Fernuni studierten und meistens besuchte ich sie janz weit draußen in der Rhön, um gemeinsam zu lernen. Das war früher. Früher, als man auch auf dem Dorf oder in kleinen Städten wie Alsfeld noch gerne mal so zusammenlief oder unangemeldet irgendwo vor der Tür stand, um einfach mal vorbeizukommen und ein Schwätzchen zu halten. Ich, inzwischen bekanntlich auch schon ein halbes Jahrhundert alt, kann mich an Zeiten erinnern, wo die Leute nach Feierabend –  oder auch schon davor – gerne mal aus dem Fenster schauten, um zu sehen, wer da so vorbeilief und vielleicht grade Lust auf ein unterhaltsames kleines Päuschen hatte. Manchmal gesellten sich noch ein paar mehr Menschen dazu – ein Vorläufer der heutigen Whatsapp-Gruppen, aber das wusste damals noch keiner. Wer heute vor Langeweile aus dem Fenster schaut, macht sich schwer verdächtig – der Langeweile, des Müßiggangs, am Ende gar der Faulheit!

Kaum vorstellbar, dass man sich einfach so traf – ganz ohne den nervigen SMS-Talk nach dem Motto „Mal sehen – melde mich nochmal“, „Wird etwas später“, „Kann doch nicht“. Komischerweise wurde es nämlich mit den zunehmenden Kommunikationsmöglichkeiten nicht einfacher, sondern schwieriger, sich zu verabreden. Dabei leben wir in einer Zeit, wo bereits Kindergartenkinder sich nicht mehr ohne vorherige Telefon- oder SMS-Absprache treffen können und wo man es merkwürdig findet, wenn es unangemeldet an der Tür klingelt. Könnte ja Gott-weiß-wer sein!

Was ist geschehen? Warum wollen wir offenbar niemanden mehr ohne Vorwarnung in unsere vier Wände lassen und wo ist unsere Spontaneität hingekommen? Wahrscheinlich haben wir sie irgendwo zwischen Homeoffice und Teilzeitjob, zwischen Kita-Öffnungszeiten und dem Pilates-Kurs abgegeben. Wahlweise auch zwischen der 60-Stunden-Woche und den drei abendlichen Fußballtrainings. Die letzten Unerbittlichen, die es wagten, unangemeldet vor der Tür zu stehen, haben wir enttäuscht, weil wir völlig abgehetzt und mit über die unvorhergesehene Störung schreckgeweihten Augen geöffnet haben und ganz offensichtlich keine Zeit für sie hatten. Die Message lautet ganz klar: Wer sich mit irgendwem treffen will, braucht einen Termin. Lange vorher. Und am besten, wir treffen uns auch nicht zuhause, sondern auf neutralem Boden.

Klar ist es schön, gemeinsam was essen zu gehen, und niemand hat die Arbeit damit. Klar ist es schön, wenn man ungestört seine Arbeit fertigmachen kann. Klar beginnt immer dann der Stress, wenn man aufgehalten wird und in Verzug gerät.

Alles richtig, aber wäre es nicht noch schöner, wenn uns ab und an mal jemand beim Putzen stören würde? Ganz unverhofft. Oder bei der Steuererklärung? Könnte man sich da nach einem gemeinsamen Gläschen Prosecco auf dem heimischen Balkon nicht mit ganz neuem Schwung an die Arbeit machen?! Oder sie vielleicht gleich auf morgen verschieben?

Übrigens: Auf der Suche nach ein bisschen mehr Input zu dem Thema fand ich unter „zwanglose Treffen“ nur Hinweise auf Dating-Apps (die harmlosere Variante) oder Swinger- und andere Clubs und Gelegenheiten wie beispielsweise den bumz.club (die anderen Varianten). Was ich noch fand, war die Website secretkontaktdienst.com. Sie warb mit dem Slogan „Treffen in deiner Nähe – Sucht deine Nachbarin ein Date?“. Also, das kann man aber auch ganz einfach so rausfinden: Rübergehen, klingeln, Schwätzchen halten. Fast genauso wie früher…